Richtig vererben an Menschen mit Behinderung
Archivmeldung vom 29.05.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićHäufig sind Menschen mit Behinderung auf staatliche Leistungen angewiesen. Wenn sie erben, werden sie selbst leistungsfähig und müssen zunächst das Erbe aufbrauchen, bevor sie wieder Anspruch auf Unterstützung haben. Wie das geerbte Vermögen geschützt werden kann, weiß das Netzwerk Deutscher Erbrechtsexperten e.V. (NDEEX).
Betreuung, Versorgung, ein Platz im Wohnheim - diese Leistungen für Menschen mit Behinderung kosten viel Geld. Kann die betroffene Person nicht selbst dafür aufkommen, übernimmt der Staat die Kosten. Dabei gilt der Nachranggrundsatz. Das heißt: Die leistungsbeziehende Person muss erst ihr Einkommen und ihr gesamtes verwertbares Vermögen einsetzen, bevor sie staatliche Hilfe in Anspruch nehmen kann. Im Fall einer Erbschaft müsste diese also zunächst aufgebraucht werden, bevor die Sozialhilfeträger einspringen.
Möchten die Eltern eines behinderten Kindes den Zugriff des Staates auf das zu vererbende beziehungsweise geerbte Vermögen verhindern, ist die Enterbung kein geeignetes Mittel. Denn: Das Kind hat immer einen Pflichtteilsanspruch in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Die Folge: Diesen Pflichtteilsanspruch könnte der Sozialhilfeträger auf sich überleiten und das Kind hätte keinerlei finanziellen Vorteil.
Testament für Erbende mit Behinderung
"Wer sein behindertes Kind dauerhaft absichern möchte, sollte ein spezifisches Testament für Menschen mit Behinderung errichten. Nur so kann der Lebensstandard des Kindes über das Sozialhilfeniveau angehoben werden", erklärt Birgit Funke, NDEEX-Mitglied und Fachanwältin für Erbrecht.
Folgende Punkte sind dabei zu beachten:
- Das behinderte Kind muss mehr als den Pflichtteil erben. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass keine Pflichtteilsansprüche entstehen, die der Sozialhilfeträger auf sich überleiten könnte.
- Das behinderte Kind darf nur Vorerbin oder Vorerbe werden. Denn in diesem Fall bildet die Erbschaft eine vom Eigenvermögen separierte Vermögensmasse, über deren Substanz nicht verfügt werden darf und die vor dem Zugriff von Eigengläubigern geschützt ist. Auch bereits erhaltene Sozialleistungen müssen dann nicht aus dem Nachlass zurückgezahlt werden.
- Für das Erbe der behinderten Person muss eine Dauertestamentsvollstreckung angeordnet werden. So haben der Staat und andere Dritte keinen Zugriff auf die Erbschaft und die Erträge daraus. Bereits im Testament sollte im Rahmen einer Verwaltungsanordnung bestimmt werden, wofür die Testamentsvollstreckerin oder der Testamentsvollstrecker die Erträge aus dem Nachlassvermögen oder die Substanz des Nachlasses verwenden darf. Es wird also festgelegt, welche Leistungen das behinderte Kind dauerhaft aus dem Nachlass erhalten soll. Damit sind Geld- und Sachleistungen gemeint, die zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen.
Stolperfalle "Berliner Testament"
Haben die Eltern ein sogenanntes "Berliner Testament", geht der gesamte Nachlass zunächst auf den überlebenden Elternteil über. Das Kind wird praktisch enterbt, sobald ein Elternteil stirbt. Allerdings ist in diesem Fall der Sozialhilfeträger befugt, den Anspruch auf den Pflichtteil geltend zu machen. Das dürfte in der Regel nicht gewollt sein. Auch wenn der zweite Elternteil stirbt, kann diese unerwünschte Folge eintreten. Die Eltern sollten also - solange es noch möglich ist - ihr sogenanntes "Berliner Testament" widerrufen und ein nach ihren speziellen Bedürfnissen konzipiertes Testament errichten.
"Testamente für Menschen mit Behinderung haben weitreichende Folgen und sind sehr komplex. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, beim Verfassen erbrechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen", erklärt Rechtsanwältin Birgit Funke. Eine Liste von Fachanwältinnen und Fachanwälten für Erbrecht aus ganz Deutschland gibt es im Internet unter www.ndeex.de.
Quelle: Netzwerk Deutscher Erbrechtsexperten e.V. (ots)