Arglose Steuerzahler spenden in die Staatskasse
Archivmeldung vom 20.08.2008
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Freigeschaltet durch Oliver RandakGroßteil der Einsprüche gegen Steuerbescheide wird anerkannt. Arglose Steuerzahler spenden in die Staatskasse: Jährlich gehen rund 2,8 Milliarden Euro aus fehlerhaften Steuerbescheiden an das Finanzamt
„Steuerhinterziehung kostet den Staat Milliarden!“ – so lautet ein
beliebtes Argument von Politikern, wenn es um Höhe oder Ungerechtigkeit
der Steuern in Deutschland geht. Unerwähnt bleibt dagegen, dass der
Staat Steuermilliarden einnimmt, die ihm nicht zustehen. Durch falsch
ausgefüllte Steuererklärungen, Bearbeitungsfehler und rechtliche
Unklarheiten werden jährlich rund zwölf Millionen fehlerhafte
Steuerbescheide verschickt, schätzt die Hilfsinitiative „Fiscus ante
portas“ in Hamburg. „Von den falschen Steuerbescheiden gehen fast alle
zu Lasten des Steuerzahlers“, erklärt Jürgen Lax, einer der Sprecher
der Initiative. Dennoch gab es 2007 nur knapp über fünf Millionen
Einsprüche gegen Steuerbescheide, wie das Bundesministerium der
Finanzen mitteilt. Die meisten Fehler ließen sich unkompliziert
berichtigen – das zeigt der große Anteil an stattgegebenen Einsprüchen
– allerdings muss dazu der Bescheid erst einmal beanstandet werden.
Rund 30 Millionen Steuerbescheide verschicken die Finanzämter jährlich.
Fehler sind dabei an der Tagesordnung. Etwa 40 Prozent der Bescheide
enthielten falsche Forderungen, ein Großteil davon zuungunsten der
Steuerpflichtigen, so der Hamburger Steuerberater Günter Zielinski –
eine Zahl, die viele Steuerbeamten, Steuerberater und Steuerpflichtige
bestätigen. Die Schuld daran tragen nicht allein die Beamten, die
Problematik beginnt schon mit dem Ausfüllen der Steuererklärung, die
Privatpersonen oft überfordert. Auch Steuerprogramme können
Übertragungsfehler und Zahlendreher nicht verhindern oder
sicherstellen, dass alle notwendigen Belege mitgeschickt werden.
Allerdings sollten spätestens dem Sachbearbeiter eventuelle Fehler
auffallen, doch auch hier sorgt das komplizierte deutsche Steuersystem
für Unklarheiten. Allein das Einkommenssteuerrecht ändert sich im Jahr
so häufig, dass selbst Fachleute nur schwer den Überblick behalten.
„Ein Steuerberater muss ständig Arbeitszeit darauf verwenden, sich
weiterzubilden, um immer auf dem aktuellen Stand der Gesetzeslage zu
bleiben“, berichtet Zielinski. „Finanzbeamte müssen sich dieses Wissen
in ihrer Freizeit aneignen, da während der normalen Dienstzeit kaum
Zeit für die Weiterbildung vorhanden ist. Dieser Ansatz muss
zwangsläufig scheitern.“
Finanzämter sind überlastet
Die Situation wird noch verschärft durch den Stellenabbau in den
Finanzämtern. Wie der Vorsitzende der Steuergewerkschaft DSTG, Dieter
Ondracek, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärte,
gibt es kaum genug Personal, um alle Steuererklärungen gründlich zu
prüfen. Während bis 2006 das Personal um neun Prozent gekürzt wurde,
stieg die Zahl der Steuerfälle um drei Prozent an. Steuerhinterzieher
würden sich über das niedrige Risiko entdeckt zu werden freuen, nach
dem Motto „Gelegenheit macht Diebe“, so Ondracek. Denjenigen, die
zuviel bezahlt haben, wird mit Blick auf das Finanzamt ein anderes
Sprichwort in den Sinn kommen: „Einem geschenktem Gaul schau nicht ins
Maul.“ Denn wer nicht innerhalb eines Monats gegen den Fehler im
Bescheid Einspruch einlegt, muss zahlen, auch wenn er nachträglich den
Fehler beweisen könnte.
„Ist der Bescheid rechtskräftig geworden, dann bestehen kaum
Möglichkeiten ihn zu ändern. In einem solchen Fall müssen dem Finanzamt
Formfehler nachgewiesen werden. Das schreckt manche Steuerberater ab“,
meint Jürgen Lax von „Fiscus ante portas“. Steuerpflichtige, die keinen
eigenen Steuerberater haben, können bei dieser Initiative gegen einen
Jahresbeitrag von 170 Euro ihren Steuerbescheid von unabhängigen
Fachleuten prüfen und bei Fehlern Einspruch einlegen lassen. „Wir
vergeben Aufträge zur Prüfung von Steuerbescheiden und zur Führung von
Verfahren nur an Steuerberater oder Rechtsanwälte, die viel Erfahrung
mit Streitigkeiten mit dem Finanzamt haben. Viele Steuerberater scheuen
sich vor Konflikten mit dem Finanzamt, weil sie ja täglich mit diesen
Beamten arbeiten müssen.“ Für das Einspruchsverfahren und die Klage vor
dem Finanzgericht übernimmt die in der Mitgliedschaft enthaltene
Rechtsschutzversicherung einen Teil der Kosten.
Allerdings zeigt die Erfahrung, dass viele Einsprüche relativ schnell
und kulant abgewickelt werden. Von den 3,8 Millionen bearbeiteten
Einsprüchen im Jahr 2007 wurden knapp 64 Prozent durch Abhilfe, also
eine schlichte Korrektur des Fehlers, geregelt, wie das
Bundesfinanzministerium mitteilt. Daraus könne aber nicht „automatisch“
geschlossen werden, dass der angefochtene Bescheid fehlerhaft gewesen
sei, so die Erklärung des Ministeriums. Denn auch nachgereichte
Bescheinigungen gelten als Abhilfe.
Verlorene Bescheide kosteten Unternehmer beinahe 27.000 Euro
Wie rigoros das Steuerrecht und wie entgegenkommend Finanzbeamte sein
können, zeigt der Fall von Jörg Schneiderheinze. Dem Unternehmer
flatterte unerwartet einen Zahlungsaufforderung von 27.000 Euro für
seine Holding-Gesellschaft ins Haus. „Ich dachte, das kann nur ein
Fehler sein“, erzählt der Geschäftsmann. Die Firma hatte bei weitem
nicht genug Gewinn gemacht, um diese Summe zu rechtfertigen. Sein
Steuerberater erklärte ihm allerdings, dass die Aufforderung nach
Auffassung des Finanzamtes rechtmäßig war, da gegen die entsprechenden
Steuerbescheide kein Einspruch eingelegt wurde. Diese Bescheide hatte
Schneiderheinze aber nie gesehen. Aus dem Büro, das er sich mit einer
Arztpraxis geteilt hatte, war er vor über einem halben Jahr ausgezogen,
dennoch hatte der Briefträger wohl seine Post weiter irgendwo in dem
Haus eingeworfen und die Zustellung auf der dazugehörigen Urkunde
quittiert. Die zu versteuernde Summe war vom Finanzamt, das von den
niedrigen Einnahmen nichts wusste, anhand einiger vorhandener Daten
geschätzt worden. Dass Schneiderheinze nicht zahlen musste, obwohl die
Behörde jedes Recht gehabt hätte die Forderung zu vollstrecken,
verdankt er dem Eingreifen seines Steuerberaters. „Ohne ihn wäre es
schief gegangen“, meint der Hamburger Unternehmer. „Er hat im
Einspruchsverfahren bewiesen, dass die Steuerbescheide mich nie
erreicht haben.“ Die überhöhte Nachforderung wurde aufgehoben und durch
Steuerbescheide mit den richtigen Steuerbeträgen ersetzt.
Das Beispiel zeigt, dass auch Finanzämter mit sich reden lassen – wenn
die Betroffenen sich melden. Fünf Millionen Einsprüche wurden 2007
eingelegt, weit weniger als die Hälfte der vermutlich fehlerhaften
Bescheide, da zu den Einsprüchen auch solche wegen noch ausstehender
Entscheidungen über Steuergesetze zählen. „Viele Steuerzahler vertrauen
immer noch darauf, dass das Amt Recht hat, oder sie reichen Einsprüche
zu spät oder nicht formgerecht ein“, meint Lax. Dabei liegt die zuviel
gezahlte Summe erfahrungsgemäß bei durchschnittlich 450 Euro, so
Steuerberater Zielinski. Bei 12 Millionen falschen Bescheiden, 9,6
Millionen davon zu Lasten der Steuerzahler, macht das selbst nach Abzug
der stattgegebenen Einsprüche eine Mehrzahlung in die Staatskasse von
fast 2,8 Milliarden Euro – für die Bürger ein enormes und vor allem
völlig legales Steuersparpotential.