KRiStA: Ein politischer Tatbestand: Das Herstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse
Archivmeldung vom 20.08.2022
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićIn einer Zeit atemloser Gesetzesänderungen sind auch Spezialtatbestände des Urkundenstrafrechts auf Zuruf geändert worden. Zurufe lösen auch die Atteste zur Maskenbefreiung aus. Nach allgemeiner politischer Meinung sind solche Atteste immer unbegründet. Die Staatsanwaltschaften versuchen nachzuziehen – zum Schaden des materiellen wie prozessualen Strafrechts. Soeben hat das Bayerische Oberste Landesgericht die Gewichte zurechtgerückt – an sich nicht ungewöhnlich, aber nach dem gegenwärtigen politischen Wind fast sensationell. Dies berichtet Thomas-Michael Seibert im Netzwerk Kritischer Richter und Staatsanwälte neV.
Weiter berichtet Seibert: "Die politische Wende in den Urkundsdelikten
Noch vor drei Jahren hat niemand daran gedacht, in den Urkundsdelikten politisches Strafrecht zu vermuten. Das hat sich geändert. Der Tatbestand des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 Strafgesetzbuch – StGB) erweist sich dafür ebenso als aktuelles Beispiel wie der des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 279 StGB). Aus einem spezialisierten Äußerungsdelikt ist politische Verfügungsmasse geworden. Den Anlass dafür geben Maskenbefreiungsatteste, die von manchen als unzulässige und medizinisch sowieso nicht haltbare Ausnahme vom Maskenzwang verstanden werden.
Warum mit dieser Verfolgungstendenz Strafrechtsgrundsätze verletzt
werden, kann man aus der Systematik der Urkundenfälschung ablesen. Die
Delikte zwischen den §§ 267 und 281 StGB sind – straftatsystematisch
gesehen – Äußerungsdelikte. Bestraft wird die Vorlage einer Urkunde,
wenn sie nicht von demjenigen stammt, der als Aussteller des
Schriftstücks daraus hervorgeht. Es geht in allen Fällen um
Schriftstücke, und geschützt wird grundsätzlich nur die
Ausstellereigenschaft, nicht die Richtigkeit des Inhalts. Nur bei den
Gesundheitszeugnissen ist das anders, und deshalb war diese Ausnahme
streng begrenzt. In §§ 277–279 StGB sollte die Richtigkeit des
Urkundeninhalts nur dann gewährleistet werden, wenn sie zum Nachweis von
Krankheit, Invalidität oder Arbeitsunfähigkeit mit in der Regel
vermögensbezogener Wirkung verwendet werden (§ 279 StGB).
Der Tatbestand des Herstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse verband seit seiner Übernahme ins Reichsstrafgesetzbuch im Jahre 1871 die Tathandlung der wissentlich falschen Ausstellung eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses mit dem Handlungszweck des Gebrauchs bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft. Das war der Sinn des Tatbestands bis zum November 2021. Seitdem bedarf es nur noch einer Absicht der Täuschung im Rechtsverkehr, und zum Rechtsverkehr wird durch Verordnungsrecht das Tragen von Masken durch medizinische Laien erklärt. Die Entleerung des Strafrechts von begrenzenden Rechtsgutsgedanken – einst Gegenstand der Großen Strafrechtsreform der Sechzigerjahre – bleibt dabei sowieso unbeachtet. Das Gegenteil hat sich etabliert: Eine ordnungsbehördliche Strategie besteht seit 2021 darin, für Demonstrationen der Maßnahmengegner Maskenpflicht anzuordnen – im Freien. Das ergibt die Grundlage für polizeiliche Aufgriffe während solcher Veranstaltungen und rechtfertigt nach Meinung mancher Ordnungsbehörden gelegentlich das Verbot der gesamten Veranstaltung. Nach der Änderung von IfSG und StGB bestand die Gegenstrategie in der Beschaffung von Befreiungsattesten.
Fälle
Aktuelle Fälle beruhen auf Feststellungen wie diesen: Atteste eines Arztes konnten frei im Internet heruntergeladen werden. Auf den ersten Blick wirkten diese Formulare „echt“. Es handelt sich jedenfalls nicht um ein „offensichtliches Fantasieschriftstück“, immerhin konnten es kontrollierende Polizeibeamte „aufgrund einer zuvor erfolgten Sensibilisierung, also auf Grundlage eines speziellen Informationshintergrundes“ als ungültiges Dokument erkennen (nach LG Frankfurt a. M. – 26. StrafK, Beschl. v. 06.04.2021, Az. 5/26 Qs 2/21). Andere Angeklagte haben diese Bescheinigung heruntergeladen und benutzt (nach OLG Celle Beschl. v. 27.06.2022, Az. 2 Ss 58/22). Das Landgericht hat in einem Fall verurteilt wegen Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach § 279 StGB, dabei aber die Urkundenqualität des Zeugnisses falsch beurteilt. Es fehlten Feststellungen zur notwendigen Unterschrift, sodass gar nicht klar war, ob es sich überhaupt um eine Urkunde handelte. In anderen Fällen haben Amtsgerichte die Eröffnung abgelehnt und sind darüber belehrt worden, dass ein Zeugnis schon dann unrichtig sei, wenn es ohne individuelle Untersuchung erteilt worden sei.
In vorpolitischer Zeit, also vor Beginn der politisch induzierten Attest-Anklagen, ging es hingegen um ärztliche Bescheinigungen, denen Vermögenswert beigemessen worden ist. So ist einem Arzt im Jahre 2005 von der Anklage vorgeworfen worden, für 38 nicht existente Personen insgesamt 360 unrichtige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt zu haben, mit denen ein Dritter entsprechend gemeinsamem Tatplan 391 Ausgleichszahlungen nach § 10 des Lohnfortzahlungsgesetzes erlangt habe (BGH NStZ-RR 2007, 343). Das Landgericht sprach frei, weil die Tatumstände nicht aufklärbar gewesen seien, der BGH hob den Freispruch auf, weil die Feststellungen vielleicht doch eine Verurteilung erlauben könnten. Der Schwerpunkt lag angesichts der erstrebten Vermögensgewinne beim Betrug.
In einem anderen Fall wurde mit dem Attest eine als dringend erachtete medizinische Betreuung in stationären Bedingungen begehrt, die nicht ohne Weiteres zugänglich war. Der angeklagte Arzt stellte aus Gefälligkeit gegenüber dem Vater eines Kindes ein Attest über eine „paranoid-halluzinatorische Psychose mit einer depressiven Episode bei bestehenden Suizidgedanken“ aus und hatte dafür – wie der Tatrichter meinte – keine tatsächliche Grundlage. In der Revision hat das OLG Celle die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus prozessualen Gründen abgelehnt (OLG Celle, Beschl. v. 21.01.2015). Beide Entscheidungen haben fachlich nicht verwunderliche Schwierigkeiten, die wirkliche Unrichtigkeit der ausgestellten Bescheinigung zu begründen, weil das Gericht sich dann an die Stelle des Arztes setzen müsste.
Die Verurteilungsstrategie seit 1940
Um das zu vermeiden, gibt es seit über 80 Jahren eine
Ersatzfeststellung, die – sieht man die Geschichte dieser Rechtsprechung
genauer an – einen braunen juristischen Hintergrund hat. Bestimmte
Machthaber misstrauten den Ärzten, sie unterstellten ihnen subversives
Handeln, und jedenfalls in der NS-Zeit konnte ein Stück Subversion mit
dem Ausstellen eines Attests verbunden sein, was sich an einem bis heute
zitierten Fall des Reichsgerichts aus dem Jahre 1940 zeigte (RGSt 74,
229, nachzulesen hier).
Damals ging es um Bescheinigungen für Prostituierte des Inhalts, dass diese nicht mit Geschlechtskrankheiten infiziert seien. Die Staatsmacht hatte die Kontrolldichte in der Bevölkerung erhöht und die Anforderungen an eine Bestrafung gesenkt. Abgeschafft war zwar die im Reichsstrafgesetzbuch – RStGB – noch enthaltene Übertretung, wonach „eine Weibsperson, welche, polizeilichen Anordnungen zuwider, gewerbsmäßig Unzucht treibt“, mit Haft bestraft wurde. Eingeführt war aber das Verbot des Einführens oder Verbreitens einer ansteckenden Krankheit (§ 327 StGB a. F.). Dem genügten manche dieser von Gesetzes wegen so benannten „Weibspersonen“, indem sie ärztliche Zeugnisse vorlegten, ohne dass ein Arzt sie untersucht hatte. Der Tatbestand des § 278 StGB hätte in dieser Lage eigentlich erfordert, nachträglich sachverständig etwaige Geschlechtskrankheiten festzustellen. Das fand das Reichsgericht damals entbehrlich, weil der angeklagte Arzt keine Untersuchung durchgeführt habe. Ein so ausgestelltes Zeugnis sei „wertlos“ als Beweismittel. Dabei stellt der Tatbestand nicht etwa auf eine Beweiswürdigung der ärztlichen Untersuchung durch ein Gericht ab, sondern auf die Bescheinigung. Der Arzt konnte der Meinung sein, dass seine Atteste richtig sind. Dennoch sei „nach Lage der Sache“ auch der innere Tatbestand gegeben. Im Jahre 1940 herrschte affirmatives Strafrecht.
Schon damals und mithin in der Blüte der NS-Zeit war diese Begründung vom Tatbestand her unrichtig. Sie widerspricht offensichtlich dem Wortlaut. Ein Gericht müsste – wenn der Angeklagte ihm diese Last nicht durch ein Geständnis abnimmt – die Krankheit durch Beweiserhebung feststellen. Denn eine fehlende Untersuchung ist kein Indiz für Krankheit und somit auch kein Beweis für die Unrichtigkeit des Gesundheitszeugnisses. Der Umstand eröffnet nur eine Möglichkeit der Unrichtigkeit, aber Möglichkeiten sind keine Verurteilungssicherheiten.
Dennoch hat sich der Tatbestand des § 278 StGB verschoben. Auch die
gegenwärtigen Strafrechtslehrer haben offenbar keine Bedenken, der
NS-Tradition zu folgen. In den Kommentierungen wird bis zum heutigen
Tage jenseits des gesetzlichen Wortlauts der Satz wiederholt, ein
Zeugnis sei unrichtig, wenn ein Arzt einen Befund bescheinige, ohne eine
Untersuchung vorgenommen zu haben (so vor 25 Jahren:
Schönke-Schröder-Cramer, 25. Aufl. 1997, Rdz. 2 zu § 278 StGB, im
Übrigen Kommentierungsinhalt bis heute). Neuere Entscheidungen stützen
diesen Bestrafungswunsch nur teilweise. Im Jahre 2006 hat der BGH unter
Verweis auf eine eigene Entscheidung von 1954 (BGHSt 6, 90) immerhin
einen Freispruch nur aufgehoben, aber nicht verurteilt.
Dem tatrichterlichen Freispruch lag die Feststellung zugrunde, „dass der Angeklagte auch ohne persönliche Vorsprache des Patienten auf telefonische Anforderung und damit wissentlich unrichtige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt hat“ (wie oben: BGH NStZ-RR 2007, 343). Das war so schlecht wie die Feststellungen des Reichsgerichts zur inneren Tatseite. Wie ein Strafrichter an sich weiß, sind solche Schlussfolgerungen aufs innere Wissen widersprüchlich, denn es ist keineswegs zwingend, dass eine Unrichtigkeit allein aus dem Umstand fehlender Untersuchung folgt. Es muss unter den zunehmenden Zwängen des Massenverkehrs und den steigenden Anforderungen, Gesundheitszustände zu bescheinigen, jedem Arzt selbst überlassen bleiben, aus welchen Umständen er sein Wissen gewinnt.
Auch für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist heutzutage keineswegs mehr in jedem Fall eine aktuelle ärztliche Vorstellung notwendig, teilweise – wie in den akuten Corona-Fällen – auch gar nicht möglich. Das Problem hat auch der BGH in der erwähnten Entscheidung aus dem Jahre 2006 gesehen, wenn es in der Begründung heißt, von Bedeutung sei, ob der Angeklagte „tatsächlich mit Begründungen, die das Landgericht als möglich für vermeintlich berechtigte Blanko-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen angesehen hat (UA S. 16/17), zum Unterschreiben von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgefordert worden ist.“ Insofern kommt es auch auf die Art der Bescheinigung an.
Der Ermessensspielraum in der ärztlichen Behandlung
Die gegenwärtigen Attestfragen sind aus Verordnungsermächtigungen aufgrund IfSG (Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen – Infektionsschutzgesetz ) entstanden, nach denen die Verwendung einer sog. „Mund-Nasen-Bedeckung“ zwar angeordnet, aber mit der Ausnahme einer ärztlich bescheinigten Unzumutbarkeit versehen worden ist. Man kann nach den unterschiedlichen Landesverordnungen von der Maskenpflicht entbunden werden, was – wie etwa das OVG Berlin-Brandenburg im Eilverfahren entschied – vor Ort durch ein schriftliches ärztliches Zeugnis im Original nachzuweisen sei (Beschlüsse vom 04.01.2021 – OVG 11 S 132/20 und 06.01.2021 – OVG 11 S 138/20). Welche Lenkungsideen der Berliner Verordnungsgeber dabei hatte, lässt sich aus den vom OVG aufgehobenen Anforderungen an den Zeugnisinhalt ablesen. Danach hätte das ärztliche Zeugnis „die konkret zu benennende gesundheitliche Beeinträchtigung (Diagnose) sowie konkrete Angaben beinhalten (müssen), warum sich hieraus eine Befreiung von der Tragepflicht ergibt“. Der Verordnungsgeber traute keinem Arzt, aber – es gibt noch eine Rechtskontrolle – diese Art der Ärztelenkung wurde beseitigt.
Womit Ärzte wirklich befasst werden, passt nicht in die Verordnungen
der Gesundheitsbehörden. Auf der Homepage von KRiStA (Kritische Richter
und Staatsanwälte) ist bereits vor längerem darauf hingewiesen worden,
dass viele Menschen beim Tragen von Masken Symptome entwickeln, die das
körperliche Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen. Zu den häufigsten
Symptomen zählen Kurzatmigkeit bzw. Luftnot, Erschöpfung, Hitzegefühl,
Kopfschmerz, Schwindel und Konzentrationsstörungen („Körperverletzung
durch Masken?“, veröffentlicht bei KRiStA
am 08.04.2022). Diesen Befund beseitigt auch der Evaluationsbericht der
Bundesregierung nicht, obwohl dort hervorgehoben wird, die Kombination
von epidemiologischen Erkenntnissen und tierexperimenteller Bestätigung
lasse „die Schlussfolgerung zu, dass das Tragen von Masken ein wirksames
Instrument in der Pandemiebekämpfung sein kann“. Es kann – aber einen
bestätigten Alltagsbefund dafür gibt es nicht, wie der
Evaluationsbericht auf S. 99 selbst vermerkt. Verwiesen werden muss auf
eine Laborstudie
an syrischen Goldhamstern, über deren Plausibilität für staatliche
Zwangsmaßnahmen man sich an der Quelle informieren kann. Der amtliche
Bericht kommt selbst zu dem Ergebnis, die Wirksamkeit von Masken sei
„nicht abschließend geklärt“ und im Übrigen hänge die Wirksamkeit von
Masken „vom Träger oder der Trägerin ab“.
Wenn man aber weiß, dass unrichtig getragene Masken keine Wirkung entfalten, dann verwehren sich nur noch Realitätsleugner dem Schluss, dass Betroffene, die sie nicht tragen wollen, sie auch unrichtig tragen werden. Deshalb ist es richtig, es der individual-diagnostischen Einschätzung von Ärzten zu überlassen, auf welche Weise man sich davon überzeugen will, dass Befreiungsgründe vorliegen. So wie es die Ansicht gibt, dass dazu die Stellungnahme der Patienten genügt, so muss man auch die ärztliche Ansicht hinnehmen, dass nur Verrückte keine Masken tragen – verrückt genug war die öffentliche Diskussion in diesem Zusammenhang. Dementsprechend mag es auch die Ansicht geben, dass eine mehrwöchige Psychotherapie notwendig sei, besser noch ein irgendwie in Zahlen ausdrückbares Untersuchungsergebnis. Aber es sollte streitfrei sein, dass es weder juristische Kompetenz umfasst noch gerichtliche Aufgabe ist, diese Anforderungen festzulegen. Keineswegs kann von einem Arzt verlangt werden, das Attest zur Maskenbefreiung nur auszustellen, wenn eine psychiatrische Untersuchung vorliegt. Solche Meinungen gibt es aber bei Ermittlungsbehörden wirklich. Es kann auch nicht verlangt werden, dass ein Arzt vor Ausstellung des Attests eine Gewissensprüfung durchführt – und ja: Es ist denkbar, dass der Arzt es auf Verlangen ausstellt.
Notwendig ist auch, dafür nicht nur in die juristische Kommentierung
zum Straftatbestand zu sehen, sondern zur Kenntnis zu nehmen, welchen
Stellenwert die Erteilung eines solchen Attests in der ärztlichen Praxis
regelmäßig hat. Das Gebührenrecht gibt dazu Auskunft. Es enthält die
Nr. 70 GOÄ (Gebührenordnung für Ärzte), mit der Leistungen erfasst
werden wie eine kurze Bescheinigung, die in der Regel ein oder zwei
Sätze nicht überschreiten sollte. Speziell in der GOÄ benannt ist die
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Das Maskenbefreiungsattest verdient keine größere Aufmerksamkeit. Solche Atteste erfassen ärztliche Leistungen, die sich notwendig und vor allem an den Patientenberichten selbst orientieren müssen. Dementsprechend ist es keine gerichtliche Aufgabe festzulegen, welche Art von Befassung ein Arzt wählt, bevor er ein Attest zur Maskenbefreiung ausstellt. Inzwischen ist es ein anerkannter Teil der ärztlichen Praxis geworden, dass Telefongespräche stattfinden, aufgrund derer Rezepte wie Bescheinigungen ausgestellt werden. Teilweise genügen Auskünfte und Aufträge gegenüber den Mitarbeiterinnen in der ärztlichen Praxis, manchmal sind Patienten auch in der Lage, ihre Anliegen und Beschwerden schriftlich zu fassen. Die Wahl des Informationswegs ist demjenigen zu überlassen, der eine Bescheinigung nach § 278 StGB ausstellt, oder anders: Die Art, in der ein Arzt eine Untersuchung durchführt, und das Ergebnis, zu dem er kommt, sind seine Sache.
Der Wandel der Rechtsprechung
Der hier entwickelte Gedanke ist nicht originell und entspricht einer juristischen Arbeit, in der der Wortlaut eines Tatbestands ernst genommen wird. Erfreulicherweise kennt die Gerichtspraxis diesen Grundsatz noch. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat mit Urteil vom 18.07.2022 (Az. 203 StRR 179/22, der Verteidiger der Angeklagten berichtet) eben diese Auslegung vorgenommen und einen Freispruch bestätigt, den auch die Tatrichter vorhergehend erkannt hatten. Danach ist ein Attest im Rahmen des § 279 StGB nicht etwa deshalb unrichtig, weil keine körperliche Untersuchung des Patienten stattgefunden habe. Für die Richtigkeit eines Maskenbefreiungsattestes kommt es ausschließlich darauf an, ob die geschilderten Symptome tatsächlich vorliegen. Auch das Beweismittel einer nachträglichen amtsärztlichen Untersuchung sei nicht geeignet, den Gesundheitszustand der Angeklagten rückwirkend zum Tatzeitpunkt sicher festzustellen und daraus den Schluss zu ziehen, dass die Angeklagte die von ihr vorgetragenen Beschwerden ursprünglich nicht gehabt hätte. Dies gilt unabhängig davon, ob das Attest telefonisch oder per E-Mail angefordert wurde, also ohne vorherige körperliche Untersuchung durch den Arzt.
Vorläufig anders verläuft die öffentliche Aufmerksamkeit. Dafür sorgt die gegenwärtige Politik, die die Urkundsdelikte zum Verfolgungsinstrument für bestimmte Gesinnungen macht. Wie in den meisten Debatten der Corona-Zeit wissen Politik und Öffentlichkeit, welche Antwort die Gerichte geben müssen. Man braucht dafür nicht auf die unqualifizierten Auslassungen mancher Ärztevertreter selbst einzugehen. Auch Anwälte, deren Ratschläge man sich im Internet ansehen kann, stellen die Sache nicht selten so dar, dass Ärzte, die Atteste zur Maskenbefreiung ausstellen, mit Durchsuchungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft zu rechnen haben und dies ihren Ruf gefährdet. Leider ist das manchmal wahr, und das liegt nicht zuletzt daran, dass die prozessualen Voraussetzungen für die Verdachtsbegründung bei Durchsuchungsbeschlüssen so tief ansetzen, dass Gerichte im Ermittlungsverfahren die vorgelegten Durchsuchungsbeschlüsse einfach unterschreiben. Gerichte, die das tun, verhalten sich so wie Ärzte, denen sie wegen dieser Verfahrensweise einen Verdacht anlasten – nur ist die Ausgangslage anders. Auch im Vorverfahren darf ein Gericht nicht einfach auf Anforderung Durchsuchungsbeschlüsse erlassen. Der Verfolgungswunsch einer Staatsanwaltschaft, die neuerdings immer wieder politisch instrumentalisiert wird, entlastet das Gericht nicht. Man muss hoffen, dass sich dieser einfache Gedanke in rechtsstaatlich gefährdeter Zeit doch noch durchsetzt."