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Verharmlosung des Holocausts durch historische Vergleiche? Die Rechtsprechung im Gestrüpp des § 130 Abs. 3 StGB

Archivmeldung vom 25.10.2023

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.10.2023 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić
Gesetze & Gesetzesbücher (Symbolbild)
Gesetze & Gesetzesbücher (Symbolbild)

Bild: Tim Reckmann / pixelio.de

Der Straftatbestand: § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB) lautet: Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost." Dies schreibt Matthias Guericke vom Netzwerk Kritischer Richter und Staatsanwälte n.e.V. (KRiStA).

Guericke weiter: "§ 6 Abs. 1 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), auf den hier Bezug genommen wird, lautet:

Wer in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören,

ein Mitglied der Gruppe tötet, einem Mitglied der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt, die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen, Maßregeln verhängt, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollen, ein Kind der Gruppe gewaltsam in eine andere Gruppe überführt,

wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

Was heißt hier „Verharmlosen“? – Verharmlosen hat in § 130 Abs. 3 StGB keine andere Wortbedeutung als im allgemeinen Sprachgebrauch: Dieses Tatbestandsmerkmal ist erfüllt, wenn der Äußernde eine Handlung der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art „herunterspielt, beschönigt, in ihrem wahren Gewicht verschleiert oder in ihrem Unwertgehalt bagatellisiert bzw. relativiert“.

Das Urteil des Landgerichts München I vom 6. Juni 2023

Am 6. Juni 2023 wurde Robert H. vom Landgericht München I (Aktenzeichen 18 NBs 112 Js 160206/22) in einem Berufungsverfahren gegen ein Urteil des Amtsgerichts München wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 € verurteilt. Folgendes lag dem zugrunde:

Robert H. hatte am 14. Februar 2021 bei einer Versammlung auf dem Marienplatz in München unter dem Motto „Für Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung – Liebe, Wahrheit und Einigkeit“ eine Rede zur Corona-Politik gehalten. Dabei holte er weit aus und erinnerte zunächst daran, dass 75 Jahre zuvor, „ein Jahr nach dem gewaltsamen Ende der unmenschlichen Nazidiktatur“ , die Verfassung des Freistaats Bayern in Kraft getreten war, und zitierte ihre Präambel, in der es heißt, dass sich das bayerische Volk diese Verfassung „angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden geführt hat, in dem festen Entschluss, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechtes dauernd zu sichern,“ gibt. Es folgen dann sechs rhetorisch parallel formulierte Aussagen, in denen politische Maßnahmen und gesellschaftliche Ereignisse der Corona-Krise in einen Bezug zu historischen Ereignissen gesetzt werden, beginnend mit der Verabschiedung der Verfassung vor 75 Jahren und von da aus in die Zeit der Nazidiktatur zurückgehend. Die ersten drei Aussagen wörtlich:

„Doch 75 Jahre später steckt der Freistaat und seine Menschen in einem 11 Monate dauernden Gefängnis, das einem Arbeitslager gleicht, das die Regierung „Lockdown“ nennt.

75 Jahre nach dem Ende der Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg werden die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte verletzt und die in ihrem Wesensgehalt unantastbaren Grundrechte angetastet, wird Hygiene und Repression über die Freiheit des Menschen gestellt.

76 Jahre nach der Befreiung von Vernichtungs- und Konzentrationslagern wie Auschwitz und Dachau werden Gesetze beschlossen, die das Internieren und Separieren von Menschen vorschreiben.“

In den Aussagen vier bis sechs wird sodann Bezug genommen auf die Hinrichtung von Widerstandskämpfern vor 77 bzw. 78 Jahren, die Verabschiedung der Nürnberger Rassengesetze („86 Jahre nach der Verkündung der Nürnberger Rassengesetze wird in diesem Land aufs Neue über die Einteilung der Menschen nach wertvollen und weniger wertvollen, nach Menschen mit mehr und Menschen mit weniger Freiheiten geredet“) und die Bücherverbrennung auf dem Königsplatz in München („88 Jahre nach dem himmelhochlodernden Scheiterhaufen aus Büchern … als Beginn der kulturellen Barbarei der NS-Diktatur werden heute Accounts von sogenannten Corona-Leugnern gesperrt und gelöscht, werden hochrangige Wissenschaftler von Weltruhm in deutschen Medien … als „Schwurbler“, „Verschwörungstheoretiker“ und „wissenschaftlich Verirrte“ verunglimpft…“).

Was Robert H., der selbst Jude ist und Anfang der 1980er Jahre als Kind aus der Sowjetunion nach Deutschland kam, damit sagen wollte, liegt auf der Hand: Er war der Auffassung, dass die Corona-Maßnahmen, aber auch bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen in der Corona-Krise totalitäre Züge hatten und sah deshalb Parallelen zum Totalitarismus des Naziregimes. Die totalitären Verbrechen des Naziregimes versuchte er den Zuhörern eindrücklich vor Augen zu stellen, um damit deutlich zu machen, für wie bedrohlich er die aktuellen politischen Entwicklungen hielt. Wiederum unter Verwendung von Worten aus der Präambel der bayerischen Verfassung fasste er das dann so zusammen: „Und deshalb stehen wir hier zusammen, um … zu beklagen, dass hier schon wieder eine totalitäre Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen im Entstehen begriffen ist.“

Das Naziregime ist für ihn zweifelsfrei die Herrschaft des Schreckens und Grauens schlechthin, in der Präambel der Bayerischen Verfassung wird versprochen, dass sich Derartiges nie wiederholen soll, in der Corona-Krise aber wird das gegebene Versprechen („den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechtes dauernd zu sichern“) gebrochen. Dies ist der Zusammenhang, den Robert H. herstellt.

Was aber sagt das Landgericht München I dazu? – Es schreibt:

„Wie der Angeklagte wusste, verharmloste er mit seinen Äußerungen die während der Herrschaft des Nationalsozialismus durchgeführte systematische Ermordung insbesondere der europäischen Juden, indem er zum Zeitpunkt der Rede oder während der Corona-Pandemie zeitweise geltende Maßnahmen zur Beschränkung von sozialen Kontakten sowie Einschränkungen der Bewegungsfreiheit im Rahmen sogenannter ‚Lockdowns‘ mit der NS-Politik der ‚Vernichtung durch Arbeit‘, der Ermordung der Juden in ‚Vernichtungs- und Konzentrationslagern‘, dabei insbesondere in Auschwitz, verglichen (sic!).“

Man liest es und ist perplex. Wie das Gericht angesichts dessen, wie Robert H. über die Naziherrschaft redet, zu einer solchen Bewertung kommen kann, erscheint rätselhaft. Man könnte denken, hier haben nicht eine Richterin und zwei Schöffen versucht, den Sinn eines Textes zu erfassen, sondern es war eine Künstliche Intelligenz am Werk, die darauf programmiert war zu prüfen, ob irgendein wie auch immer gearteter inhaltlicher Bezug zwischen Naziherrschaft und politischer Gegenwart hergestellt wurde, um in diesem Fall prompt das Urteil „Verharmlosung des Holocaust“ auszuwerfen.

Was ist hier passiert, dass jemand, für den der Ausgangspunkt seiner ganzen Überlegungen zur politischen Gegenwart ist, dass sich die Verbrechen der Naziherrschaft (einschließlich des Völkermords an den europäischen Juden) auf keinen Fall wiederholen dürfen, wegen Verharmlosung des Holocausts verurteilt werden konnte? Es ist offensichtlich zu einer fundamentalen Sprachverwirrung gekommen.

Weitere Entscheidungen

Hat § 130 Abs. 3 StGB auch schon vor Corona in der Rechtsprechung eine Rolle gespielt? Ja, vor allem ergingen mehrere kontrovers diskutierte gerichtliche Entscheidungen zum Singen des sog. U-Bahn-Liedes, eines Fußballfangesangs mit dem widerwärtigen Text „Eine U-Bahn, eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir, von (Ortsname/Verein der gegnerischen Mannschaft) bis nach Auschwitz, eine U-Bahn bauen wir.“ Die Rechtsprechung hierzu war uneinheitlich: Während mehrere Gerichte den Tatbestand dadurch nicht erfüllt sahen, weil den gegnerischen Fans dasselbe Schicksal wie den in Auschwitz umgekommenen Menschen gewünscht werde und damit Auschwitz gerade nicht bagatellisiert werde, sahen andere Gerichte eine Verharmlosung des Holocausts gegeben.

Zu erwähnen ist auch ein Verfahren gegen einen AfD-Anhänger, der 2018 auf einem AfD-Parteitag ein Plakat mit der Aufschrift „Hetze in Deutschland“ und darunter nebeneinander die Abbildung eines gelben Davidsterns mit den Jahreszahlen „1933 – 1945“ und des Logos der AfD mit der Aufschrift „2013 – ?“ hochgehalten hatte. Das Amtsgericht Augsburg verurteilte ihn wegen Verharmlosung des Holocausts zu einer Geldstrafe von 4.500 €, die Revision des Angeklagten gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Augsburg wurde vom Bayerischen Obersten Landesgericht verworfen und nach Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht entschied im Jahr 2022 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass das Urteil nicht zu beanstanden sei.

In der Corona-Krise ist die Zahl der Verfahren nach § 130 Abs. 3 StGB dann sprunghaft angestiegen. Allein der Kölner Strafverteidiger Dirk Sattelmaier, der auch Robert H. vor dem Landgericht München I verteidigt hat, hat seinen Angaben zufolge seit 2021 schon 20 Mandate, bei denen es um § 130 Abs. 3 StGB geht, übernommen. Vor der Corona-Krise in 18 Jahren Strafverteidigung dagegen kein einziges.

Inzwischen wurde eine ganze Reihe gerichtlicher Entscheidungen zu § 130 Abs. 3 StGB im Kontext von Corona-Kritik veröffentlicht, auch von Obergerichten, so vom Oberlandesgericht Saarbrücken , Oberlandesgericht Frankfurt , Kammergericht Berlin , dem Bayerischen Obersten Landesgericht und vom Oberlandesgericht Braunschweig . In der Mehrzahl dieser Fälle ging es nicht um rein verbale Äußerungen wie bei Robert H., sondern um bildhafte Darstellungen, insbesondere um die Verwendung des sog. Judensterns unter Ersetzung des Wortes „Jude“ durch das Wort „ungeimpft“ oder die Darstellung des Eingangstores eines Konzentrationslagers mit dem Schriftzug „Impfen macht frei“. Die Gerichte bejahten teils eine Strafbarkeit, teils verneinten sie sie.

Wenn im Falle des „Ungeimpft“-Sterns eine Strafbarkeit verneint wurde, dann geschah dies zum einen mit der Begründung, dass sich das Verharmlosen nicht auf eine in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichnete Handlung beziehe, weil eine Deutung des „Judensterns“ als allgemeines Symbol für eine staatlich veranlasste Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen nicht ausgeschlossen, der „Judenstern“ deshalb nicht schlechthin Symbol für den nationalsozialistischen Völkermord an den Juden sei bzw. die Anordnung zum Tragen des „Judensterns“ zwar der Ausgrenzung und Stigmatisierung der jüdischen Bevölkerung und der Vorbereitung der Deportationen gedient habe, dies aber als Vorbereitungshandlung von den in § 6 Abs. 1 VStGB genannten Gewaltakten noch zu unterscheiden sei. Zum anderen wurde die Strafbarkeit mit der Begründung verneint, die betreffende Äußerung sei im konkreten Fall nicht geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören.

Auf die Frage, ob allein mit der Verwendung des „Judensterns“ zwangsläufig auf den Holocaust als eine Handlung der in § 6 Abs. 1 (Nr. 1 und 3) VStGB bezeichneten Art Bezug genommen wird, soll hier nicht näher eingegangen werden, weil den Argumenten in den zitierten gerichtlichen Entscheidungen nichts hinzuzufügen ist. Ebenso wird nicht die Frage der Eignung zur Friedensstörung diskutiert. Hier soll der Fokus allein auf dem „Verharmlosen“ liegen, das in den gerichtlichen Entscheidungen nicht nur als gegeben angesehen wurde, wenn die Strafbarkeit der Äußerung bejaht wurde, sondern oft auch dann, wenn aus den beiden vorgenannten Gründen keine Strafbarkeit gesehen wurde.

Was mit Vergleichen gesagt werden kann und was mit ihnen gesagt wird

Das stehende Argument in den Entscheidungen, die das „Verharmlosen“ bejahen, lautet, dass ein Vergleich von Corona-Maßnahmen mit der Judenverfolgung und -vernichtung im Nationalsozialismus per se eine Verharmlosung des Holocausts bedeute. Oft erscheint dies gar keiner näheren Begründung mehr zu bedürfen. Paradigmatisch wurde dieses Argument von Peter Rackow noch vor Corona in einem Beitrag, dessen Anlass die gerichtlichen Entscheidungen zum U-Bahn-Lied waren, formuliert: „Wer Bezugsobjekte gleichsetzt, stellt – sozusagen mathematisch gesehen – eine Gleichung auf; Gleichungen ist nun aber eigentümlich, dass man sie nach beiden Seiten hin auflösen kann, weshalb Überlegungen zu der Frage, ob durch die Äußerung 1 = 100 die Zahl 1 überbewertet oder die Zahl 100 unterbewertet wird, abwegig sind.“

Die Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven und ihre Mitarbeiterin Annika Obert haben dem in einem Aufsatz zur Frage der Strafbarkeit des Tragens der „Ungeimpft“-Sterne entgegnet, dass es sich bei einem Kommunikationsakt nicht um eine mathematische Gleichung handele, sondern um einen auslegungsbedürftigen und in seinem Gesamtzusammenhang auch auslegungsfähigen Lebenssachverhalt. Mit der Verwendung der „Ungeimpft“-Sterne solle aber das den Juden unter der NS-Herrschaft zugefügte Unrecht nicht bagatellisiert, sondern das eigene Leid aufgewertet werden, was gerade voraussetze, dass die Verbrechen gegen die Juden anerkannt würden.

Die Rechtsprechung hat sich von der Argumentation von Hoven/Obert – von einer Ausnahme abgesehen – nicht überzeugen lassen, sondern beharrt darauf, dass die Dramatisierung des selbst erlittenen Unrechts und die Verharmlosung des Holocausts gewissermaßen zwei Seiten derselben Medaille seien. Das Bayerische Oberste Landesgericht schreibt dazu in einem Fall, bei dem es um die Abbildung des Tores eines Konzentrationslagers mit dem Schriftzug „Impfen macht frei“ ging, in ausdrücklicher Abgrenzung von Hoven/Obert:

„Die vom Angeklagten konkludent aufgestellte Behauptung, die bezeichneten Einschränkungen für Ungeimpfte seien ihrerseits mit den Maßnahmen in den Konzentrationslagern vergleichbar, erzeugt eine … das wahre Ausmaß des NS-Unrechts verschleiernde Wirkung. Beide aufgezeigten Aspekte der Äußerung, die Überzeichnung eigener Betroffenheit von staatlichen Maßnahmen im heutigen rechtsstaatlichen Deutschland zum Schutz der Bevölkerung und die missachtende Abwertung des Schicksals der in den Lagern internierten Menschen sind jedenfalls im vorliegenden Fall nicht voneinander zu trennen; dies würde zu einer künstlichen Aufspaltung der einheitlichen Äußerung führen.“

Das ist allerdings nur eine Behauptung, die versucht, an Evidenz zu appellieren. Die nebulöse Feststellung, die Äußerung erzeuge eine „verschleiernde Wirkung“, ist jedenfalls keine Begründung. Die Aversion gegen die bildliche Darstellung, die auf Seiten des Gerichts deutlich ist, ist dabei fraglos nachvollziehbar: Bei der Abbildung eines Lagertores mit dem Schriftzug „Impfen macht frei“ wird der Schrecken des Holocausts benutzt, um die eigene Lage zu dramatisieren. Den Holocaust zu instrumentalisieren ist aber nicht nur geschmacklos, sondern abstoßend und vor allem pietätlos gegenüber den Opfern und ihren Nachkommen.

Dennoch liegt ein Fehlschluss vor, wenn hierin ein „Verharmlosen“ gesehen wird. Der Fehlschluss lautet in allgemeiner Formulierung: „Durch einen unangemessenen (und deshalb falschen) Vergleich zweier Objekte wird das Kleine groß und das Große klein gemacht.“

Dazu ist zunächst festzustellen, dass hier offenbar (historische) Vergleiche nur noch in der Art mathematischer Größenvergleiche (1 < 4, 4 > 3, 4 = 4) gedacht werden. Solche Größenvergleiche – wobei es bei § 130 Abs. 3 StGB nur um die Größe des Unrechts, das Ausmaß der Verbrechen, gehen kann – sind aber nur eine Form von Vergleichen. Daneben gibt es in der Sprache Vergleiche, die auf das Erkennen von Gemeinsamkeiten (oder Unterschieden) der Vergleichsobjekte abzielt und die immer nur einzelne Aspekte der Vergleichsobjekte betreffen. Solche Vergleiche zielen oft auf strukturelle Gemeinsamkeiten ab. So erscheint es – entgegen den Interpretationen in den betreffenden gerichtlichen Entscheidungen – eher unwahrscheinlich, dass der Verwender eines „Ungeimpft“-Sternes tatsächlich behaupten will, dass das Unrecht, das ihm als Ungeimpften widerfährt, gleiches oder ähnliches Gewicht habe wie das Unrecht, das den Juden im Nationalsozialismus widerfahren ist. Viel wahrscheinlicher erscheint, dass er auf strukturelle Ähnlichkeiten der Ausgrenzung der Juden im Nationalsozialismus und der Ungeimpften in der Corona-Krise hinweisen will. Und gerade im Fall von Robert H., der sich nicht durch eine grafische Darstellung wie dem „Ungeimpft“-Stern, sondern in einem rhetorisch anspruchsvollen Text geäußert hat, ist es offensichtlich, dass es ihm nicht darum ging, das Unrecht der Corona-Maßnahmen und das Unrecht des Nationalsozialismus in ihrem Gewicht gegeneinander abzuwägen, sondern um das Aufzeigen des seiner Meinung nach totalitären Charakters von Corona-Maßnahmen und bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen anhand des nationalsozialistischen Totalitarismus.

Der Fehlschluss in den gerichtlichen Entscheidungen hat bei genauerer Betrachtung seine Ursache darin, dass eine sprachliche Äußerung als mathematische Gleichung betrachtet wird.

Die drei Sätze „A ist so groß wie B“, „B ist so groß wie A“ und „A und B sind gleich groß“, in denen einmal A, einmal B und einmal A und B Subjekt sind, können aber mit sehr verschiedenen Aussageintentionen verbunden sein und in ihrem jeweiligen Kontext einen sehr unterschiedlichen Aussagegehalt haben, während in der Sprache der Mathematik daraus immer nur A = B wird. So kommt es für den möglichen Aussagegehalt eines sprachlichen Vergleiches wesentlich darauf, ob zwei für den Adressaten der Aussage unbekannte Objekte verglichen werden oder ein unbekanntes mit einem bekannten Objekt. Wenn der Adressat weder weiß, wie gut – isoliert und im Vergleich zu Dritten betrachtet – A oder B Schach spielen (und auch der Äußernde davon ausgeht, dass der Adressat das nicht weiß), sagt die Aussage „A spielt so gut Schach wie B“ zunächst vor allem etwas über eine Relation, nichts über die absoluten Fähigkeiten von A oder B aus. Aus dem Kontext kann sich aber ergeben, dass es dem Äußernden darauf ankommt, etwas über die Fähigkeiten von B zu sagen (im Sinne von „B spielt gar nicht so toll wie viele behaupten; A, die nicht als außergewöhnlich gute Spielerin bekannt ist, spielt genauso gut“). Es kann dem Äußernden aber auch darauf ankommen, etwas über die Fähigkeiten der A zu sagen (im Sinne von: „A spielt viel besser, als viele meinen, nämlich genauso gut wie B“).

Bei der Aussage „A spielt so gut Schach wie eine durchschnittliche Oberligaspielerin“ verhält es sich dagegen anders: Hier soll allein etwas über das Spiel von A gesagt werden, das Niveau einer durchschnittlichen Oberligaspielerin wird dagegen als allgemein bekannt oder als jedenfalls feststehend vorausgesetzt. Anhand von etwas Bekanntem wird hier eine Aussage über etwas Unbekanntes (die Fähigkeiten von A) gemacht. Ist die Aussage falsch und beruht dies auf einem Irrtum des Äußernden, kann der Irrtum darauf beruhen, dass der Äußernde entweder das Niveau von A überschätzt oder das Niveau der Oberliga unterschätzt oder beides zusammen. Niemals wird aber mit der Aussage das Niveau der Oberliga von dem Äußernden „abgewertet“, darüber trifft er gar keine Aussage, denn es ist ja das feststehende Bekannte. Man kann dem Äußernden möglicherweise vorwerfen, dass er nicht über das Niveau in der Oberliga informiert ist, kein verständiger Zuhörer wird ihm aber vorwerfen, er habe mit seiner Aussage das Niveau der Oberliga abgewertet oder herabgesetzt.

Genauso – und dies ist unzweifelhaft, wenn man ernsthaft versucht, die fraglichen Äußerungen als mit einer Intention verbundene sprachliche Aussagen zu verstehen und sie nicht in eine mathematische Gleichung verwandelt – verhält es sich aber mit den historischen Vergleichen und Bezugnahmen im Zusammenhang mit Kritik an den Coronamaßnahmen: Die Nazidiktatur, ihre Gewaltmaßnahmen, die Ausgrenzung, Verfolgung und die Ermordung der Juden im Holocaust werden als das allen Bekannte vorausgesetzt, anhand dessen eine Aussage über Corona-Maßnahmen u. ä. getroffen werden soll. Das gilt für Robert H., das gilt aber auch für die „Ungeimpft“-Sterne und die (geschmack- und pietätlose) Abbildung des Lagertors mit der abgewandelten Inschrift.

Fazit und Ausblick

Die gerichtlichen Entscheidungen, die bei Vergleichen von Corona-Maßnahmen mit nationalsozialistischen Gewalttaten gegen die jüdische Bevölkerung eine Strafbarkeit gem. § 130 Abs. 3 StGB bejahen, verkennen Aussageintention und -gehalt der betreffenden Äußerungen. Weil bei dieser Rechtsprechung in jedem Vergleich der Gegenwart mit der NS-Vergangenheit eine Verharmlosung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gesehen wird, werden damit Vergleiche mit der totalitären deutschen Vergangenheit grundsätzlich für illegitim erklärt.

Eine Gesellschaft kann aber nicht mehr aus der Geschichte lernen, wenn Vergleiche mit der Geschichte für tabu erklärt werden. Die Geschichte wird damit musealisiert und ist allenfalls noch in einer ritualisierten Erinnerungskultur präsent. Das gesellschaftliche Bewusstsein ist dann in einer totalen Gegenwart gefangen, die keine Vergangenheit und auch keine Zukunft mehr kennt.

Das „Wehret den Anfängen!“ war ein Credo in der Geschichte der Bundesrepublik. Wie aber sollen die Anfänge erkannt werden, wenn die Gegenwart nicht mehr mit der Vergangenheit verglichen werden darf? Robert H. hat gewagt zu vergleichen und ist dabei zu der Überzeugung gelangt, dass die Anfänge einer totalitären Staats- und Gesellschaftsordnung in der Corona-Krise bereits wieder gemacht wurden. Darauf wollte er mit seiner Rede aufmerksam machen und zugleich dem etwas dagegensetzen. Das Landgericht München I war der Meinung, dass, wer so etwas denkt und öffentlich sagt, strafrechtlich verfolgt werden muss. Mit § 130 Abs. 3 StGB lässt sich das allerdings nicht begründen.

Endnoten

Quelle: Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte n.e.V. (KRiStA)

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