Zwangsumzüge vertagt
Archivmeldung vom 06.05.2005
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Freigeschaltet durch Michael DahlkeArbeitslosengeld-II-Empfänger bekommen Gnadenfrist. SPD/PDS-Koalition will im Wahljahr 2006 keinen Ärger. Mieterverein hält Regelung für unzureichend
Die Bezieher von Arbeitslosengeld II (ALG) in Berlin können aufatmen. Vorerst. Nach monatelangem Streit innerhalb der SPD/PDS-Koalition haben sich Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) und Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) bei der Frage über die »Angemessenheit des Wohnraums« auf einen Kompromiß geeinigt. Danach liegt die Obergrenze bei der Bruttowarmmiete für Ein-Personen-Haushalte bei 360 Euro, für Zwei-Personen-Haushalte bei 444 Euro, für Haushalte mit drei Leuten bei 542 Euro und mit vier Personen bei 619 Euro. Für jede weitere Person werden 50 Euro aufgeschlagen. Zum Vergleich: Ursprünglich hatten Sarrazin für einen Ein-Personen-Haushalt 227 Euro bei maximal 50 Quadratmeter und Knake-Werner 322 Euro ohne Wohnraumbegrenzung gefordert. Von der Absicht, auch die Wohnungsgröße an den Kriterien des ehemaligen Sozialhilferechts zu orientieren, wie vom Finanzsenator gefordert, hat der Senat Abstand genommen. Unberührt bleibt außerdem der Wohnstatus von alleinerziehenden Behinderten, Rentnern und langjährigen Mietern einer Wohnung.
»Mit der nun vorgelegten
Regelung wird Rechtssicherheit für die vielen Langzeitarbeitslosen und
ihre Familien sowie den Mitarbeitern in den Jobcentern geschaffen«,
zeigt sich die Sozialsenatorin mit dem Ergebnis zufrieden. Nach den
Worten der PDS-Politikerin stünden so auch weiterhin fast 80 Prozent
des Berliner Wohnungsbestandes für alle Mieter zur Verfügung.
»Umzugswellen und eine weitere soziale Aufspaltung unserer Stadt werden
ausgeschlossen«, ist Knake-Werner überzeugt.
Der Berliner
Mieterverein sieht das anders und hält die Regelung für unzureichend.
»Das Ziel, daß die Wohnungen für die Betroffenen erhalten bleiben, ist
nicht erreicht worden«, so Hartmann Vetter, Hauptgeschäftsführer des
Mietervereins. Die Zahlen seien viel zu niedrig, da die Mieten, die
bereits jetzt bezahlt werden müßten, höher lägen. »Es wird vermehrt zu
Umzügen kommen«, so Vetter.
Die Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung geht derzeit zwar von einem »Wohnungsüberangebot« und
einer »schleppenden Nachfrage« aus. Allerdings nur in den höheren
Preissegmenten. Ein erhöhter Bedarf besteht dagegen bei preisgünstigem
Wohnraum. Die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage geht vor allem bei
billigem Wohnraum immer weiter auseinander. So übersteigt die Zahl der
Wohnungssuchenden das Angebot in diesem Bereich bereits jetzt um das
Dreifache.
Das die Berliner Koalition das Inkrafttreten der
Ausführungsvorschriften »zur Ermittlung angemessener Kosten der
Wohnung« nicht wie vorgesehen am 1. Juli diesen Jahres, sondern auf den
1. Januar 2006 verschoben hat, dürfte kein Zufall sein. Ziel des
Senates ist es offenbar, für Ruhe an der Mieterfront zu sorgen.
Schließlich will man sich im Wahljahr 2006 keine massenhaften
Zwangsumzüge leisten. Immerhin sind 280000 Haushalte und 26000
Sozialhilfeempfänger von der Entscheidung betroffen. Mit der
sechsmonatigen Übergangsfrist bis zum Juli 2006 – erst ab diesem
Zeitpunkt entscheiden dann die Fallmanager in den Agenturen für Arbeit,
ob die Miethöhe angemessen ist oder der Umzugswagen bestellt werden muß
– dürfte das Wahlvolk seine Stimme bereits abgegeben haben.