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Besuchszeiten für Familienangehörige eines Untersuchungsgefangenen

Archivmeldung vom 03.11.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 03.11.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Der Beschwerdeführer, der sich in Untersuchungshaft befindet, ist Vater einer im Februar 2006 geborenen nichtehelichen Tochter. Mutter und Kind nehmen regelmäßig gemeinsam eine Besuchserlaubnis in der Justizvollzugsanstalt wahr, die zweiwöchentlich zu einem Besuch von 30 Minuten Dauer berechtigt.

Für Ehepartner von Untersuchungsgefangenen sind in der Anstalt im Hinblick auf den besonderen Schutz von Ehe und Familie Besuchsmöglichkeiten von bis zu einer Stunde pro Woche vorgesehen; im Regelfall wird eine halbe Stunde pro Woche gewährt.

Ein Antrag des Vaters und des Kindes, die Besuchserlaubnis auf wöchentliche Besuche von einstündiger Dauer auszudehnen, wurde abgelehnt. Die seit langem bestehende Überbelegung der Anstalt lasse dies nicht zu. Da der Beschwerdeführer ledig sei, sei die anstaltliche Regelung für Eheleute auf ihn nicht anwendbar. Das Oberlandesgericht verwarf die hiergegen gerichtete Beschwerde. Den Anforderungen des Schutzes von Ehe und Familie sei genügt. Zu berücksichtigen sei, dass es sich bei der Beschwerdeführerin zu 2. um ein Kleinkind in den ersten Lebensmonaten mit altersgemäß noch sehr geringen Interaktionsmöglichkeiten handele. Im Vordergrund stehe daher vorerst der Aufbau einer emotionalen Bindung, während die bei einem größeren Kind unter Umständen anzunehmende Gefahr emotionaler Trennungsverluste und tiefgreifender Entfremdung in dieser Weise noch nicht bestehe. Ein Bedarf für der Erörterung und Regelung familiärer Probleme zwischen den Beschwerdeführern - der nach der Untersuchungshaftvollzugsordnung eine Ausnahme von den Regelbesuchszeiten erfordern kann - komme aufgrund des Alters der Beschwerdeführerin zu 2. nicht in Betracht. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob den angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts auf, da er Vater und Kind in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz von Ehe und Familie) in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG (allgemeiner Gleichheitsgrundsatz) und den Vater darüber hinaus in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG (Elternrecht) verletze. Die Sache wurde an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Der Beschluss lässt bereits nicht erkennen, aus welchen Quellen sich die Annahme des Gerichts speist, für den Aufbau der Beziehung zwischen einem Elternteil und einem Kind in den ersten Lebensmonaten bedürfe es geringerer Kontaktmöglichkeiten als für die Vermeidung einer Entfremdung im Verhältnis zu älteren Familienangehörigen. Angesichts einschlägiger, großenteils auch bereits in das Allgemeinwissen übergegangener entwicklungspsychologischer Erkenntnisse über die Frühentwicklung des Kindes hätte dies näherer Begründung bedurft. Auch mit der allgemeinkundigen Tatsache, dass Kinder in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres häufig eine ausgeprägte Scheu vor nicht hinreichend vertrauten Personen entwickeln, und der sich aufdrängenden Frage, welche Bedeutung der beantragten Erweiterung der Besuchsmöglichkeit vor dem Hintergrund zukommt, hat das Gericht sich nicht auseinandergesetzt. Ebensowenig ist es auf den Umstand eingegangen, dass Eheleuten in der Regel auch die Möglichkeit schriftlicher oder fernmündlicher Kommunikation offensteht, während es für eine dem Aufbau einer Bindung zwischen den Beschwerdeführern zwingend des unmittelbaren Kontakts bedarf. Die vom Oberlandesgericht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zutreffend wiedergegebene Feststellung, dass die Entwicklung eines Kindes nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt wird, wäre grundlegend missverstanden, wenn sie dahin gedeutet würde, dass sie die Schutzwirkung des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG in Bezug auf die Möglichkeit des Kontakts zwischen Eltern und Kindern relativiert, soweit es dabei um quantitative Fragen wie die Dauer der zuzugestehenden Besuchsmöglichkeiten geht. Ebensowenig folgt aus dieser Feststellung, dass der grundrechtliche Schutz dieses Kontakts von geringerem Gewicht wäre, soweit er Kinder betrifft, mit denen eine geistige Auseinandersetzung noch nicht möglich ist. Der Entscheidung des Oberlandesgerichts ist auch keine sachliche Rechtfertigung dafür zu entnehmen, dass den Beschwerdeführern eine Ausdehnung der Besuchszeit nicht gewährt wird, während die Anstalt Eheleuten eine Erweiterung der Besuchsmöglichkeiten auf bis zu einer Stunde pro Woche zugesteht. Die angegriffene Entscheidung verletzt daher auch Art. 3 Abs. 1 GG, der vor sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierungen schützt.

Quelle: Pressemitteilung Bundesverfassungsgericht

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