Abmahnfalle für eBay-Kunden
Archivmeldung vom 12.11.2009
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.11.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAuf gewerbliche und private eBay-Nutzer rollt derzeit eine riesige Abmahnwelle zu. Der Finanznachrichtendienst GoMoPa.net sagt warum und wie man sich wehren kann.
1,4 Millionen Verkaufs-Artikel wie Angelruten, Parfums, Batterien oder elektrische Armbanduhren werden derzeit mit falschen Widerrufsbelehrungen auf dem Trödelmarkt eBay (5,6 Milliarden Jahresumsatz) im Internet angeboten. Die geschätzten rund 100.000 gewerblichen Händler, die diese Produkte mit fehlerhaftem Widerruf dort eingestellt haben, riskieren von Konkurrenten Unterlassungsklagen mit Strafen in Höhe von 10.000 bis 50.000 Euro. Ein Dutzend Anwälte haben sich in Deutschland darauf spezialisiert, diese Sünder aufzuspüren und mit Abmahnungen zu überziehen.
"Ja, das ist eine Abmahnfalle. Zum eigenen Schutz kann ich den gewerblichen Händlern auf eBay nur raten, ihren Auftritt auf einen abmahnsicheren Stand zu bringen", sagt der Rostocker Fachanwalt für Gewerbe- und Internetrecht Johannes Richard (42), Partner der Kanzlei Langhoff, Dr. Schaarschmnidt & Kollegen, gegenüber GoMoPa.net. Der Satz: "Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung" ist unzureichend. Er galt bis zum 31. März 2008. Ab dem 1. April 2008 hat der Gesetzgeber neue Formulierungen beschlossen, die zwar kaum einer versteht, aber die wiederum auch keiner abmahnt. Sie sind bis zum 11. Juni 2010 zu benutzen, dann tritt wieder per Gesetz eine neue Widerrufsbelehrung inkraft. Das Neue im Jahre 2010 wird vor allem sein, dass die augenblickliche Widerrufsfrist von einem Monat auf zwei Wochen verkürzt wird."
Die 1.900-Euro-Falle für private eBay-Verkäufer
Während die gewerblichen Benutzer ihren eBay-Shop-Auftritt relativ einfach (mit einem anwaltlichen Check) vor teuren Abmahnungen und Prozessen (alle Rechtsschutzversicherungen schließen Wettbewerbsrecht aus) schützen können, leiden seit kurzem viele ahnungslose nichtgewerbliche Trödler aus ganz Deutschland unter einer Welle von Massen-Abmahnbriefen einer offensichtlich nur zu diesem Zweck gegründeten Handelsfirma Sunset aus Sonthofen in Schwaben. Der Vorwurf von Sunset: Die eBayler würden zu viele oder gar neue Waren verkaufen und seien daher gewerblich. Da sie weder eine Anbieterkennung (Firmendaten) noch einen Widerruf hätten, müssten sie nun 1.000 Euro Vertragsstrafe an den Konkurrenten Sunset zahlen und außerdem noch 775,64 Euro Anwaltsgebühren und 172,55 Euro Recherchekosten an einen Internet-Detektiv übernehmen. Also insgesamt: 1.948,19 Euro. Hinzu kommen dann noch einmal 380 Euro für den eigenen Anwalt der Abgemahnten, weil auch hier keine Rechtsschutz wegen des Ausschlusses von Wettbewerbsrecht einspringt. Verkauft man dann seinen Trödel weiter, würden weitere 10.000 Euro Vertragsstrafe an Sunset fällig.
Sunset-Abmahnungen sind rechtsmissbräuchlich
Richard: "Abmahnungen sind nach Paragraph 8 Absatz 4 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) rechtsmissbräuchlich, wenn sachfremde Ziele dem Wettbewerbsrecht entgegenstehen, wenn es nur um das Einnehmen von Gebühren geht. Wörtlich heißt es im Gesetz: Die Geltendmachung der in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.
Der Rechtsmissbrauch der vermeintlichen Handelsgesellschaft Sunset ergibt sich hauptsächlich aus der Anzahl der Abmahnungen im Verhältnis zur Geschäftstätigkeit der Handelsfirma. Letzteres ist nicht zu erkennen. Aber unserer Kanzlei liegen allein 40 Abmahnungen und Unterlassungssaufforderungen der Firma Sunset gegen nichtgewerbliche Trödler auf eBay vor. Es gibt auch schon erste Unterlassungsklagen, die zu rechtskräftigen Zahlungstiteln werden, wenn man keinen Widerspruch dagegen einlegt. Anhand des Datums und der laufenden Nummern der Abmahnschreiben können wir nachvollziehen, dass Sunset vor kurzem innerhalb von zehn Tagen sogar 70 Abmahnungen über die Kanzlei von Christof Sonnenberg (Steuerrecht) und Maria Sonnenberg (Scheidungsrecht) aus Kempten in Bayern rausgeschickt hat.
Das ist für eine Zwei-Mann-Kanzlei, zumal mit Wettbewerbsrecht gar nicht vertraut, sehr ungewöhnlich. Übrigens enthalten die Schreiben immer dieselben vorgefertigten Wortbausteine. Also wie am Fließband. Das lohnt sich allein schon für die Kanzlei der Firma, die in der Abmahnszene vorher noch nie in Erscheinung getreten ist. Die Kanzlei bekommt in jedem Fall pro Schreiben 775,64 Euro Gebühren. Bei 70 Abmahnungen wären das 54.294,80 Euro Anwaltsgebühren in nur zehn Tagen. Genau darum scheint es hier zu gehen."
Wer sind die Abmahnopfer?
"Einige haben eine Erbschaft gemacht und verkaufen etliche Stücke aus dem Nachlass. Andere lösen ihre DVD-Sammlung auf. Eine Mutter von fünf Kindern wollte sich nur von überflüssigen Kindersachen und Spielzeug trennen", zählt Richard auf. Eine Rentnerin wollte lediglich ihre 30 DDR-Bücher zu je einem Euro Mindestgebot bei eBay versteigern.
Wie kommen die Abmahner an die Adressen ihrer Opfer?
Richard: "Bei den gewerblichen Händlern ist das recht einfach. Die müssen ja von Hause aus Ross und Reiter nennen. Da reicht es, wenn man falsche Widerrufsformulierungen in Anführungsstrichen in die Suchmasken von eBay oder Google eingibt, und schon werden alle Betreffenden aufgelistet. Mindestens 70 Prozent der gewerblichen Händler haben so ein Abmahnproblem. Trotz der gefundenen Fehler setzen sich die gewerblichen Händler jedoch meistens zur Wehr, weil sie die Schäden für die Konkurrenten bezweifeln und für den Rechtsstreit über das nötige Geld verfügen. Die Kleinen, sprich die Privattrödler, sind meist unerfahren und weit weniger wehrhaft. Viele zahlen schlichtweg aus Angst und stellen die Trödelei danach ein. Auf diese privaten Händler haben es Firmen wie die Sunset abgesehen. Die Sunset beauftragt dafür Scheinkäufer, die bei solchen eBay-Verkäufern einkaufen, die mehrere Waren gleichzeitig anbieten, so gannte Vielfach- oder Mehrfachanbieter. Ferner teilt eBay im Rahmen des Veri-Programms Anmeldedaten von Mitgliedern mit."
Wer ist diese Handelsgesellschaft Sunset eigentlich?
Die vermeintliche Konkurrentin der vielen Kleintrödler auf eBay heißt Birgit Richtsteig. Die 51-jährige kommt aus Willich in Nordrhein-Westfalen und ist die einzige Geschäftsführerin, Gesellschafterin und auch einzige Beschäftigte der Sunset Handelsgesellschaft Unternehmergesellschaft (UG) haftungsbeschränkt. Eine UG haftungsbeschränkt kann man als so genannte Mini-GmbH schon mit einem Euro in Deutschland gründen. Es haftet stets nur die Firma mit dem Firmenkapital. Birgit Richtsteig gründete die Minifirma mit einem Stammkapital von 100 Euro und ließ diese am 10. Juli 2009 am Amtsgericht Sonthofen registrieren. Firmensitz ist die Hochstraße 7 in Sonthofen.
Die Firma betreibt unter der Adresse www.sunset-net.de einen Online-Shop für Waren "gebraucht in Topzustand" oder auch "neu und originalverpackt". In den Abmahnbriefen gibt Sunset als geschädigte Konkurrenz einen Streitwert von 10.000 oder 6.000 Euro an. Im Sunset-Shop sind aber nur 20 Artikel gelistet. Das Angebot beginnt bei einem Handy-Aufkleber, der bei Anruf leuchtet, für 1,64 Euro. Und reicht über Taschenbücher wie Depression als Lebens-Chance für 4,95 Euro, Natürlich schlank mit Apfelessig für 3,95 Euro bis zum teuersten Produkt, einer Spielekonsole von Nintendo für 109,90 Euro plus jeweils 4.50 Euro Versand.
Nur wirklich bestellen kann man im Sunset-Shop nicht. Man muss sich zunächst einmal anmelden. Wenn man allerdings auf den Anmelde-Button klickt, kommt eine Fehlermeldung. Anrufen kann man die Firma nicht. Es gibt nur eine Faxnummer.
Die Sunset-Eigentümern Birgit Richtsteig ist zugleich Mitgesellschafterin der Unternehmensberatung Fair Field GmbH, die an derselben Adresse in der Hochstraße in Sonthofen residiert wie die Sunset UG. Diese Fair Field GmbH scheiterte im vergangenen Jahr vor Gericht als Trittbrettfahrerin für die Markenrechte auf das Nürnberger Eisbär-Baby Flocke. Der Nürnberger Tierpark hatte am 10. Januar 2008 beim Deutschen Patent- und Markenamt die Marke Flocke für wesentliche Markengruppen angemeldet. Drei Tage später war die Fair Field beim selben Amt und meldete die Rechte für "Flocke, das Eisbärbaby" und "Eisbär Flocke" an. Die Stadt Nürnberg erwirkte am 7. März 2008 eine Einstweilige Verfügung gegen die Fair Field GmbH. Der Richter konnten bei der Fair Field nicht erkennen, dass diese in der Lage wäre, die Rechte überhaupt zu verwerten. Die Stadt Nürnberg bezeichnete die GmbH als Trittbrettfahrerin, die die Marke Flocke zu Spekulations- und Sperrzwecken angemeldet habe.
eBay-Nutzern fiel auf, dass die im Shop von Sunset ausgestellten Waren bereits zuvor von der Fair Field auf eBay verkauft worden seien. Dabei gab es massive Beschwerden der Käufer auf eBay gegen die Fair Field. Die Käufer schrieben in ihren Bewertungen, dass es sich zum Beispiel bei den Spielen Mario Kart DS und Harvest Moon DS für die Nintendo-Konsole DS Lite um Produktpiraterie handelte. Ein Käufer schrieb am 14. Oktober 2009. "Fälschung? Kaufpreis erstattet, Original nicht lieferbar, obwohl 10 im Angebot." Die fairfield.web antwortete: "Bösartige Unterstellung. Achtung Verkäufer! Kunden meiden." Der Käufer konterte: "Vergleich mit 2 Originalen: Aufkleber + Anleitung anders, Originale laufen an DSi." Die Fälschungen liefen offenbar nicht auf DSi.
Die Internet-Domain des Sunset-Shops wurde am 9. Juli 2009 von einem Helmut Ament von der Worldsoft SA in Neuchatel in der Schweiz angemeldet. Administrator Helmut J. Ament ist einerseits ein bekannter Buchautor. Auf seiner Internetseite www.millionaer24.de bietet er seine Erfolgsgeschichte "Success Coaching" auf 120 Seiten mit CD und DVD für 400 Euro an.
Ansonsten sind Helmut Ament und seine Firma Worldsoft auch als Webhoster für die Collector Inkasso aus Herford im Teutoburger Wald in Nordrhein-Westfalen bekannt. Collector gehört zum Firmengeflecht von Frank Babenhauserheide aus Herford. Der Pferdehändler ist der deutsche Chef-Inkassoeintreiber für die Nutzlos-Abofallenseiten Firstload (25 Millionen Euro Jahreseinnahmen) und Megadownloads (30 Millionen Euro Jahreseinnahmen) von Gulli-Inhaber Valentin Fritzmann (26) aus Wien und dessen Vater, Dr. Robert Fritzmann (51), in Dubai.
Das Ausspionieren und Einsammeln von Adressen auf eBay übernimmt für Sunset die Firma web-Trace UG Netzrecherche aus Kempten. Geschäftsführer dieser Mini-GmbH mit auch nur 100 Euro Stammkapital ist ein Andreas Herman Honisch (33). Honisch hat seine Internet-Detektei am 3. August 2009 beim Amtsgericht Kempten auf seinen Namen angemeldet.
Seit dem 15. September 2009 tritt dieser Honisch bei eBay unter dem Namen itsegler auf. Am 7. November 2009 hatte er schon 85 Bewertungen. Was die Verkäufer nicht ahnten: Die Käufe waren nur Testkäufe und dienten zur Adressenfindung für Sunset und die Kanzlei Sonnenberg. Weitere Testkäufer für Sunset sind eBay-Mitglied claudia-sf (Mitglied seit 28. September 2009) mit 106 Bewertungen und top-tec (Mitglied seit 20. Januar 2002) mit 117 Bewertungen.
Weil die Zwei-Mann-Kanzlei Sonnenberg offensichtlich mit den vielen zu verschickenden Abmahnungen und Unterlassungserklärungen physisch überfordert ist, verpflichtete Sunset inzwischen noch eine zweite Kanzlei aus Kempten im Allgäu: die Anwälte Christian Fuchsberger (42) und Thomas Hoch (41). Die beiden werben damit, dass sie von ihren Auftraggebern nur eine Pauschalinkassovergütung von 20 Euro verlangen plus reale Gerichtskosten und Auslagen, egal, ob die Angemahnten zahlen oder nicht. Bei Fruchtlosigkeit einer Einstweiligen Verfügung dürfen Sie den Titel behalten und 30 Jahre lang einfordern.
Was kann man gegen die Abmahnung der Sunset unternehmen?
Richard: "Nicht zahlen. Keine Unterlassungserklärung abgeben. Widerspruch einlegen. Allerdings haben all unsere Mandanten ihren nichtgewerblichen Handel auf eBay eingestellt."
Kann mich jedes andere gewerbliche eBay-Mitglied abmahnen?
Richard. "Nein. Erforderlich ist ein Wettbewerbsverhältnis. Dieses ist nur dann gegeben, wenn der Wettbewerber ähnliche Waren oder Dienstleistungen wie Sie anbietet. Dazu muss er die Waren gar nicht im Internet anbieten. Es reicht, wenn er irgendwo einen Kiosk betreibt."
GoMoPa.net: Herr Richard, wir danken für das Gespräch.
Quelle: GoMoPa (www.gomopa.net / Siegfried Siewert)