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VW Skandal-Sensationsurteil durch Landgericht Offenburg: Händler muss neuen VW Tiguan liefern gegen Rückgabe des manipulierten PKW ohne Nutzungsentschädigung

Archivmeldung vom 21.03.2017

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 21.03.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
VW in Sorge
VW in Sorge

Bild: Eigenes Werk /OTT

Die Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH erstreitet ein weiteres sensationelles Urteil für einen geschädigten VW Tiguan Fahrer. Erneut ergeht ein verbraucherfreundliches Urteil im VW Skandal: das Landgericht Offenburg, 3 O 77/16 (nicht rechtskräftig) hat einen VW Händler mit Urteil vom 21.03.2017 verurteilt, einen neuen VW Tiguan aus der aktuellen Serienproduktion mit der Euro-6-Norm zu liefern gegen Rückgabe des manipulierten VW Tiguan, ohne dass der Geschädigte eine Nutzungsentschädigung bezahlen muss.

Nachdem bereits im Januar das Landgericht Regensburg, 7 O 967/16 einen Seat Händler zur Nachlieferung eines Seat Alhambra verurteilt hat, ist ein weiteres sehr verbraucherfreundliches Urteil zu Gunsten eines Geschädigten ergangen.

Der Geschädigte hatte von einem VW Händler aus dem Ortenaukreis im Januar 2014 einen neuen VW Tiguan Bluemotion 2,0l TDI mit 177 PS erworben. Nach Aufdeckung des VW-Skandals musste der Geschädigte feststellen, dass auch sein Fahrzeug vor den Manipulationen durch VW (Motor EA 189) betroffen ist. Im Januar 2016 verlangte der Kläger über die Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH die Nachlieferung eines neuen VW Tiguan gegen Rückgabe des manipulierten Tiguan ohne eine Nutzungsentschädigung bezahlen zu müssen. Dies lehnte der Händler jedoch ab, weshalb eine Klage vor dem Landgericht Offenburg erhoben wurde.

Das Landgericht Offenburg hat der Klage nunmehr vollumfänglich stattgegeben und wie folgt verurteilt:

"1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein mangelfreies, fabrikneues typenidentisches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit identischer technischer Ausstattung wie das Fahrzeug VW Tiguan, FIN: nachzuliefern, Zug um Zug gegen Rückübereignung des mangelhaften Fahrzeugs VW Tiguan, FIN:

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Neulieferung und mit der Rücknahme der in Ziffer 1 genannten Fahrzeuge in Verzug befindet.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.642.20 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 17.04.2016 freizustellen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte."

Das Landgericht Offenburg begründet seine Entscheidung wie folgt:

Der VW Tiguan ist mit einem Sachmangel behaftet, weil Einkäufer erwartet, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Bestimmungen entspricht. Dies ist nach Ansicht des Landgerichts Offenburg nicht der Fall, weil ein Entzug der Betriebserlaubnis drohe.

Das Landgericht Offenburg führt dann wörtlich weiter aus:

"b) Damit kann der Käufer nach seiner Wahl gemäß § 437 Nr. 1, § 439 Abs. 1 BGB Nachlieferung eines mangelfreien Fahrzeugs oder die Beseitigung des Mangels verlangen. Im Streitfall hat der Kläger die Nachlieferung gewählt, so dass er einen Anspruch auf Lieferung eines fabrikneuen Pkw VW Tiguan hat.

aa) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die Nachlieferung nach § 439 Abs. 3, § 275 BGB unmöglich wäre. Denn die Nachlieferung des streitgegenständlichen Pkw ist nicht unmöglich.

(1) Vorliegend lag eine Gattungsschuld vor. Eine Ersatzlieferung wird erst dann unmöglich, wenn die gesamte Gattung untergegangen bzw. mangelhaft ist (Palandt/Weidenkaff, BGB, 76. Aufl., § 439 Rn. 15). Im Streitfall ist zwar davon auszugehen, dass alle Fahrzeuge des Typs Tiguan aus der 1. Baureihe mit dem Dieselmotor EA 189 mangelbehaftet sind.

(2) Die Nachlieferung ist aber durch die Überlassung eines Fahrzeugs der aktuellen Baureihe des Tiguans, also des "Tiguan II", mit dem anderen Motor möglich. Der Auffassung der Beklagten, dass die Fahrzeuge der aktuellen Serienproduktion des Typs Tiguan einer anderen Gattung angehören, kann nicht gefolgt werden. Eine Gattung bilden alle Gegenstände, die durch gemeinschaftliche Merkmale (Typ, Sorte, u.U. auch Preis) gekennzeichnet sind und sich dadurch von anderen Gegenständen abheben. Über die Abgrenzung entscheidet der Parteiwille (Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 243 Rn. 2). Im Streitfall ist demnach die Regelung unter 6. der Neuwagen-Verkaufsbedingungen der Beklagten, die unstreitig in den Kaufvertrag mit einbezogen waren, zu berücksichtigen. Dort heißt es u.a.: "Konstruktions- oder Formänderungen, Abweichungen im Farbton sowie Änderungen des Lieferumfangs seitens des Herstellers während der Lieferzeit bleiben vorbehalten, sofern die Änderungen oder Abweichungen unter Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers für den Käufer zumutbar sind. Sofern der Verkäufer oder Hersteller zur Bezeichnung der Bestellung oder des bestellten Kaufgegenstandes Zeichen oder Nummern gebraucht, können allein daraus keine Rechte begründet werden."

Der Motor des "Tiguan II" hat 10 kw mehr (140 kw statt 130 kw) und erfüllt anstelle der EURO-Norm 5 die EURO-Norm 6. Weiterhin ist der "Tiguan II", gegenüber dem "Tiguan I", wie aus dem von den Beklagten eingereichten Artikel in der Zeitschrift Auto Motor Sport (Anlage B 10) ersichtlich, um einige Zentimeter größer, hat mehr Ladevolumen und die technische Ausstattung und das Design wurden leicht abgeändert. Diese Änderungen sind jedoch nicht so erheblich, dass man davon ausgehen könnte, dass der "Tiguan II" einer eigenen Gattung angehören würde. Der Vergleich der in der Anlage B 10 abgedruckten Lichtbilder ergibt eindeutig, dass die Abweichungen optischer Art als gering zu bewerten sind. Auch die technischen Veränderungen stellen nur leichte Veränderungen dar und sind nicht erheblich. Die Abweichungen sind gesamt als gering zu bewerten und wären dem Kunden nach Ziffer 6 der Neuwagen-Verkaufsbedingungen zuzumuten, falls die Volkswagen AG nach der Bestellung, aber vor der Auslieferung des Fahrzeugs an den Kläger die Produktion des "Tiguan I" eingestellt und auf den "Tiguan II" umgestellt hätte. Soweit die Beklagte darauf verweist, der "Tiguan II" basiere auf einem neuen modularen Querbaukasten, ist das unerheblich. Derartige technische Details sind in aller Regel für einen Verbraucher, der sich einen Pkw kauft, nicht von Bedeutung und ihm zumeist nicht einmal bekannt. Zudem verpflichtet Ziffer 6 der Neuwagen-Verkaufsbedingungen den Käufer gerade, auch Konstruktions- und Formänderungen hinzunehmen, sofern diese für ihn zumutbar sind, was hier wie ausgeführt angesichts der nur geringen optischen und technischen Veränderungen vorliegt.

bb) Die Beklagte ist auch nicht wegen Unverhältnismäßigkeit der Kosten der Nachlieferung berechtigt, diese zu verweigern mit der Folge, dass der Käufer nur noch Mangelbeseitgung verlangen könne, § 439 Abs. 3 BGB. Die Feststellung der Unverhältnismäßigkeit erfordert grundsätzlich eine umfassende Würdigung der in § 439 Abs. 3 BGB genannten Umstände, also der Kosten der vom Käufer gewählten Form der Nacherfüllung, des Werts der Sache in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage, ob die andere Art der Nacherfüllung für den Käufer erhebliche Nachteile hätte.

Die Beklagte kann sich für die Unverhältnismäßigkeit der Kosten der vom Kläger gewählten Nachlieferung aber nicht darauf berufen, dass die Nachbesserung durch das Aufspielen des Software-Updates Kosten von unter 100 Euro verursachen würde. Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, welche Kosten für das seitens der Volkswagen-AG geplante Software-Update anfallen und ob das Software-Update für den Kläger zumutbar wäre, kommt es nicht an. Denn zum maßgeblichen Zeitpunkt im März 2016 war die Mängelbeseitigung durch Nachbesserung in Form des Aufspielens eines Software-Updates unstreitig nicht möglich, da das Software-Update noch nicht aufgespielt werden konnte, da die Freigabe des Kraftfahrt-Bundesamts erst im Juli 2016 erteilt wurde.

(...)

(2) Maßgeblich ist demnach die Sachlage spätestens zu dem Zeitpunkt, als die Beklagte mit der Nachlieferung in Verzug geraten ist, also der 08.03.2016. Die maßgebliche Software existierte zu jenem Zeitpunkt noch nicht nicht bzw. hatte jedenfalls noch keine Freigabe vom Kraftfahrt-Bundesamt.

Die vom Kläger gesetzte Frist zur Nacherfüllung durch Nachlieferung zum 07.03.2016 war auch angemessen. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass der Kläger ihr zur Nacherfüllung eine Frist bis zum Vorliegen des zu jenem Zeitpunkt bereits von der Volkswagen-AG angekündigten Software-Updates hätte setzen müssen. Die Setzung einer derart langen Frist ist für den Käufer auch unter dem Gesichtspunkt, dass keine Gebrauchseinschränkung des Fahrzeugs vorlag, unzumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der "VW-Abgasskandal" bereits im September 2015 bekannt geworden ist und der Kläger negative Auswirkungen auf den Marktpreis ernstlich befürchten musste. Aus dem mit der Täuschung eingegangene unternehmerische Risiko von Strafzahlungen, Schadensersatzklagen und einem massiven, geschäftsschädigenden Imageverlust für die Volkswagen AG konnte jedenfalls Anfang 2016 nur der Schluss gezogen werden, dass es für die Ausgestaltung der Motorsoftware wichtige technische Gründe gab und eine andere Lösung technisch gar nicht oder nur mit hohen Kosten möglich sein würde (vgl. LG Hagen, Urteil vom 18.10.2016 -3 O 66/16, juris Rn. 65). Förden Kläger war Anfang 2016 noch weniger als jetzt abschätzbar, ob und wann für sein Fahrzeug eine technische, vom Kraftfahrt-Bundesamt akzeptierte Lösung gefunden werden würde und ob und wann das über dem Fahrzeug schwebende Risiko des Verlustes der Betriebserlaubnis und des Wertverlusts abgewendet werden kann.

c) Einen Anspruch auf Wertersatz für die vom Kläger gezogenen Nutzungen nach § 439 Abs. 4, § 346 BGB hat die Beklagte nach § 474 Abs. 1, Abs. 5 BGB nicht. Bei dem Kläger handelt es sich unstreitig um einen Verbraucher (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 02.11.2016 S. 38, Band II d.A. S. 401)."

Bei der Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH handelt sich bundesweit um den Marktführer im VW Abgasskandal: mit mehr als 35.000 Geschädigten und mehr als 1.600 laufenden Klageverfahren vetritt und berät die spezialisierte Kanzlei die meisten Betroffenen. Rechtsanwalt Dr. Ralf Stoll teilt mit: "Es handelt sich um ein weiteres Sensationsurteil. Der Kläger erhält ein neues Fahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion, ohne dass er für die bisherige Nutzung seines manipulierten Fahrzeugs eine Entschädigung an den Händler bezahlen muss. Wir führen bundesweit hunderte Gerichtsverfahren, die auf Nachlieferung ohne Nutzungsentschädigung gerichtet sind. Bei dem Urteil des Landgerichts Offenburg handelt es sich um einen weiteren Meilenstein in der Rechtsprechung zum VW Abgasskandal. Die Gerichte urteilen zunehmend verbraucherfreundlich."

Quelle: Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (ots)

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