Irrtümlich falsche Preisangaben entbinden Versandhändler nicht zwangsläufig von der Haftung
Archivmeldung vom 19.08.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFalsche Preisauszeichnungen befreien Online-Shop-Betreiber nicht zwangsläufig von der Haftung. In zwei von Rechtsanwalt Clemens Bergfort aus Essen im August diesen Jahres vor dem Amtsgericht Nürnberg-Fürth gegen den Versandhändler Quelle erstrittenen Urteilen stolperte der Versandhändler über automatisierte Bestellprozesse, in die er nicht eingreifen konnte und die zu einer verspäteten und damit rechtsunwirksamen Anfechtung bzw. zum Ausschluss des Anfechtungsrechts führten.
In beiden Fällen ging es um ein mit 199,99 Euro statt mit 1.999,99 Euro ausgezeichneten Flachbildschirm der Marke Philips und in beiden Fällen muss Quelle die Geräte zum niedrigeren Preis ausliefern.
Wer seinen Irrtum kennt und trotz dieser Kenntnis den Versand automatisierter Schreiben, die zum Vertragsabschluss führen, nicht unterbindet, hat kein Anfechtungsrecht. In der Urteilsbegründung (Az.: 360 C 2779/08) heißt es dazu: (....)Mithin wusste die Beklagte schon zwei Tage vor Fertigung und Versand dieses Schreibens und einige Stunden vor Generierung und Absendung ihrer E-Mail (.....), dass die von ihr in Gang gesetzte, bediente und beherrschte Maschine bei Bestellungen eines Kunden vor dem Wirkungszeitpunkt entsprechender Preiskorrektur in der Nacht zum 26 09.2007 und bei Lieferbarkeit des Produkts E-Mails mit bekanntem Inhalt mit einem Kaufpreis von 199,99 EUR pro Gerät generiert und absendet(...)Diesem Prozess musste die Beklagte nicht handlungsunfähig, quasi gefesselt, zusehen...(....) Briefe(....) kann man überdies aufhalten, bevor diese den eigenen Herrschaftsbereich verlassen."
Wer seinen Irrtum kennt, aber nicht unverzüglich eine Anfechtungserklärung abgibt, weil er aufgrund des angestoßenen, automatisierten Bestellprozess keinen Zugriff auf den Vorgang hat, hat seine Willenserklärung nicht rechtzeitig, weil nicht unverzüglich angefochten. In diesem Fall begründete der Richter seine Entscheidung (Az.:310 C 2349/08) damit, dass "Mängel in der kaufmännischen Organisation einem Kaufmann zuzurechnen sind, bei einem Großunternehmen kann eine Betriebsstruktur erwartet werden, die das schnellstmögliche Beschaffen von Daten von Kunden, gegenüber denen die Anfechtung erklärt werden soll, ermöglicht.(....) Es war nicht durch die Umstände des Falles, sondern durch Mängel der kaufmännischen Organisation bedingt, dass ein Schreiben erst mehr als 10 Tage, nachdem es verfasst wurde, auf den Weg zum jeweiligen Ansprechpartner gebracht werden konnte."
"Jedes gewinnorientierte Unternehmen sterbt danach, seine Prozesse zur Abwicklung von Bestellungen zu automatisieren und so die Effektivität zu steigern. Wie diese Beispiele aber deutlich vor Augen führen, sollten Online-Versandhändler immer darauf achten, dass sie einerseits in diese Prozesse jederzeit eingreifen können und andererseits die Kontrollmechanismen verbessern, um sich im Fall der Fälle nicht die Möglichkeit einer Anfechtung zu verbauen. Die schnellen Reaktionen von Otto Versand in einem ähnlichen Fall zeigen, dass man als Händler dem System nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Aber auch die Justiz muss sich der Dynamik des Online-Handels anpassen und dem Rechtsgefühl des Internet-Shoppers Rechnung tragen, der schnell und spontan einkaufen will. Dieser versteht den im Internetshop präsentierten Fernseher als Angebot im Rechtssinn, das er nur anzunehmen braucht. Die Lehre von der "invitatio ad offerendum" (Einladung zur Abgabe eines Angebots) kann er überhaupt nicht nachvollziehen kann", erklärt Rechtsanwalt Clemens Bergfort und fährt fort: " Angesichts des im Internet-Shops vorhandenen Warenwirtschaftssystems und der online in Sekundenschnelle erfolgenden Kreditprüfung des Käufers ist diese Rechtsfigur in Frage zu stellen".
(Az.: 310 C 2349/08 u. Az.: 360 C 2779/08; Urteile noch nicht rechtskräftig)
Quelle: Anwaltskanzlei Clemens Bergfort