Gerichtsurteil: Vorgabe des Justizministeriums zum Online-Widerrufsrecht ist rechtswidrig
Archivmeldung vom 03.08.2006
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Freigeschaltet durch Jens BrehlEine fehlerhafte Verordnung des Bundesjustizministeriums hat möglicherweise gravierende Folgen für den Online-Handel. Das Landgericht Halle hat in einem erst jetzt bekannt gewordenen Urteil bereits im Mai 2005 entschieden, dass das amtliche Muster für die Widerrufsbelehrung nichtig sei.
Im
schlimmsten Fall können Verbraucher nun viele Jahre alte Kaufverträge
widerrufen und die Waren gegen volle Kaufpreiserstattung zurückgeben.
Stein des Anstoßes ist § 14 Abs. 1 BGB-InfoV: Hier steht geschrieben, dass derjenige den gesetzlichen Vorschriften genügt, der einen Mustertext des Bundesjustizministeriums verwendet. Und da das deutsche Widerrufsrecht als äußerst kompliziert gilt, haben tausende Onlineshops dieses Angebot gerne angenommen. Wie sich jetzt zeigt, war die erhoffte Rechtssicherheit ein Trugschluss. Der Mustertext, so monierten die Richter, sei "undeutlich" und verstoße daher seinerseits gegen geltendes Recht (Aktenzeichen: 1 S 28/05).
"In juristischen Kreisen wurde die amtliche Widerrufsbelehrung
wegen zahlreicher Fehler schon seit ihrer Einführung im September
2002 heftig kritisiert", berichtet Carsten Föhlisch, Justiziar des
führenden Gütesiegelanbieters Trusted Shops. "Trotzdem ist das
Gerichtsurteil jetzt ein Schock, da erhebliche praktische
Konsequenzen drohen. Theoretisch ist für jeden Online-Einkauf, der
ohne korrekte Widerrufsbelehrung zustande gekommen ist, weiterhin ein
Widerruf möglich." Wer nicht ordnungsgemäß über seine Rechte
aufgeklärt wurde, kann auch nach Jahren von einem Kaufvertrag
zurückzutreten.
Die Richter am LG Halle bemängelten insbesondere die Formulierung zum Start der zweiwöchigen Widerrufsfrist. Dazu sagt der Mustertext: "Die Frist beginnt frühestens mit dem Erhalt dieser Belehrung." Durch die schwammige Wortwahl "frühestens" sei es für den juristischen Laien undeutlich, so die Richter, bis zu welchem Zeitpunkt er von seinem Widerrufsrecht Gebrauch machen könne. Trotz Kritik aus der Rechtswissenschaft hat das Bundesjustizministerium die bekannten Fehler bis heute nicht behoben.
Den betroffenen Online-Händlern rät Trusted Shops jedoch davon ab,
auf eigene Faust neue Formulierungen zu entwickeln, da ohne
juristischen Beistand eine hohe Fehlerwahrscheinlichkeit bestehe.
Auch das Weglassen einzelner Passagen des Musters sei mit Risiken
verbunden. Trusted Shops entwickelt derzeit für seine Mitglieder eine
alternative Widerrufsbelehrung.
Bis dahin sei das geringere Übel, das aktuelle Belehrungsmuster weiterhin zu verwenden. Denn nach Einschätzung von Trusted Shops steht der Mustertext seit 8.12.2004 im Rang eines Gesetzes und ist somit (für neue Kaufverträge) trotz seiner Mängel gültig. Sollten jedoch weitere Gerichte dem Urteil des LG Halle folgen und Händlern durch verspätete Warenrückgaben Schäden entstehen, sind Regressansprüche gegenüber dem Bundesjustizministerium denkbar.
Quelle: Pressemitteilung Trusted Shops GmbH