Bundesgerichtshof gibt bankfreundliche Rechtsprechung nach Machtwort des EuGH auf
Archivmeldung vom 18.11.2020
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Freigeschaltet durch André OttVerbraucherschützer mahnten seit Jahren: die in Deutschland seit 2010 üblichen Kreditverträge sind unklar, weil sie die Verbraucher insbesondere nicht ordnungsgemäß über den Beginn der Widerrufsfrist belehren. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Kritik seit jeher als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen und jahrelang zugunsten der Banken entschieden.
Machtwort aus Luxemburg
Mit Urteil vom 26.03.2020 (Az. C-66/19) hat der Europäische Gerichtshof allerdings entschieden: die bankübergreifend und in nahezu allen deutschen Kreditverträgen verwendete Klausel ("Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.") ist offensichtlich europarechtswidrig.
Rechtsprechungsänderung des BGH mach Millionen Autokreditverträge widerrufbar
Dieser Entscheidung hat sich der Bundesgerichtshof jetzt gebeugt, jedenfalls soweit es um Autokredite geht, von denen es in Deutschland viele Millionen gibt: Mit zwei Urteilen vom 27.10.2020 (Az. XI ZR 498/19 und XI ZR 525/19) hat der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben und entschieden, dass Kreditverträge, die die vorstehende Klausel enthalten, nicht ordnungsgemäß sind und daher grundsätzlich widerrufen werden können. Und das auch noch mehrere Jahre nach Vertragsschluss. Ausnahme: Die Bank hat sich exakt an ein im Gesetz abgedrucktes Belehrungsmuster gehalten. Diese Fälle kommen in der Praxis aber nur selten vor, wie auch die beiden jetzt entschiedenen BGH-Fälle belegen.
Rechtsanwalt Dr. Christof Lehnen von der Kanzlei Dr. Lehnen & Sinnig, die die Kläger beider Verfahren vertreten hat: "Die beiden jetzt vom BGH exemplarisch entschiedenen Fälle betreffen die Land Rover Bank und die Jaguar Bank. Allerdings finden sich die vom BGH neuerdings nicht mehr akzeptierten Klauseln seit 2010 in nahezu allen Kreditverträgen aller in Deutschland tätigen Autobanken. Und kaum eine Bank hat die gesetzlich vorgesehene Musterbelehrung so verwendet, wie es der Gesetzgeber vorgegeben hat. Daher sind Millionen Autokreditverträge widerrufbar, auch noch Jahre nach Vertragsschluss."
Wertverlust
Entgegen der Ansicht von Verbraucherschützern und mehrerer Landgerichte wie etwa in Berlin, Ravensburg, Stuttgart und Bayreuth meint der Bundesgerichtshof, der Verbraucher müsse sich jedenfalls dann Wertersatz für Wertverluste am Fahrzeug anrechnen lassen, wenn er über diese Pflicht belehrt wurde und der Wertverlust auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise nicht notwendig war.
Um zu klären, wie sich dieser Wertersatz konkret berechnet, hat der Bundesgerichtshof beide Verfahren zur weiteren Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Rechtsanwalt Dr. Christof Lehnen: "Wir halten diesen Teil der BGH-Entscheidungen für europarechtswidrig. Er ist auch mit dem deutschen Gesetz nicht zu vereinbaren. Möglicherweise muss der EuGH auch hier wieder ein Machtwort sprechen, um in Deutschland einen effektiven Verbraucherschutz zu gewährleisten. Wenn man gleichwohl eine Wertersatzpflicht annehmen wollte, dann umfasst diese nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes jedenfalls nicht solche Wertverluste, die unabhängig davon eintreten, dass der Verbraucher das Fahrzeug nutzt."
Was können betroffene Verbraucher jetzt tun?
Keinesfalls sollte der Widerruf einfach ins Blaue hinein und ohne vorausgegangene juristische Prüfung erklärt werden. Auch wenn viele Verträge inhaltlich wortgleich gestaltet sind, bedarf jeder Fall einer individuellen Prüfung. Es kommt für die juristische Bewertung auf jede Kleinigkeit an.
Autobesitzer, die ihr Fahrzeug finanziert oder geleast haben, sollten ihre möglichen Ansprüche von spezialisierten Rechtsanwälten prüfen lassen. Die Kanzlei Dr. Lehnen & Sinnig bietet hierzu eine kostenlose und unverbindliche Erstberatung an unter www.lehnen-sinnig.de
Quelle: Dr. Lehnen & Sinnig | Rechtsanwälte PartG mbB (ots)