Reizfigur Schornsteinfeger: Wird alles rund um die Kamine noch teurer und komplizierter?
Archivmeldung vom 09.08.2005
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.08.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Michael DahlkeLeserzuschrift von Helmut Ostberg. Schwarzwälder Bote - Die dritte Seite vom 5.08.2005
Deutschland muss sein Kehrmonopol abschaffen, macht dies aber auf bürokratische Art. EU wird nicht mehr allzu lange zuschauen.
Von Rainer Wehaus
Brüssel. Es gibt Leute, die behaupten. Deutschland könne sich vor lauter Vorschriften und Besitzständen nicht mehr bewegen. Echte Fortschritte, so sagen sie, gäbe es nur noch auf Druck des Verfassungsgerichts und der Europäischen Union. Wer sich die Reformarbeiten am deutschen Schornsteinfegerwesen anschaut, dem kommt «diese These fast zwangsläufig in den Sinn.
Die Klagen über teure, unnötige und zum Teil doppelte Arbeiten der Schornsteinleger sind alt. Wenn Bürger aufgerufen werden, unnötige Vorschriften zu melden, landen die Glücksbringer mit dem Monopol zum Messen und Kehren seit vielen Jahren stets auf einem Spitzenplatz,.
Wirtschaftsministerium in Berlin will viele Vorschriften erhalten
Getan hat sich gleichwohl lange Zelt nichts. Die deutsche Bürokratie drehte allenfalls an ein paar Stellschrauben. Denn mit dem System selbst, das den Brand- und Umwehschutz In Deutschland auf höchstem Niveau halten soll, ist sie eigentlich ganz zufrieden. Dann kam der 2. April 2003.
An diesem Tag leitete die EU-Kommission ein Verfahren gegen Deutschland ein. Die Wettbewerbshüter forderten die Bundesregierung auf, das Kehrmonopol abzuschaffen. Die genervten Hausbesitzer, die zuvor die EU mit Beschwerden überhäuft hatten, atmeten auf. Sie hofften auf rasche Abhilfe. Doch die Politik ging das heikle Thema langsam an. Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) war einer der Ersten, die sich im September 2003 der Forderung der EU anschlossen. Knapp ein Jahr später, als die erste Frist aus Brüssel bereits verstrichen war, folgte ihm Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD).
Der Beamtenapparat arbeitet allerdings mit viel Liebe zum Detail an der Umsetzung. Ziel ist es, möglichst viele Vorschriften und Besitzstande zu erhalten. Das Ergebnis ist entsprechend: Mehr als zwei Jahre nach der Mahnung der EU, hat das Bundeswirtschaftsministerium gerade mal ein Diskussionspapier fertig, dessen Inhalt zudem von allen Selten abgelehnt wird.
Den Schornsteinfegern geht der Entwurf zu weit, die Hausbesitzer sprechen von einer; „Mogelpackung“. Auch die Bundesländer, die einer Reform zustimmen müssen, haben fast einhellig Ablehnung signalisiert. Peinlich für Clement: Alle Betroffenen sind sich darin einig, dass sein Plan das System noch komplizierter und noch teurer machen würde. Dabei läuft die Aktion eigentlich unter dem Stichwort Bürokratieabbau.
Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Ernst Pfister (FDP) lässt an dem Entwurf denn auch kein gutes Haar; „Unsere Hauptkritikpunkte an dem System werden damit nicht beseitigt“, sagte er unserer Zeltung, „Für die Verwaltungen würde der Aufwand steigen und für die Bürger aller Voraussicht nach die Gebühren.“ „Er fordert „einen echten und fairen Wettbewerb und ein Ende der unnötigen Doppelmessungen“.
Die Reformarbeiten verlaufen auch deshalb so zäh, weil die Politik .dabei weniger die Millionen Hausbesitzer Im Blick hat, als vielmehr die 8000 Bezirksschornsteinfeger und deren Mitarbeiter. ,Es geht nicht um die Sache“, grollt Ottmar Wernicke, der die Hausbesitzer In Baden-Württemberg vertritt, „Es geht nur um die Versorgung einer bestimmten Berufsgruppe". Wernicke vermutet, dass die Schornsteinfeger-Lobby mal wieder ganze Arbeit geleistet hat. „Dagegen sind wir Waisenknaben“, sagt er. Und In der Tat; Mehrere Bundesländer, darunter auch unionsregierte, stehen fest an der Seite der Schornsteinfeger. Hinzu kommen finanzielle Interessen auf Selten des Bundes.
Der Bund will offenbar lieber weiterhin die Bürger zahlen lassen, bevor er selbst zur Kasse gebeten wird. Schornsteinfeger sind nämlich so etwas wie Beamte, Sie kümmern sich um Brand- und Umweltschutz Im Auftrag des Staates; Im Gegenzug muss dieser sie materiell absichern.
Würden nun die Schornsteinfeger dem Wettbewerb ausgesetzt, müsste der Staat ihnen, so sagen es zumindest die Beamten, die daraus resultierenden finanziellen Nachteile ausgleichen. Allein bei der zusätzlichen Altersversorgung, die derzeit über ein Umlageverfahren finanziert wird, kämen in den nächsten 30 Jähren 1,5 Milliarden Euro zusammen.
Da das Bundesfinanzministerium solche Mehrkosten strikt ablehnt, strebt das Bundeswirtschaftsministerium eine Lösung an, mit der das Kehrmonopol zwar formal aufgehoben wäre, die 8000 Kehrbezirke aber zugleich erhalten blieben. Ein Versuch, der die Experten im Landeswirtschaftsministerium in Stuttgart an die „Quadratur des Kreises“, erinnert. Allein schon auf Grund der Immer besser; werdenden Heizungsanlagen, die immer weniger Arbeit erforderten, sei eine Reduzierung der Zahl der Schornsteinfeger unausweichlich, beißt es dort.
Auch Im Praxistest Ist Clements Plan durchgefallen. Das Konzept sieht vor, dass sich zwar künftig jeder Hausbesitzer für Messung und Kehrung seinen Schornsteinfeger oder einen entsprechend ausgebildeten Heizungsinstallateur frei aussuchen kann. Zugleich soll es aber weiterhin einen Bezirksinhaber geben, der die Oberkontrolle ausübt.
Er hat aber als garantierte Einnahmequellen nur noch die Bauabnahmen und alle fünf Jahre die Feuerstättenschau.
Das Landeswirtschaftsministerium hat dieses Modell in einem Rollenspiel getestet. Ergebnis: Ein Kehrbezirk würde für Schornsteinfeger finanziell unattraktiv. Es sei denn, der Oberkontrolleur erhebt so saftige Gebühren, dass es einen Aufstand gäbe.
Zunft bleibt gelassen: In Brüssel laufen manche Verfahren 15 Jahre
Clements Entwurf muss nun überarbeitet werden. Die Zeit drängt. Bis Ende des Jahres hat die Bundesregierung der EU-Kommission einen Gesetzentwurf zugesagt. Insider gehen davon aus, dass sich Brüssel auf Grund der Neuwahl des Bundestags noch ein paar Monate hinhalten lässt. Aber nicht sehr viel länger. Dann würde Klage eingereicht. Und dann könnte es sein, dass vom deutschen Schornsteinfegerwesen gar nichts mehr übrig bleibt. „Der Europäische Gerichtshof wird das Kehrmonopol wegfegen“. Sind sich Insider sicher.
Die Schornsteinfegerzunft hingegen sieht keinen Grund zur Panik. Hans-Ulrich Gula, Landesinnungsmeister in Baden-Württemberg, räumt zwar ein, dass Reformen nötig seien. Zugleich aber hofft er darauf, dass sich Brüssel noch eine ganze Welle vertrösten lässt, „Es gibt EU-Verfahren“, sagt er, „die laufen schon seit über 15 Jahren.“