Oberlandesgericht bestätigt: Keine Pflicht zu kostenlosen Produktrückrufen
Archivmeldung vom 16.06.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIm Produkthaftungsrecht bahnt sich ein Umbruch an. Ende 2006 verweigerte das Landgericht Frankfurt am Main einem Hersteller in einem Streit mit einem Zulieferer die Erstattung von Rückrufkosten, weil eine Warnung des Herstellers an seine Kunden nach Ansicht der Richter ausgereicht hätte.
Jetzt hat das
Oberlandesgericht (OLG) Hamm nachgelegt: Bei Produktfehlern, die zu
Sicherheitsmängeln führen, muss der Hersteller nur innerhalb der
Gewährleistungsfrist kostenlos Ersatz leisten, so das Urteil vom 16.
Mai 2007 (Az: 8 U 4/06). In der Praxis finden sich meist
Gewährleistungsfristen von bis zu zwei Jahren.
Bislang ist kostenloser Austausch neu gegen alt bei Produktfehlern
auch nach Ablauf der Gewährleistung gängige Praxis in Deutschland.
Dementsprechend werden Rückrufe von Verbrauchern genauso wie von
gewerblichen Kunden vielfach als kostenlose Austauschaktionen
verstanden. Eine Rechtspflicht zum Austausch schadhafter Produkte
oder Teile auf Kosten des Herstellers besteht jedoch nach Ansicht der
Hammer Richter nur innerhalb von Vertragsbeziehungen und nur
innerhalb der Dauer der gesetzlichen Gewährleistung.
"Damit hat nun auch ein Oberlandesgericht bestätigt, dass es keine
Rechtspflicht zum kostenlosen Rückruf gibt", sagt Prof. Dr. Thomas
Klindt, Rechtsanwalt bei Nörr Stiefenhofer Lutz in München. Dieser
Trend in der Rechtsprechung müsse jedoch nicht notwendig auch eine
Änderung der Praxis nach sich ziehen. Die deutsche Industrie könne
ihn vielmehr als Chance nutzen, den Kundenservice und die Kulanz zu
betonen, die hinter millionenschweren Produktrückrufen steckten, so
Klindt weiter. In dem Fall des OLG Hamm verkaufte ein Hersteller
bewegliche Krankenhausbetten mit Motoren, die nicht gegen
Feuchtigkeit gesichert waren. In vergleichbaren Betten anderer
Hersteller lösten inkontinente Patienten Kurzschlüsse im Motor aus,
die zum Brand der Betten führen konnten. So kam es mehrfach zu
Bränden, bei denen Patienen starben. Der Hersteller formulierte eine
Produktwarnung, die er an sämtliche Kunden sandte. Darin bot der den
Krankhäusern einen Nachrüstsatz für die Motoren an. Kostenlos war die
Nachrüstung jedoch nur, wenn die Gewährleistungsfrist noch nicht
verstrichen war.
Die Kliniken und Kassen standen vor der Wahl, den Nachrüstsatz zu
kaufen, die Betten zu entsorgen oder sie nicht mehr als medizinische
Pflegebetten einzusetzen und abzurechnen. Sie entschiede sich für den
Kauf, verlangten dieses Geld später aber vom Hersteller zurück - dies
mit der Begründung, wegen des Rückruf-Charakters der Aktion hätten
sie ohnehin Anspruch auf eine kostenlose Reparatur gehabt.
Das sahen die OLG-Richter anders. Mit seiner Warnung habe der
Hersteller seinen rechtlichen Verkehrssicherungpflichten genügt.
Danach habe es bei den Kliniken und Kassen gelegen, Schaden von ihren
Patienten abzuwenden. Dazu seien sie auch aus
krankenversicherungsrechtlichen Gründen verpflichtet gewesen.
"Insbesondere für die strafrechtliche Verantwortung der Hersteller
ist das eine wichtige Weichenstellung", kommentiert Klindt. Mit den
beiden Urteilen läuft die Entwicklung in der deutschen Rechtsprechung
nach Angaben des Produkthaftungsexperten gegensätzlich zu den USA.
Dort erweiterten die Gerichte stetig die Verantwortung des
Herstellers. "Einige deutsche Unternehmen haben schon nach dem
Frankfurter Urteil begonnen, ihre Rückrufpraxis zu überdenken und
ihre Verträge mit entsprechenden Kostentragungsklauseln zu versehen",
sagt Klindt. "Dieser Trend dürfte sich nach der Bestätigung durch das
OLG verstärken, wenngleich die deutsche Industrie ihre Rückrufpraxis
nicht alleine nach deutschen Rechtsvorgaben abwickeln kann."
Rechtskraft erlangt das Urteil frühestens am 30. Juni. Die
Revision zum Bundesgerichtshof hat das OLG Hamm nicht zugelassen. Die
unterlegene Klägerin kann allerdings versuchen, die Revision mit der
Nichtzulassungsbeschwerde zu erzwingen.
Quelle: Pressemitteilung NÖRR STIEFENHOFER LUTZ