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Kritische Richter und Staatsanwälte: Befangenheit eines Richters im Verfahren gegen die Plattform X (ehemals Twitter)

Freigeschaltet am 05.03.2025 um 08:55 durch Sanjo Babić
Bild: Screenshot Internetseite: "https://netzwerkkrista.de/2025/03/01/befangenheit-eines-richters-im-verfahren-gegen-die-plattform-x-ehemals-twitter/" / Eigenes Werk
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Selten hat ein Befangenheitsantrag in Zivilverfahren in Deutschland Erfolg. Am 20. Februar 2025 war dies bei dem von der Antragsgegnerin, der Social-Media-Plattform X (ehemals Twitter), gestellten Befangenheitsantrag gegen einen Proberichter der 41. Zivilkammer des Landgerichts Berlin II anders. Dies berichtet Clivia von Dewitz vom Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA).

Weiter berichtet von Dewitz: "Dieser war als Einzelrichter dem Antrag der Democracy Reporting International (DRI) und des zuständigen Projektleiters im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nachgekommen und hatte im Eilverfahren – ohne Anhörung der Antragsgegnerin – durch Beschluss am 6. Februar 2025 die Plattform X angewiesen, den Antragstellern „ab sofort bis zum 25. Februar 2025 einen unbeschränkten Zugang zu allen öffentlich verfügbaren Daten der Plattform zu gewähren“, „einschließlich Daten in Echtzeit“. 

Die Antragsteller hatten sich bei ihrem Antrag auf Art. 40 Abs. 12 des Digital Services Act gestützt. Danach werden Anbieter sehr großer Online-Plattformen oder Online-Suchmaschinen unter bestimmten Voraussetzungen dazu verpflichtet, bestimmten Forschern unverzüglich Zugang zu relevanten Daten zu gewähren, soweit sie öffentlich zugänglich sind.

Juristisch brisant an dem Fall ist, dass der Richter von Januar bis März 2023 seine Referendarstation bei einem die Antragsteller des Verfahrens unterstützenden Verein, nämlich der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) abgeleistet hatte, wie sich seinem LinkedIn-Profil entnehmen lässt. Die Anwälte, die seit Jahren für GFF tätig sind, sind auch für die Anwaltskanzlei MK8 zuständig, die den Antrag hier eingereicht hat. Wie die Pressesprecherin von GFF mitteilte, sei es seit Jahren die strategische Prozessführungstaktik von GFF, Fälle anderer Vereine und Gesellschaften in grundrechtsrelevanten Verfahren juristisch zu unterstützen und etwa die Antragsbegründungen zu schreiben. So sei es hier auch gewesen. Auf der Homepage von GFF heißt es: „Gemeinsam mit Democracy Reporting International (DRI) haben wir im Eilverfahren einen großen Erfolg erzielt.“ Damit drängt sich die Besorgnis der Befangenheit geradezu auf. GFF war selbst überrascht darüber, dass der Richter diesen Fall nicht wegen Besorgnis der Befangenheit abgegeben hatte. Doch wann liegen die Voraussetzungen für die Ablehnung eines Richters als befangen vor?

Zu den Voraussetzungen einer Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit

Zunächst gilt der Grundsatz des gesetzlichen Richters, niedergelegt in Art. 101 GG. D. h. der Geschäftsverteilungsplan des zuständigen Gerichts bestimmt, welcher Richter für welche Fälle zuständig ist. Ein eherner Grundsatz eines jeden Rechtsstaates. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen ein Richter „von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes“ ausgeschlossen ist, wie es in § 41 ZPO heißt. Das betrifft z. B. Verfahren, in denen nahe Verwandte oder der Ehepartner des Richters Partei des Rechtsstreits sind oder in denen der Richter in anderer Weise mit der Sache vorbefasst war, etwa als Rechtsanwalt oder Mediator, oder als Zeuge oder Sachverständiger zu dem Verfahren bereits vernommen worden ist.

In bestimmten Fällen hat der Richter den Parteien Gründe zu offenbaren, die zu einer Besorgnis führen können, oder ein Ablehnungsverfahren einzuleiten. Das ist in § 48 ZPO geregelt. Der Richter muss, wenn ihm Tatsachen bekannt sind, die bei einer vernünftigen Partei auch nur den Anschein der Befangenheit erwecken könnten, diejenigen Tatsachen mitteilen, aus denen sich eine Besorgnis der Befangenheit ergeben könnte. Es liegt dann an den Parteien, den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen oder nicht. Alternativ kann der Richter ohne Antrag eine Entscheidung der Kammer über seine Ablehnung herbeiführen. Über ein Ablehnungsgesuch entscheidet in Zivilsachen die Kammer, der der Richter angehört, unter Ausschluss des abgelehnten Richters.

Dabei reicht es für die Ablehnung eines Richters in allen Fällen grundsätzlich nach § 42 Abs. 2 ZPO schon aus, dass die Besorgnis der Befangenheit besteht. Das ist dann der Fall, „wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen“. Was sind das in der Praxis für Fälle? Üblicherweise handelt es sich um Verfahren, in denen persönliche Beziehungen des Richters zu den beteiligten Parteien bestehen, etwa aufgrund früherer oder derzeitiger Geschäftsbeziehung (privates Auftragsverhältnis, angezeigte Nebentätigkeit etc.) oder aufgrund von Vorbefassung mit dem Sachverhalt, beispielsweise im Rahmen eines veröffentlichten Aufsatzes oder eines Social-Media-Posts.

Liegen Tatsachen vor, die Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters rechtfertigen könnten, und unterlässt der Richter eine solche Anzeige, so kann eine Partei des Rechtsstreits den Ablehnungsantrag stellen, sobald sie von diesen Tatsachen Kenntnis hat.

Die Problematik der Befangenheit des erkennenden Richters und dieses Falles allgemein

Dem Antrag von X auf Ablehnung des Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit dürfte daher zu Recht stattgegeben worden sein. Über den Widerspruch von X werden nun andere Richter zu entscheiden haben. Termin ist für den 13. März 2025 anberaumt.

Brisant ist nicht nur, dass der Richter hier eine Entscheidung in einem Verfahren getroffen hat, das eine Partei begünstigt, die von der GFF „unterstützt und koordiniert“ wird, wie es in der Entscheidung zur Befangenheit heißt. Weiter hat er die Gegenseite vor seiner Entscheidung nicht angehört und damit dieser keine Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Entscheidungen des Landgerichts Berlin, die im Rahmen von Eilverfahren ohne Anhörung der Gegenseite erfolgt sind, sind in letzter Zeit immer wieder vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden. Zuletzt durch Entscheidung vom 24. Mai 2023. In dieser Entscheidung betont das Gericht die Bedeutung des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit als Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess. Als „prozessuales Urrecht“ gebiete dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen. Entbehrlich sei eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen, nämlich dann, so heißt es in einer früheren Entscheidung, wenn ansonsten der Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens vereitelt würde, wie etwa im ZPO-Arrestverfahren, bei der Anordnung von Untersuchungshaft oder bei Wohnungsdurchsuchungen. Ob die Erforschung im Vorfeld der Bundestagswahl einen solchen Ausnahmefall darstellt, ist noch nicht entschieden worden.

Hier ist allerdings noch zu berücksichtigen, dass das Forschungsprojekt, wie sich aus dem Antrag ergibt, bereits 2023 von der DRI initiiert worden war. Schon am 17. April 2024 hatten die Antragsteller ihren ersten Antrag auf Zugang zu Daten bei der Antragsgegnerin gestellt. Am 28. November 2024 erklärte die Antragsgegnerin, X, dass sie keinen Zugang gewähren werde. Einen erneuten Antrag auf Zugang zu Daten, dieses Mal auf die Erforschung der Bundestagswahl beschränkt, stellten die Antragsteller erst am 22. Januar 2025, also längere Zeit, nachdem das Datum für die Bundestagswahl festgelegt worden war. Dies lässt zumindest Zweifel an der Dringlichkeit aufkommen.

Brisant ist in diesem Zusammenhang auch die Finanzierung der klagenden NGOs: Eine Bundestagsanfrage hat ergeben, dass Democracy Reporting International (DRI) von 2016 bis 2024 etwa 22,7 Millionen Euro aus dem Entwicklungshilfeministerium und dem Auswärtigen Amt erhalten hat. Hier fragt sich, ob des sich überhaupt noch um eine Nicht-Regierungsorganisation handeln kann, wenn eine derart hohe Förderungssumme aus Bundesministerien stammt. Die Gesellschaft für Freiheitsrecht (GFF) wird vor allem durch die Open Society Foundation des Milliardärs George Soros finanziert. Ob es den klagenden NGOs wirklich um Wahrung der Grundrechte und „einer rechtsstaatlichen Demokratie“ geht, darf vor diesem Hintergrund zumindest mit einem Fragezeichen versehen werden.

Rechtliche Konsequenzen bei Entscheidungen eines befangenen Richters

Was sind rechtlich die möglichen Konsequenzen dieser Nichtanzeige der Befangenheit und fehlenden Anhörung der Gegenseite?

In der Sache: Die von einem befangenen Richter getroffenen Entscheidungen bleiben zunächst einmal wirksam. Es wird sich zeigen, wie auf den von X eingelegten Widerspruch nach der anberaumten mündlichen Verhandlung durch andere Richter entschieden wird.

Für den Richter: Da es sich hier um einen Richter auf Probe handelt, könnte dieser entlassen werden. Die Anforderungen hierfür hängen von der abgeleisteten Dienstzeit ab. Dabei kann die Entlassung auf der fehlenden fachlichen oder charakterlichen Eignung beruhen, wobei die Beurteilung durch den Dienstherrn einem weiten, faktisch nicht gerichtlichen überprüfbaren Spielraum unterliegt. Je früher ein Richter auf Probe entlassen wird, desto geringer sind die Begründungsanforderungen.

In diesem Fall dürfte es davon abhängen, wie offensichtlich die Besorgnis der Befangenheit tatsächlich war und wie schwer insoweit die Nichtanzeige nach § 48 ZPO wiegt. Die GFF ist nicht einer der Antragsteller, sondern nur ein die Antragsteller unterstützender Verein. Allerdings haben die Anwälte der Antragsteller den Antrag der DRI auch im Auftrag der GFF erarbeitet. Die Anwälte mussten ihm aus seiner Referendarstation bekannt gewesen sein, ebenso diese strategische Prozessführung.

Wie sich dem Beschluss des Landgerichts Berlin bezüglich der Ablehnungsentscheidung entnehmen lässt, hat er darüber hinaus einige Posts der GFF bei LinkedIn „im Nachgang zu seiner Tätigkeit bei der GFF“ ausdrücklich „geliked“. So sei der „Eindruck nicht auszuschließen, dass sich ggf. der Richter mit den Zielen der GFF identifiziert haben könnte und damit den im hiesigen Verfahren geltend gemachten Ansprüchen nicht unvoreingenommen gegenüberstehen könnte“. In Fällen, in denen die Besorgnis der Befangenheit nicht offen zu Tage tritt, etwa weil wie hier GFF nicht Partei des Rechtsstreits ist, dürfte den Richter eine besondere Offenbarungspflicht treffen, um die Unabhängigkeit der Justiz zu gewährleisten. Fehlt es an einer solchen Selbstanzeige, liegt eine fehlende Eignung doch recht nahe.

Besonders in einer Zeit, in der der Justiz oft vorgeworfen wird, politisch beeinflussbar zu sein, ist es von zentraler Bedeutung, dass Richter mögliche Befangenheiten in politisch relevanten Angelegenheiten offenlegen. Sie sollten nur in Fällen entscheiden, in denen sie keine persönliche Verbindung zu einer der Parteien oder sie unterstützenden Gesellschaften haben und auch nicht den Eindruck erwecken, ihre Unabhängigkeit nicht mehr wahren zu können.

Insbesondere sind die Bestimmungen des Digital Services Act (DSA) eng auszulegen. Wie schon der pensionierte Richter Manfred Kölsch zutreffend festgestellt hat: „Ein aufmerksamer Blick hinter die Fassade der Rechtsstaatlichkeit offenbart, dass durch den DSA wissentlich das (…) von Artikel 5 Grundgesetz garantierte Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit ausgehöhlt wird.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Berliner Zeitung."

Quelle: Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA)

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