Landgericht Frankfurt: Wirtschaft zahlt Millionenbeträge für kostenlose Reparaturen im Rahmen von Rückrufaktionen ohne Rechtsgrund
Archivmeldung vom 01.11.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie deutsche Industrie und Versicherungswirtschaft zahlen jedes Jahr viele Millionen Euro für Produktrückrufe, ohne rechtlich dazu verpflichtet zu sein. Das ist das Fazit aus einem erst kürzlich veröffentlichten, rechtskräftigen Urteil des Landgerichts (LG) Frankfurt am Main vom 1. August 2006 (Az. 2-19 O 429/04).
"Die
Entscheidung ist ein Meilenstein in einem der wirtschaftlich
bedeutendsten Grundsatzstreite im deutschen Recht", sagt Michael
Molitoris, Experte für Produkthaftungsrecht bei der Kanzlei Nörr
Stiefenhofer Lutz in München, der die siegreiche Partei in dem
Verfahren vertreten hat. Es geht um die Frage: Ist ein Hersteller
verpflichtet, aufgrund seiner Produktbeobachtungspflicht fehlerhafte
Teile oder ganze Produkte kostenlos alt gegen neu auszutauschen -
auch nach Ablauf der Gewährleistungsfrist? Entgegen einer zunehmenden
Praxis, vor allem in der Automobilindustrie, lautet die Antwort nach
Ansicht der Richter: nein.
Das LG hatte über den Millionen-Regress eines Weltkonzerns gegen
einen Zulieferer zu entscheiden. Wegen eines defekten Bauteils rief
der Konzern viele Jahre nach Auslieferung Röntgengeräte zurück und
setzte neue Bauteile ein. Die Kosten dafür wollte er an den
Zulieferer weiterreichen. Das LG wies die Klage jedoch ab.
Die aus dem Deliktsrecht hergeleitete Pflicht zur Produktbeobachtung
verpflichte nur zur Abwehr von Gefahren, die von den Produkten
verursacht werden, nicht aber zum Austausch alt gegen neu, urteilten
die Richter. Für die Erfüllung der Produktbeobachtungspflicht
genügten daher Warnungen, Aufforderungen zur Stilllegung der Geräte
und das Angebot zum kostenpflichtigen Austausch des Bauteils. Einen
Anspruch auf Wandelung alt gegen neu gebe es nur nach
Gewährleistungsrecht und binnen einer Verjährungsfrist von zwei
Jahren. Darüber hinaus gehende Ansprüche auf Wandelung aus
Deliktsrecht würden gegen die Wertungen des Gewährleistungsrechts
verstoßen.
"Die klaren Worte des Gerichts werden die überfällige Diskussion über Umfang und Grenzen der Herstellerpflichten zum Produktrückruf neu entfachen", erwartet Molitoris. "Die wirtschaftliche Bedeutung der Grenze zwischen Haftpflicht und Kulanz für Industrie und Versicherungen ist kaum zu überschätzen."
Quelle: Pressemitteilung Kanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz