Verfassungsbeschwerde gegen Regelungen zur akustischen Wohnraumüberwachung zurückgewiesen
Archivmeldung vom 25.05.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Beschwerdeführer ist Mitglied der Humanistischen Union, Fraktionsvorsitzender in einem Stadtrat sowie Partner einer Anwaltskanzlei. Er wendet sich gegen § 100 c Strafprozessordnung, der die akustische Wohnraumüberwachung zum Zwecke der Strafverfolgung regelt.
§ 100 c StPO ist mit Wirkung zum 1. Juli 2005 neu gefasst worden, nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 3. März 2004 die Vorschriften der Strafprozessordnung zur akustischen Wohnraumüberwachung („Großer Lauschangriff“) teilweise für verfassungswidrig erklärt hatte.
Nach Auffassung des Beschwerdeführers erfüllen einzelne Regelungen des § 100 c StPO nicht die Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht in diesem Urteil aufgestellt hat.
Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die angegriffenen Regelungen werden den sich aus Art. 13 Abs. 3 GG und Art. 2 Abs. 1 GG ergebenden Anforderungen an die Rechtmäßigkeit eines Eingriffs in die räumliche Privatsphäre gerecht. Der Gesetzgeber hat die verfassungsrechtlichen Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 3. März 2004 entwickelt hat, beachtet.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 muss der Gesetzgeber hinreichende Vorkehrungen dafür treffen, dass Eingriffe in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung unterbleiben. Der Gesetzgeber hat sich bei der Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben in § 100 c Abs. 4 Satz 1 StPO für eine negative Kernbereichsprognose entschieden.
Danach darf die Maßnahme nur angeordnet werden, wenn auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass durch die Überwachung kernbereichsrelevante Äußerungen nicht erfasst werden. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den Kernbereich nicht positiv formuliert hat. In Anbetracht dessen, dass eine abstrakte, alle denkbaren Sachverhaltskonstellationen konkret umschreibende Definition des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nur schwer möglich sein wird, steht es dem Gesetzgeber offen, ob er eine allgemeine auslegungsfähige Formulierung wählt oder aber mittels der Konstruktion von nicht abschließenden Regelbeispielen eine noch weiter gehende Konkretisierung vornimmt. Die vom Bundesverfassungsgericht identifizierten Indikatoren für kernbereichsrelevante Gespräche - die Art der zu überwachenden Räume sowie der beteiligten Personen - haben Eingang in die Neuregelung des § 100 c Abs. 4 Satz 1 StPO gefunden.
Durch die Regelvermutungen in § 100 c Abs. 4 Sätze 2 und 3 StPO für Gespräche in Büro- und Geschäftsräumen sowie für Gespräche über Straftaten erfährt der unbestimmte Gesetzesbegriff des „Kernbereichs privater Lebensgestaltung“ weitere Konkretisierung. Damit hat sich der Gesetzgeber an den zentralen Aussagen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 orientiert und die gesetzlichen Vorschriften an dem Schutz der Privatsphäre ausgerichtet.
2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers wird der absolute Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung durch die Regelung des § 100 c Abs. 6 Satz 2 StPO nicht tangiert. Nach dieser Vorschrift dürfen Erkenntnisse aus Gesprächen, an denen ein naher Angehöriger oder eine andere durch ein Zeugnisverweigerungsrecht geschützte Person (§§ 52, 53 a StPO) beteiligt ist, nur nach Maßgabe einer Abwägung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verwertet werden. Die Regelung setzt eine zulässige, den Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht berührende Abhörmaßnahme voraus. § 100 c Abs. 6 Satz 2 StPO soll zusätzlich dem Umstand Rechnung tragen, dass mit der akustischen Wohnraumüberwachung das Zeugnisverweigerungsrecht ins Leere läuft, weil die Aussagen des Zeugnisverweigerungsberechtigten bereits im Rahmen der Abhörmaßnahme aufgenommen wurden.
3. Die Neufassung des § 100 c Abs. 4 StPO genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen auch, soweit der Gesetzgeber auf eine weitergehende gesetzliche Normierung des Personenkreises, für den eine Vermutung für kernbereichsrelevante Gespräche besteht, verzichtet hat. Der Kreis der Personen, bei denen eine Vermutung für kernbereichsrelevante Gespräche besteht, wird damit offen gelassen und ist der Auslegung zugänglich. Eine Beschränkung des Beweiserhebungsverbots auf Zeugnisverweigerungsberechtigte nach §§ 52 ff. StPO sieht die Neuregelung - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - gerade nicht vor.
4. Es bedurfte keiner gesonderten gesetzlichen Regelung, in der das Verbot einer Rundumüberwachung ausgesprochen wird. Der Gesetzgeber hat durch vielfältige Regelungen deutlich gemacht, dass eine von Verfassungs wegen stets unzulässige Rundumüberwachung, mit der ein umfassendes Persönlichkeitsprofil eines Beteiligten erstellt werden könnte, durch allgemeine verfahrensrechtliche Sicherungen auch ohne spezifische gesetzliche Regelung grundsätzlich ausgeschlossen sein soll. So enthält das Gesetz etwa Regelungen zur zeitlichen Begrenzung der Abhörmaßnahme und ordnet bei Anhaltspunkten für kernbereichsrelevante Äußerungen den unverzüglichen Abbruch des Abhörens an.
Es ist nicht erforderlich, die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Durchführung einer Maßnahme ausdrücklich und für alle Fälle gesetzlich anzuordnen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Ermittlungsbehörden den erkennbar gewordenen Willen des Gesetzgebers und die verfassungsrechtlichen Maßstäbe bei ihren Maßnahmen beachten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ermittlungsbehörden verpflichtet sind, den Betroffenen im Anschluss an die durchgeführte Wohnraumüberwachung gemäß § 100 d Abs. 8 StPO zu benachrichtigen und auf den nachträglichen Rechtsschutz hinzuweisen, so dass etwaige Verfassungsverstöße festgestellt werden könnten. Von Verfassungs wegen besteht jedenfalls keine Verpflichtung zu einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, solange keine Erkenntnisse vorliegen, dass die Ermittlungsbehörden gegen das verfassungsrechtliche Verbot einer absoluten Rundumüberwachung verstoßen.
5. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 lässt sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht entnehmen, dass eine automatische Aufzeichnung in jedem Fall von Verfassungs wegen zwingend unzulässig ist. Ein generelles Verbot automatischer Aufzeichnungen ist nicht ersichtlich, soweit keine Gefahr der Erfassung kernbereichsrelevanter Gespräche besteht.
Quelle: Pressemitteilung Bundesverfassungsgericht