Absolutes Verbot für politische Parteien, sich an privaten Rundfunkveranstaltungen zu beteiligen, verfassungswidrig
Archivmeldung vom 12.03.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.03.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Normenkontrollantrag von 232 Abgeordneten des Deutschen Bundestages gegen § 6 Abs. 2 Nr. 4 Hessisches Privatrundfunkgesetz, wonach es politischen Parteien und Wählergruppen verwehrt ist, sich direkt oder mittelbar an privaten Rundfunkunternehmen zu beteiligen, ist erfolgreich.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte mit
Urteil vom 12. März 2008 fest, dass die angegriffene Norm mit Art. 5
Abs. 1 S. 2 GG i.V.m. Art. 21 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Dem
Gesetzgeber steht es zwar frei, Parteien die unmittelbare oder
mittelbare Beteiligung an privaten Rundfunkunternehmen insoweit zu
untersagen, als sie dadurch bestimmenden Einfluss auf die
Programmgestaltung oder die Programminhalte nehmen können. Das absolute
Verbot für politische Parteien, sich an privaten
Rundfunkveranstaltungen zu beteiligen, ist dagegen mit der Verfassung
nicht vereinbar.
Der Gesetzgeber ist gehalten, bis zum 30. Juni 2009 den
Verfassungsverstoß durch eine Neuregelung zu beheben.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
I.
§ 6 Abs. 2 Nr. 4 HPRG ist formell verfassungsgemäß, insbesondere
hat das Land Hessen die Gesetzgebungskompetenz. Es handelt sich
nicht um eine Regelung des Parteienrechts, für die gemäß Art. 21
Abs. 3 GG eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes besteht, sondern
um eine des Rundfunkrechts. Unmittelbarer Regelungsgegenstand ist
das Verfahren über die Zulassung von privaten
Rundfunkveranstaltungen. Im Zusammenhang mit den
Zulassungsbedingungen, durch die u.a. auch andere staatsnahe
natürliche und juristische Personen aus dem Kreis der
Rundfunkveranstalter ausgeschlossen werden, wird deutlich, dass es
um eine umfassende Regelung zur Gewährleistung der Staatsferne des
Rundfunks geht.
II.
§ 6 Abs. 2 Nr. 4 HPRG ist jedoch materiell verfassungswidrig. Das
absolute Verbot für politische Parteien, sich an privaten
Rundfunkveranstaltungen zu beteiligen, verstößt gegen Art. 5 Abs. 1
S. 2 GG i.V.m. Art. 21 Abs. 1 GG.
- Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
enthält Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG einen Auftrag zur Gewährleistung
der Rundfunkfreiheit, der auf eine Ordnung zielt, die
sicherstellt, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im
Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck
findet. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG fordert zudem die Staatsfreiheit
des Rundfunks. Es ist dem Gesetzgeber daher versagt, Regelungen
zu treffen, die zulassen, dass der Staat unmittelbar oder
mittelbar ein Unternehmen beherrscht, das Rundfunksendungen
veranstaltet. In dem Beherrschungsverbot erschöpft sich die
Garantie der Rundfunkfreiheit gegenüber dem Staat aber nicht.
Vielmehr soll jede politische Instrumentalisierung des Rundfunks
ausgeschlossen werden.
Der Grundsatz der Staatsfreiheit ist auch im Verhältnis zu den
Parteien zu beachten. Zwar sind diese nicht dem Staat
zuzuordnen; jedoch besteht eine gewisse Staatsnähe der Parteien,
die eine Beachtung des Grundsatzes der Staatsfreiheit des
Rundfunks für die Ausgestaltung von Parteibeteiligungen an
Rundfunkveranstaltern notwendig macht. Die Parteien weisen
verglichen mit anderen gesellschaftlichen Kräften eine besondere
Staatsnähe auf. Sie sind ihrem Wesen nach auf die Erlangung
staatlicher Macht ausgerichtet und üben entscheidenden Einfluss
auf die Besetzung der obersten Staatsämter aus. Die Parteien
beeinflussen die Bildung des Staatswillens, indem sie in die
staatlichen Institutionen hineinwirken, vor allem durch
Einflussnahme auf die Beschlüsse und Maßnahmen von Parlament und
Regierung. Hierbei kommt es zu personellen Überschneidungen
zwischen politischer Partei und Staatsorgan. Der Grundsatz der
Staatsfreiheit des Rundfunks ist vom Gesetzgeber daher
grundsätzlich auch bei der Beteiligung von politischen Parteien
an der Veranstaltung und Überwachung von Rundfunk zu beachten.
- Bei der Zulassung von Bewerbern zum Privatrundfunk hat der
Gesetzgeber nicht nur die Meinungsvielfalt und die
Staatsfreiheit des Rundfunks zu beachten. Er muss auch die
Rechte privater Rundfunkbetreiber und die verfassungsrechtlich
abgesicherte Position der Parteien berücksichtigen. Parteien
können sich ebenso wie auf die Meinungsfreiheit grundsätzlich
auch auf die Rundfunkfreiheit berufen. Die
Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 GG ergänzen die
besondere, durch den Mitwirkungsauftrag des Art. 21 Abs. 1 S. 1
GG geprägte, Funktion der Parteien.
- Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum bei der
Regelung der Zulässigkeit der Beteiligung von Parteien am
Privatrundfunk. Ihm steht es frei, den Parteien die Zulassung
zur Veranstaltung von Privatrundfunk zu verwehren, soweit sie
bestimmenden Einfluss auf die Programmgestaltung oder
Programminhalte nehmen können. In diesen Fällen ist der
Ausschluss von Parteien zur Herstellung und Erhaltung der
Meinungsvielfalt im Rundfunk und zur Gewährleistung der
Staatsfreiheit geeignet, denn es bestehen Gefahren für die mit
der Verwirklichung der Rundfunkfreiheit verfolgten Ziele, vor
allem für die Staatsfreiheit des Rundfunks. Ein Verbot für
Parteien, sich mit bestimmendem Einfluss an privaten
Rundfunkunternehmen zu beteiligen, dient der Abwehr staatsnaher
Einflussnahme auf die inhaltliche Programmgestaltung. Der
Gesetzgeber darf nicht nur manifeste Gefahren unmittelbarer
Lenkung oder Maßregelung des Rundfunks abwehren, sondern auch
indirekten Einwirkungen wehren, mit denen Einfluss auf das
Programm oder Druck auf die im Rundfunk Tätigen ausgeübt werden
kann. Parteien können auch im Rundfunkbereich einen Einfluss
ausüben, der sich von einem als "staatlich" in Erscheinung
tretenden Einfluss der Mehrheitsparteien kaum unterscheiden
lässt. Deshalb sind jedenfalls diejenigen landesrechtlichen
Regelungen von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, nach
denen politischen Parteien, Wählervereinigungen und von ihnen
wirtschaftlich abhängigen Unternehmen und Vereinigungen eine
Erlaubnis zum Betreiben von Privatrundfunk nicht erteilt werden
darf. Allerdings ist der Gesetzgeber nicht gehalten, sich bei
der Begrenzung der Beteiligungsmöglichkeiten der Parteien an
Rundfunkunternehmen auf das Verbot einer Beherrschung im Sinne
von § 17 AktG zu beschränken. Entscheidend ist nicht allein der
nominale Anteil am Kapital oder an Stimmrechten, sondern der
tatsächliche Einfluss auf die Programmgestaltung oder die
Programminhalte. Es obliegt dem Gesetzgeber, hierfür geeignete
und nachvollziehbare Kriterien zu normieren.
- Demgegenüber bedeutet das absolute Verbot für politische
Parteien, sich an privaten Rundfunkveranstaltern zu beteiligen,
keine zulässige gesetzgeberische Ausgestaltung der
Rundfunkfreiheit. Das absolute Beteiligungsverbot verfehlt die
vom Gesetzgeber herzustellende angemessene Zuordnung der
verschiedenen Rechtspositionen. Die für die politischen Parteien
eintretenden Nachteile stehen auch bei Berücksichtigung der
weitreichenden Ausgestaltungsermächtigung des Gesetzgebers zum
Maß der Förderung der mit der Regelung verfolgten Ziele außer
Verhältnis. Das Verbot jeglicher mittelbarer und unmittelbarer
Beteiligung an privaten Rundfunkveranstaltern zwingt Parteien,
bei auch nur sehr geringfügiger Beteiligung ihre Anteile zu
veräußern, unabhängig davon, ob die Partei bei einer
geringfügigen Beteiligung überhaupt Einfluss auf das jeweilige
Rundfunkunternehmen ausüben könnte.
Rundfunkveranstalter und Bewerber um eine Zulassung werden durch
§ 6 Abs. 2 Nr. 4 HPRG ebenfalls in ihrem Recht aus Art. 5 Abs. 1
S. 2 GG betroffen. Gerade bezogen auf geringfügige Beteiligungen
können sich die betroffenen Unternehmen nur mit
außerordentlichem Aufwand und wohl nicht mit letzter Sicherheit
dagegen schützen, dass, etwa bei mehrfach gestuften
Beteiligungsverhältnissen, nicht doch eine mittelbare
Minimalbeteiligung einer Partei vorliegt, und laufen damit
Gefahr, dass ihnen der Widerruf oder die Versagung der Zulassung
droht.
Soweit von Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit von Absprachen und die Schließung von Koalitionen auch bei geringfügigen Beteiligungen als Rechtfertigung für ein absolutes Verbot von Beteiligungen einer Partei an einem privaten Rundfunkanbieter angesprochen wird, kann dieser Gefahr durch ein Gebot der Veröffentlichung aller Beteiligungen entsprochen werden.
Die Entscheidung ist zu II mit 5 : 3 Stimmen, im Übrigen einstimmig ergangen.
Quelle: Bundesverfassungsgericht