Lebensmittelsicherheit unter Verschluss
Archivmeldung vom 04.04.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.04.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Jens Brehl„Du darfst alles essen, aber nicht alles wissen“ ist eine beliebte Antwort bei allzu neugierigen Fragen. In Deutschland beschreibt sie jedoch leider die Realität für die Lebensmittelkonsumenten. In Zeiten, in denen über Kundenkarten, RFID-Chips und Adressenhandel alle verfügbaren Informationen über den Kunden gesammelt und ausgewertet werden, fällt der Kunde gegenüber dem Unternehmen was Inhaltsstoffe, Herstellung etc. der Ware betreffen in ein Informationsvakuum.
Ende letzten Jahres verbreitete sich ein Begriff wie ein Lauffeuer: Gammelfleisch. In bayerischen Kühlhäusern wurde tonnenweise verdorbenes Fleisch sichergestellt, ein Teil war jedoch schon in den Handel gelangt und beispielsweise an Wirte auf dem letztjährigen Oktoberfest in München geliefert worden. Die Routinekontrollen hatten versagt, erst aufgrund eines heißen Tipps aus der Branche wurden die Behörden aufmerksam. Hätten die Medien dieses Thema zusätzlich nicht hintergründig aufgegriffen, hatte der deutsche Verbraucher so gut wie nichts über die Vorfälle erfahren. Er hätte nicht gewusst, welche Ware beschlagnahmt wurde und welche Lieferanten involviert waren, denn dazu hat er kein Recht!
Deutsche Behörden geben besorgten Konsumenten keinerlei
Auskünfte. Der Konsument darf eben alles essen, aber nicht alles wissen. Es ist
eine verkehrte Welt, denn die Behörden sollten eigentlich die
Lebensmittelsicherheit aufrechterhalten und Schaden abwenden. Schaden wird auch
abgewendet: Bei den Unternehmen, die beispielsweise mit Gammelfleisch
handelten. Insider packten aus, dass es eine wahre Fleischmafia gäbe, die mit
verdorbenen Waren große Gewinne eingefahren würde. Wird man erwischt, wird
meist eine Geldbuße fällig, welche allenfalls den Gewinn ein wenig schmälert.
Da die Öffentlichkeit nichts erfährt, wird auch das Image des Unternehmens
nicht angekratzt. Wenn es nach der Bundesregierung ginge, würden diese
Machenschaften auch in Zukunft für den Bürger im Dunkeln verborgen bleiben.
Warum die regelmäßigen staatlichen Kontrollen dermaßen
versagt haben, liegt für einige Experten auf der Hand: Obwohl es zu wenige
Lebensmittelkontrolleure gibt, sollen von den 2.500 Stellen immer mehr abgebaut
werden. Martin Müller, Vorsitzender des Verbandes der Lebensmittelkontrolleure
klagt im Nachrichtenmagazin Focus: „Wir sind um die Hälfte zu wenig.“ In den
Medien ist auch hin und wieder die Rede von schlampiger Arbeit und Korruption.
Nun soll das Verbraucherinformationsgesetz die Lücke schließen und dem Konsumenten, der schließlich auch ein Wähler ist, wieder Vertrauen in die Lebensmittelsicherheit vermitteln. Zu Recht ist man dabei mehr als skeptisch, auch aus dem Grund, da der Bundesminister Horst Seehofer (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – BMELV) bei der ITX-Affäre (siehe „ITX Affäre und kein Ende“, raum&zeit Nr. 144) untätig blieb und ebenfalls die Weichen für den Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen in der deutschen Landwirtschaft gestellt hat. Er gilt daher eher als industrienah. Kritik kommt auch aus Politikerkreisen: Bärbel Höhn, Vize-Fraktionschefin der grünen Bundestagsfraktion antwortete auf die Frage, ob sie dem jetzigen Verbraucherschutzminister Horst Seehofer eine konzernkritische Politik zutrauen würde wie folgt: „Nein. Horst Seehofer ist ein Populist. Wenn er sich mit einer wichtigen Lobby anlegen müsste, das Thema in der Bevölkerung aber nicht so wichtig ist, dass sich damit Wahlen gewinnen lassen, dann wird er es immer bleiben lassen.“
So wird auch das Verbraucherinformationsgesetz eher als ein
weit reichender Schutz von Wirtschaft und Behörden vor Auskunftsbegehren von
Konsumenten angesehen.
Der Hauptgrund, warum das Gesetz als unzulänglich bezeichnet
wird ist der, dass kaum Transparenz geschaffen wird. Private Unternehmen müssen
Informationen nicht offenbaren, die unter Betriebs- und/oder Geschäftsgeheimnis
fallen. Die Behörden
müssen also nicht
über Inhaltsstoffe, Herstellungsverfahren etc. in Kenntnis gesetzt werden.
Praktischerweise bestimmen die Betriebe selber, welche Daten darunter fallen.
Gammelfleisch im Lagerhaus könnte man überspitzt als Betriebsgeheimnis
definieren. Soll ja keiner wissen! Auch im Nachhinein können Unternehmen Daten
als Betriebsgeheimnisse deklarieren und so eine Veröffentlichung verhindern.
Nun wäre der Konsument in der Beweispflicht, dass ein öffentliches Interesse
überwiegt und kein Geschäftsgeheimnis vorliegt. Ohne die Möglichkeit der Einsichten
ist das ein utopischer Gedanke. Da insbesondere bei Grenzwerten von Pestiziden
etc. kaum Daten zum Gesundheitsrisiko vorliegen und diese folglich deswegen,
wenn überhaupt, fast schon willkürlich
festgelegt werden, ist die Lebensmittelsicherheit oft nur eine hohle Phrase.
Auch müssen viele Inhaltsstoffe erst gar nicht angegeben werden, was auch
bedeutet, dass sie ungeprüft im Lebensmittel enthalten sind. Das Vorsorgeprinzip
lässt das Bundesministerium auch mit dem neuen Gesetz außer Acht.
Wird
ein Lebensmittel zurückgerufen, so erfährt auch in diesem Fall der Verbraucher
nicht den genauen Grund und erhält erst recht keine Hintergrundinformationen.
Somit fehlen dem Konsumenten wichtige Auskünfte, die sein Kaufentscheiden
beeinflussen würden. Sollte dennoch ein Informationsanspruch bestehen, beträgt
die reguläre Bearbeitungsfrist zwei Monate. Bei Betroffenheit eines
Unternehmens verlängert sich die Frist auf drei Monate, da man dem Unternehmen
die Gelegenheit geben möchte Stellung zu beziehen. Geht ein Unternehmen
gerichtlich gegen die Behörde vor, verlängert sich selbst bei Eilverfahren die
Verfahrensdauer auf mehrere Monate. Bei Hauptsachverfahren sind es schon Jahre.
In dieser Zeit sind unsichere Lebensmittel längst verkauft und konsumiert. Somit
ist das
Verbraucherinformationsgesetz völlig unzureichend und dient wohl eher der
Imagepflege der Bundesregierung.
Es geht aber auch anders!
Dass es auch anders gehen würde, beweist unser direkter Nachbar Dänemark. Hier ist den Lebensmittelsündern schon seit einiger Zeit das Lachen vergangen. 1998 wurde im dänischen Parlament beschlossen, dass man die Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen veröffentlichen wird. Verantwortlich ist das Ministerium für Lebensmittel, Landwirtschaft und Fischerei. Anders als in Deutschland ist die Lebensmittelkontrolle Staatsangelegenheit und daher gibt es überall einheitliche Richtlinien. In Deutschland dagegen gibt es von Bundesland zu Bundesland noch Unterschiede, da die einzelnen Länder verantwortlich sind, was jedoch erwogen wird zu ändern.
Im Jahr 2000 hat man in Dänemark die erforderlichen Daten zusammengetragen
und 2001 wurde ein einfaches und deswegen nicht minder geniales System
eingeführt, welches dem dänischen Verbraucher auf einen Blick verrät, wie es
mit der Lebensmittelqualität im betreffenden Betrieb bestellt ist. Je nachdem,
wie das Unternehmen bei der Lebensmittelkontrolle abgeschnitten hat, wird eine
Bewertung in Form eines Smileys vergeben. Insgesamt gibt es vier davon: Gibt es
keine Beanstandung ziert den Smiley ein breites Lächeln, bei kleinen Verstößen
wird das Lächeln schmaler, beim dritten Smiley erlischt es und bei groben Verstößen
verkehrt sich das Lächeln ins Gegenteil und der Smiley zieht eine saure Miene.
Jeder Betrieb, sei es eine Gaststätte, ein Supermarkt, Metzger etc. muss den Kontrollreport mit den Smileys deutlich sichtbar
im Eingangsbereich anbringen, ebenso wie die letzten fünf Bewertungen. Tut er
dies nicht, droht eine Geldbuße. Was genau beanstandet
wurde, wie z.B. Mängel in der Hygiene, ist auf dem Kontrollreport ersichtlich.
Die Smileys und die Kontrollreporte sind nach der
Prüfung des Betriebs in ein bis zwei Tagen im Internet abrufbar. So kann
sich ein Konsument bequem von zu Hause aus über die Qualität seiner Geschäfte
informieren und sogar Ergebnisse „abonnieren“. Liegt ein neues vor, wird ihm
dies automatisch per Email zugeschickt. Gegen ein
Ergebnis kann ein Betrieb Beschwerde einreichen, wenn er die Bewertung für
unberechtigt hält, jedoch ist es ihm dadurch nicht möglich die Veröffentlichung
zu verzögern. Den Unternehmen wird die Möglichkeit gegeben, Kontrollen
zu beantragen. Dies macht beispielsweise Sinn, wenn es bei einer vorherigen Kontrolle
Beanstandungen gab und das Smiley einen dementsprechenden Gesichtsausdruck
besitzt. Hat das Unternehmen die Fehler ausgemerzt, kann es sich noch einmal
prüfen lassen und bekommt dann im besten Fall eine gute Bewertung, wenn es
keine Mängel mehr gibt. Trotzdem bleiben die Ergebnisse der letzten drei Jahre
veröffentlicht und so kann nicht vertuscht werden, dass es einmal ein oder
mehrere Probleme gab. Die beantragten Kontrollen sind gegenüber den
Routinekontrollen, die etwa ein bis vier Mal pro Jahr stattfinden,
kostenpflichtig. In unserem Fall könnte der Verbraucher ersehen, dass es mit
der Lebensmittelqualität Probleme gab, diese aber beseitigt wurden. Ein ähnliches System gibt es auch für die Hersteller von
Lebensmitteln. Auf der gleichen Internetseite können sich Verbraucher über die
Ergebnisse der Lebensmittelkontrollen informieren. Hier gibt es zwar keine
Smileys, aber jeden Monat für jeden Betrieb die aktuellen Kontrollreporte.
Zufrieden erkennt die Regierung in Dänemark, dass sich die Disziplin beim richtigen Umgang mit Lebensmitteln durchsetzt. Wegen der Transparenz den Kunden gegenüber, liegt dies auch den Betrieben am Herzen. Bekamen 2002 70 % der dänischen Lebensmittelbetriebe ein voll lächelndes Smiley, so waren die 2005 schon 77 %.
Gesandter Botschaftsrat Ottosen der dänischen Botschaft in
Berlin hält diese Vorgehensweise für ideal, einfach und effizient. Es läuft
seit einigen Jahren ohne Probleme und würde sich auch in anderen Ländern
anbieten. Laut seinen Aussagen ist es sehr von Vorteil, dass in Dänemark die
Kontrollen einheitlich sind, denn nur so kann der Konsument Vergleiche ziehen.
Es wird auch großen Wert auf Erfahrungsaustausch gelegt.
Auch andere EU-Länder setzen auf Transparenz für die Konsumenten. In Großbritannien stellt die Food Standards Agency (FSA) nach dem Food Stanards Act Informationen über die Lebensmittelsicherheit bereit. Die Öffentlichkeit soll angemessen informiert werden, damit diese auch ihre Kaufentscheidungen entsprechend treffen kann. Die FSA hat die aktive Pflicht der Öffentlichkeit Informationen nicht nur bereit zu stellen, sondern diese auch in wissenschaftlicher und technischer Hinsicht zu überprüfen. Gegenüber den Verbrauchern gibt es Informationsansprüche.
In Norwegen gibt es bereits seit 1970 ein allgemeines
Informationsrecht der Öffentlichkeit gegenüber der Verwaltung.
Warum nicht bei uns?
Man kann nur spekulieren, warum sich Deutschland mit dem
Verbraucherschutz so schwer tut. Eine Antwort könnte massive Lobbyarbeit sein
gemischt mit einem Horst Seehofer, der schon einmal als „Untätigkeitsminister“
tituliert wird. Ein Kritiker der Politik ist beispielsweise die Deutsche
Umwelthilfe e.V. „Die Deutsche Umwelthilfe fordert ein
Verbraucherinformationsgesetz, das seinen Namen auch verdient. Es darf keine
Fortführung des bestehenden Kräfteungleichgewichts zwischen Verbraucherinnen
und Verbrauchern auf der einen und Behörden und Unternehmen auf der anderen
Seite geben“, macht Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin
Verbraucherschutz und Recht der Deutschen Umwelthilfe deutlich. „Deutschland
sollte sich ein Beispiel an anderen Ländern nehmen, die schon lange erkannt
haben, dass es die Aufgabe des Staates ist, Verbraucherinnen und Verbraucher durch
Transparenz zu schützen. Denn Transparenz fördert Qualität. Geheimniskrämerei und damit letztlich
eine faktische Privilegierung von schwarzen Schafen sind hingegen einem
modernen Staat in keiner Weise angemessen. Dies gilt generell, aber erst
recht auch in Fragen, die Lebensmittel und Umwelteinflüsse betreffen.“
Jedoch sollten nicht nur Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen einen wirklichen Verbraucherschutz fordern, sondern auch die Konsumenten, die durch die deutsche Verschleierungspolitik und schwammige Gesetzgebung direkt betroffen sind. Erst wenn der Politik deutlich gemacht wird, dass der Bürger den Verbraucherschutz als wichtig erachtet, wird auch gehandelt werden. Minister Seehofer muss endlich erkennen, dass er dem Wohl der Bürger verpflichtet ist und er selber das Rad nicht neu erfinden muss. Sicherlich würden ihm die dänischen Kollegen ihr „Smiley-System“ näher bringen. Die dafür nötige Infrastruktur ist getestet und seit Jahren erfolgreich im Einsatz. So bleibt zu hoffen, dass aus dem „Untätigkeitsminister“ eines Tages noch ein „Aktivminister“ wird.
Quellen:
- Gammelfleisch: Focus, Ausgabe Nr. 36, 04.09.06 und Focus Nr. 37, 11.09.2006
- „Das Verbraucherinformationsgesetz – Seehofer Feigenblatt“, Deutsche Umwelthilfe e.V.
- Zitat Bärbel Höhn: Greenpeace Magazin Nr. 1 2007
- Ebenfalls Greenpeace Magazin Nr. 1 2007 kleiner Bericht „Dänemark – Lebensmittelsünder haben nichts zu lachen“
- Eigene Recherche und Interviews, speziell mit Herrn Poul Ottosen von der dänischen Botschaft und Cornelia Ziehm von der Deutschen Umwelthilfe e.V.