"Interaktive" Glücksspiele im TV boomen, doch wird mit offenen Karten gespielt?
Archivmeldung vom 16.05.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.05.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittGlücksspiele im Fernsehen, bei denen sich der Zuschauer mittels einer Mehrwerttelefonnummer oder kostenpflichtiger SMS beteiligen kann, nehmen überhand. Unzählige Sender haben dieses Konzept, welches vor gar nicht langer Zeit als fragwürdig galt, aufgegriffen.
Sicherlich könnte ein interaktiver Sender heutzutage eine
Bereicherung der Medienlandschaft bedeuten und dem Sender entsprechende
Zuschauerzahlen und Umsätze bringen, aber muß es sich bei Interaktivität denn immer nur um Glückspiele
handeln?
Wir sind der Meinung „Nein“, zumal man auch seitens der Sender nicht immer ehrlich mit
seinen Zuschauer ist. Es wird heute mit sehr vielen Tricks gearbeitet,
von denen derjenige, der sich an den Glücksspielen beteiligt nichts ahnt. Er
ist meistens der Ansicht, daß er eine faire Chance hat, wenn er sich über eine
teure Telefonvorwahl daran beteiligt. Üblicherweise wird der Anrufer aber zunächst in
eine Art Telefonpool weitergeleitet, was von ihm unbemerkt bleibt. Dies
bedeutet aber, erst wenn die vom Betreiber des Gewinnspiels voreingestellte
Anruferzahl erreicht wurde, wird ein Teilnehmer per Zufallsgenerator aus dem
Pool ausgewählt und in die Sendung durchgestellt. Der Sender kann durch diese Methode genau den
gewünschten Umsatz für ein solches Gewinnspiel festlegen. Er spielt also immer
nur einen Bruchteil der vorher schon eingenommen Summe aus. Dies ist auch der
Grund, warum es bei vermeintlich einfachen Fragen so lange dauert, bis ein
Anrufer in das Studio durchgestellt wird. Wenn wenige Anrufer bei einem solchen Gewinnspiel teilnehmen bzw. die vorher
zu erreichenden Teilnehmerzahl wegen einer großen Gewinnsumme hoch eingestellt wird, muß der Moderator stark zum Anrufen animieren, wie man es bei den bekannten
Spielesendern täglich sehen kann. Wenn dann die Antwort auch noch
verkehrt war, die der Teilnehmer der ins Studio durchgestellt wurde gegeben hat,
dann hat der Betreiber bei der nächsten Spielrunde den kompletten ersten
Verdienst plus den Verdienst der nächsten Runde für sich. Hierdurch erklärt
sich auch, warum sich die Gewinnsummen nach einer bestimmten Zeit erhöhen können,
ohne daß der Sender weniger verdient. Im Gegenteil sein Umsatz erhöht sich so,
trotz höherer Gewinnausschüttung noch deutlicher. Es werden machmal deshalb gezielt Fangfragen gestellt bzw. kaum sehbare Fehler eingebaut um bei vermeintlich einfachen Fragen eine gewisse Zahl falscher Antworten zu provozieren.
Der Betreiber solcher Gewinnspiele kann sogar noch viel mehr. Er hätte die Möglichkeit Telefonnummern von Mitspieler, die schon einmal gewonnen haben, aus bestimmten Regionen oder Bereichen kommen oder die die Frage zu schnell erraten würden für eine Weiterstellung ins Studio blockieren. Der Anrufer merkt jedoch nicht, daß er geblockt ist und deshalb in der Warteschleife festgehalten wird ohne in das Studio durchgestellt zu werden. Er geht davon aus, daß er einfach Pech gehabt hatte. Man könnte sogar vorher die Nummer eines Teilnehmers, der entweder ein Bekannter des Betreibers sein könnte oder aus irgendwelchen Gründen gewinnen soll, vorher festlegen, daß nur diese Nummer von dem sogenannten „Zufallsgenerator" bzw. im richtigen Moment ausgewählt wird. Der Zuschauer am Bildschirm würde auch von diesem Schwindel nichts mitbekommen. Die Technik bietet heutzutage so viele Möglichkeiten, so daß ich nur die Wichtigsten genannt habe. Selbstverständlich würden diese ganzen Tricks auch bei Telefonumfragen oder Telefonvotings funktionieren. Den Anwendungsmöglichkeiten sind hierbei keinerlei Grenzen gesetzt. Solange der Zuschauer bzw. Anrufer glaubt er hätte eine faire Chance, werden die Sender an dem Konzept ihrer neu entdeckten Verdienstquelle nichts ändern, eher im Gegenteil es ist zu befürchten, daß immer mehr solcher dubiosen Mehrwertdienste angeboten werden.
Dabei gäbe es auch andere Möglichkeiten, um ihre faire Mehrwertdienstleistungen Geld zu verdienen. Man könnte beispielsweise zusätzliche Informationen einen Kunden über Mehrwertdienste zur Verfügung stellen (dies geschieht ja auch schon), man könnte den Kunden über eine Mehrwertnummer live an Diskussionen teilnehmen lassen, man könnte den Zuschauer über einen Mehrwertdienst bestimmte individuelle Programmteile selbst zusammenstellen lassen oder man könnte auch durch eine Mehrwertnummer Zugang zu bestimmten Bereichen und Dienstleistungen ermöglichen. Zugegeben ein Teil dieser Möglichkeiten läßt sich mit dem heutigen Fernsehen noch nicht realisieren, aber sobald sich das Internet TV bzw. IP-TV durchgesetzt hat, werden diese und noch viele andere Möglichkeiten machbar sein und ein komplett neues Fernsehen ermöglichen. Der Zuschauer wird dann nicht mehr nur Zuschauer sein, sondern interaktiv agieren können. Er wird dann auch hoffentlich nicht mehr von den Betreibern durch diese "blödsinnigen" Gewinnspiele, die die Betreiber übrigens als interaktiv Fernsehen bezeichnen, genervt werden, sondern endlich auch hier wirklich interaktives Fernsehen erleben.
Es entsteht gerade wieder eine neue Medienlandschaft, so wie damals das Aufkommen der Privatsender eine neue Landschaft gestaltet hat. Es werden die Karten wieder komplett neugemischt, so daß auch neue Sender, die die Zeichen der Zeit erkannt haben, eine Chance bekommen werden, um ganz nach oben zukommen.
Die Tage der Abzocke werden dann gezählt sein, wenn der
Zuschauer hier seine Möglichkeiten nutzt und durch die Medienvielfalt aktiv
sich an den Sendungen beteiligt. Doch so lange er nur einfach Konsument ist und
an die Ehrlichkeit der Medien glaubt, wird dieses Verhalten weiter ausgenützt
werden. Denn den Sendern geht es scheinbar schon lange nicht mehr darum die Zuschauer zu informieren, sondern darum wie noch mehr Gewinne erzielt werden können.