ITX: Drei Buchstaben – ein Skandal
Archivmeldung vom 12.07.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.07.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Jens BrehlSeit Monaten sind die Verbraucher in Deutschland von einem der größten Lebensmittelskandale der letzten Jahre stark betroffen und doch ist kaum jemand darüber im Bilde. Obwohl die Bundesregierung seit Monaten im vollen Umfang informiert ist, sieht sie keinen Handlungsbedarf. Anscheinend hofft man, daß sich das Problem von alleine löst.
IsopropylThioXanton (ITX) ist ein Farbfixierer und wird
speziell beim Bedrucken von Getränkekartons in der gesamten EU eingesetzt.
Bereits am 21. November letzten Jahres fand die italienische Geundheitsbehörde
Spuren von ITX in Babynahrung, die vom Schweizer Konzern Nestlé produziert
wurde. Man reagierte schnell, denn bereits am nächsten Tag beschlagnahmte die
Polizei die ITX-haltigen Produkte und Nestlé rief daraufhin die betroffene
Babynahrung zurück. Nach Angaben des Herstellers wurden zwei Millionen Liter
zurückgerufen, laut Behördenangaben waren es jedoch 30 Millionen Liter. Da die
betroffenen Nestléprodukte auch in Frankreich, Spanien und Portugal erhältlich
waren, wurden sie in den betroffenen Ländern ebenfalls vom Markt genommen. Die
Verpackungen der ITX-belasteten Produkte wurden von der niederländischen Firma
TetraPak geliefert, was Nestlé bestätigte.
Am 25. November letzten Jahres kam der weitere Schock für
die italienischen Verbraucher, denn nun hatte die Gesundheitsbehörde ebenfalls
in Babymilch von Milupa ITX-Rückstände entdeckt. Daraufhin erklärte Milupa am
28. November, daß ausschließlich Kindernahrung betroffen sei, die in Kartons
der Firma TetraPak ausgeliefert wurde. Deutsche Medien, wie die Berliner
Morgenpost berichteten davon.
Schnell wurde auch in bei uns heimischen Lebensmitteln aus
Getränkekartons ITX-Rückstände gefunden und bereits im Januar diesen Jahres
machte die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) Bundesminister Hort Seehofer auf die
Problematik aufmerksam. Man teilte der Behörde genau mit, in welchen Produkten
man ITX-Rückstände gefunden hatte und forderte den Minister zum schnellen
Handeln auf. Leider sah Herr Seehofer bisher wohl weniger einen Anlaß zum
Einschreiten. Auch die Tatsache, daß ITX zu keinem Zeitpunkt systematisch auf
mögliche gesundheitliche Folgen untersucht wurde, scheint nicht zu stören.
Der Fall ITX bleibt komplex. Da der Stoff mit der
Druckerfarbe auf der Außenseite der Verpackung verwendet wird, unterliegt er
keinerlei gesetzlichen Bestimmungen und daher wurde der Stoff bisher nicht auf
die Gesundheitsgefährdung untersucht. Bisher ist nur bekannt, daß er keine erbgutschädigenden
Eigenschaften besitzt. Dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) liegen außer
den Untersuchungen zur Erbgutschädigung bisher keine Daten über ITX vor und
somit kann das gesundheitliche Risiko unmöglich eingeschätzt werden, was
seitens des Instituts als unakzeptabler Zustand gesehen wird. Ebenso merkt das
Institut an, daß beim Bedrucken von Lebensmittelverpackungen weit über 1.000
Stoffe zum Einsatz kommen. Die Zusammensetzung der Druckerfarbe und das
Verpackungsmaterial bestimmen ob und in welchem Umgang Chemikalien im
verpackten Lebensmittel landen. Anders als viele andere Stoffe, die im Kontakt
mit Lebensmitteln eingesetzt werden, sind Druckfarben auf europäischer Ebene
nicht geregelt. Gespräche zwischen dem BfR, der Kunststoffkommission und
Vertretern der Druckfarbenindustrie unterstrichen, daß es technologisch derzeit
unmöglich ist, den Übergang der Stoffe aus den Druckfarben auf die Lebensmittel
zu vermeiden. Erst zwischen 2010 und 2015 will die Druckfarbenindustrie
verläßliche Daten liefern. Der Zeitpunkt der Bekanntmachung richtet sich nach
der zu erwartenden Menge der jeweiligen Chemikalie im Lebensmittel. Ein
weiteres Problem hierbei ist, daß die genaue Zusammensetzung der Druckfarben
nicht vollständige bekannt ist, da die Rohstofflieferanten gegenüber den Herstellern
nicht zur Offenlegung verpflichtet sind. Es sind momentan ca. 1500 verschiedene
Substanzen im Einsatz und jährlich kommen ca. 10 % neue Substanzen hinzu. Nur
weniger als ein Drittel der Substanzen ist überhaupt toxikologisch bewertet,
von den anderen Substanzen sind keine Daten bezüglich der Verträglichkeit und
Auswirkungen auf die Gesundheit des Konsumenten vorhanden.
Da dem BfR zu wenige Daten vorliegen, sieht das Institut die
Verantwortung die Gesundheit der Konsumenten zu wahren komplett in der
Industrie, wobei der Verband der Getränkekartonhersteller (FKN) gegenüber der
Deutschen Umwelthilfe e.V. im Januar betonte, daß es sich bezüglich ITX um ein
reines TetraPak-Problem handeln würde.
Noch während über ITX beraten wurde, wurden fleißig betroffene
Produkte verkauft. Die DUH sprach in diesem Zusammenhang über „eine Entsorgung
der betroffenen Fruchtsäfte durch die Kehlen der Verbraucher“, welches die
Vertreter in einer Sitzung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz (BMELV) am 06. Juli diesen Jahres mißbilligten. De facto
muß man der DUH jedoch beipflichten, denn nur vereinzelt wurden Produkte aus
den Verkaufsregalen geräumt. Wie man im Vermerk der Besprechung im BMELV vom
16. Februar diesen Jahres erfährt, ist behördenseitig der am Gespräch
beteiligten Bundesländer (dies waren: Baden-Württemberg, Bayern, Hessen,
Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt) keine Rückrufe von
Verpackungen mit ITX-Belastungen veranlagt worden, anders als in Italien.
In der Übergangszeit von Januar bis Anfang Juli, bis man ganz
auf ITX verzichten konnte, wurde seitens der Industrie DITX eingesetzt, welches
ITX sehr verwandt ist, jedoch konnte man die Verpackungen nun guten Gewissens als
„ITX-frei“ deklarieren und so wurde angeblich ab Januar diesen Jahres nur noch
„ITX-freie“ Ware in den Handel gegeben, ob das den Konsumenten beruhigen kann,
bleibt abzuwarten. Aktuell hat die DUH eine Klage zum Informationsbegehren eingereicht.
Der Konsument muß zeitnah über mögliche Risiken aufgeklärt werden und diese Verantwortung darf man nicht komplett in die Hände der Industrie geben, dies könnte fatale Folgen haben, denn welcher Hersteller möchte Umsatzeinbußen und Imageschäden riskieren? Der ITX-Skandal zeigt die Lücken und Schlupflöcher auf, hinter denen sich Industrie, Verbände und Bundesregierung verstecken können. Gerade die Bundesregierung ist dem Wohl der Bevölkerung verpflichtet und sollte diese Pflichten nicht auf die leichte Schulter nehmen.