Wie das Gehirn Ekel simuliert
Archivmeldung vom 13.08.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.08.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Oliver RandakLeser schlüpfen gedanklich in die Haut des Helden – und zwar mehr oder weniger buchstäblich. Reaktionen lassen sich bis ins Gehirn zurückverfolgen.
Was passiert im Kopf, wenn man ein Buch liest? Wenn man mit einem
Helden mitfiebert, seine Gedanken denkt, seine Gefühle fühlt? Ein Team
um den Hirnforscher Christian Keysers von der Universität Groningen
wollte es genauer wissen und ging der Sache mit einem
Kernspintomografen auf den Grund. Keysers und seine Kollegen konnten
erstmals nachweisen, was Literaten schon immer geahnt haben: Beim Lesen
schlüpft das Hirn in die Haut des Helden – und zwar mehr oder weniger
buchstäblich.
Die Studie, im Fachmagazin „Plos One“ (online, Band 3, Seite e2939)
erschienen, verlief folgendermaßen: Die Wissenschaftler legten
Testpersonen in einen Hirnscanner, wo sie verschiedene Geschichten zu
lesen bekamen. Eine Geschichte kreiste um das Thema Ekel. Es ging
darum, wie man mit einem stinkenden, betrunkenen Mann, der sich gerade
übergeben hatte, zusammenstieß. „Die Geschichte war zutiefst
widerwärtig und rief starke Ekelgefühle bei den Leuten hervor“, sagte
Hirnforscher Keysers dem Tagesspiegel.
Die Reaktion ließ sich bis ins Gehirn zurückverfolgen. So aktivierte
die Geschichte eine Struktur namens Insula besonders stark – ein
verblüffendes Resultat, da die Insula in erster Linie für die eigene
Körperwahrnehmung zuständig ist. Die Hirnstruktur wird üblicherweise
aktiviert, wenn man etwas Ekliges riecht oder isst, beispielsweise
verdorbenes Fleisch. „Lesen wir eine eklige Geschichte, nimmt unser
Gehirn einen ähnlichen Zustand an, als würden wir am eigenen Leib etwas
Ekliges wahrnehmen oder essen“, sagte Keysers. „Das Gehirn simuliert
innerlich den Zustand des Helden.“ Der Held wird im Kopf ein Teil des
Ich, nicht nur auf abstrakte, sondern auch auf konkrete, körperliche
Weise.