Der Messeler Ötzi - Rätsel um Erhaltung von Wirbeltierskeletten anhand fossiler Echsen geklärt
Archivmeldung vom 01.02.2012
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtWissenschaftler des Senckenberg Forschungsinstituts Frankfurt haben 47 Millionen Jahre alte Skelette fossiler Echsen aus der Grube Messel untersucht und festgestellt, dass sich die ursprüng-lichen Zusammenhänge der Skelettelemente während der Fossilisation nur wenig verändert haben. Die Studie ist kürzlich im Fachjournal „Palaeobiodiversity and Palaeoenvironments“ online erschienen.
Hier eine Rippe, dort ein Hüftknochen – Skelette von fossilen Wirbeltieren werden meist als mehr oder weniger chaotisch verstreute Knochenansammlungen abgelagert. Skelettelemente, die noch im anatomischen Verband liegen, sind sehr selten. Nicht so bei den Wirbeltier-Skeletten, die immer wieder im UNESCO-Welterbe Grube Messel ans Tageslicht gebracht werden.
„Weshalb die Skelette im Zusammenhang bleiben, wie in Messel, stellt für die Wissenschaft seit Jahrzehnten ein ungelöstes Rätsel dar“, sagt Dr. Krister Smith aus der Abteilung Messelforschung des Senckenberg Forschungsinstituts Frankfurt. Gemeinsam mit dem Paläontologen Dr. Michael Wuttke aus dem Referat Erdgeschichte der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz hat er anhand des außergewöhnlich gut konservierten Echsenfossils Geiseltaliellus maarius die Erhaltung im Messeler Maarsee untersucht.
Diese Art des etwa 30 Zentimeter langen, baumlebenden Reptils wurde bisher ausschließlich in der Grube Messel gefunden und ist mit den heutigen Eidechsen Mittelamerikas verwandt. Ähnliche Eidechsen gab es während der Zeit des Eozäns – vor etwa 55 bis 34 Millionen Jahren – häufig im damals tropisch-warmen Europa. Die erstbeschriebene Art der Gattung Geiseltaliellus stammt aus dem namensgebenden Geiseltal in Sachsen-Anhalt.
Der Basilisk aus dem Maarsee trug vermutlich einen kleinen Scheitelkamm und sein Schwanz – der bei Gefahr abgetrennt werden konnte – machte Dreiviertel seiner Körperlänge aus.
Nach ihrem Ableben sank die Echse – wie zahlreiche andere Wirbeltiere – als Leiche zum Seeboden hinab. Normalerweise beginnt nun die Arbeit von Mikroorganismen, die unmittelbar nach dem Tod alles organische Weichgewebe zersetzen, so dass ein Skelett letztlich in seine Einzelknochen zerfällt.
Die beiden Wissenschaftler haben die einzelnen Gelenkverbindungen der Echse detailliert analysiert und festgestellt, dass auch an den Messeler Skeletten bakterielle Zersetzungserscheinungen nachzuweisen sind. Der vollständige Abbau von Weichgeweben war jedoch über einen längeren Zeitraum gehemmt. Um eine derartige Konservierung zu erhalten, müssen bestimmte physikalische und chemische Voraussetzungen am Boden des Messel-Sees geherrscht haben.
„Das Bodenwasser des Messel-Sees war sauerstoff-frei“, erklärt Dr. Michael Wuttke und ergänzt: „Unter solchen Bedingungen sind Bakterien nicht in der Lage, die Fette von Leichen vollständig aufzulösen. Aus den frei gesetzten Fettsäuren bildete sich ein wachsartiges, zersetzungsresistentes Leichenwachs und die Kadaver konnten als so genannte ‚Fettwachsleichen‘ über mehrere Jahrzehnte hinweg bis zu ihrer vollständigen Einbettung im Seeboden überdauern, ohne zu zerfallen.“
Die Bildung von Leichenwachs – wissenschaftlich als Adipocire bezeichnet – ist bis heute gelegentlich ein Problem für Friedhofsverwaltungen. Leichname bleiben auf diese Weise auf Jahrzehnte hinweg erhalten. Was für die einen schwierig ist, ist für die anderen ein echter Glücksfall. Die in der Rechtsmedizin gut erforschte Leichen-Konservierung führte unter anderem zum berühmtesten Leichenwachsfund: die etwa 5300 Jahre alte Gletschermumie „Ötzi“ aus Südtirol.
Die Erhaltung von Ötzi weist deutliche Parallelen zur Konservierung der fossilen Wirbeltiere auf, die seit mehr als 150 Jahren in der Grube Messel gefunden werden. Wie der Mann aus dem Eis sind auch die gut erhaltenen Fossilien des Welterbes eine weltweite Besonderheit.
Die Publikation von Dr. Smith und Dr. Wuttke ist Bestandteil eines in Kürze erscheinenden Sonderheftes zum Thema Taphonomie der Fachzeitschrift „Palaeobiodiversity and Palaeoenvironments“.
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen (idw)