Gefährlicher Störfall in bulgarischem Kernkraftwerk Experte
Archivmeldung vom 24.04.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIm bulgarischen Kernkraftwerk Kosloduj ist es am 1. März dieses Jahres zu einem Störfall gekommen, der wesentlich gefährlicher war als bisher bekannt. Das berichtete der Berliner "Tagesspiegel" unter Berufung auf den bulgarischen Kernphysiker Gueorgui Kastchiev, der bis 2001 Leiter der bulgarischen Aufsichtsbehörde für das Kernkraftwerk war und heute im Institut für Risikoforschung der Wiener Universität arbeitet.
Nach Angaben von Kastchiev habe nach dem Ausfall einer
Hauptkühlmittelpumpe das Schnellabschaltsystem im Block Fünf der
Anlage weitgehend versagt. Von den 60 Kontrollstäben, die zum Stopp
der Kernspaltung benötigt werden, seien 22 in ihrer Aufhängung
stecken geblieben. Darum habe es schließlich sechs Stunden gedauert,
bis der Reaktor durch Beimengung eines chemischen Neutronenfängers im
Kühlwasser heruntergefahren werden konnte. "Das zentrale
Sicherheitssystem hat nicht funktioniert", erklärte Kastchiev im
Gespräch mit dem Tagesspiegel, das entspreche einer Autofahrt mit
Vollgas ohne Bremse. Das Versagen der automatischen
Kontrollstabeinfuhr sei bei einem Reaktor dieses Typs (WWER 1000)
besonders gefährlich, weil bei großen Leckagen die Kettenreaktion in
der Uranladung binnen zwei Minuten gestoppt werden müsse, um ein
Durchbrennen der Brennstäbe zu verhindern. Ohne die
Schnellabschaltung, so Kastchiev, "hätte in diesem Fall niemand die
Katastrophe aufhalten können".
Die bulgarische Aufsichtsbehörde informierte die Internationale
Atomenergie-Organisation verspätet über den Störfall und stufte ihn
auf Level Null der achtstelligen internationalen Meldeskala ein,
entsprechend einem "Ereignis mit geringer sicherheitstechnischer
Bedeutung". Damit werde "die wahre Bedeutung des Störfalls völlig
unterschätzt", kritisierte Reaktorexperte Kastchiev, der selbst 17
Jahre lang in der Anlage tätig war, in der 150 Kilometer nördlich der
Hauptstadt Sofia an der Donau insgesamt vier Reaktoren sowjetischer
Bauart betrieben werden. "Wenn so etwas passieren kann, stimmen alle
Sicherheitsanalysen nicht mehr," warnte er. Die Behörde in Sofia gab
trotz mehrerer Anfragen keine weitere Stellungnahme zu dem Vorfall
ab.
Quelle: Pressemitteilung Der Tagesspiegel