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Schwere in Potsdam und eine gravitätische Christbaumkugel

Archivmeldung vom 23.12.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.12.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
chwerefeldmodell der Erde (in stark überhöhter Form) Bild: Achim Helm, GFZ
chwerefeldmodell der Erde (in stark überhöhter Form) Bild: Achim Helm, GFZ

Wenn eine Kugel vom Weihnachtsbaum fällt und auf dem Boden zwischen den Geschen-ken zerschellt, dann liegt das an der Schwerkraft. Der weihnachtsgerecht mit einer roten Zipfelmütze verkleidete Physiker weiß: die Kugel wurde mit 9,81 Meter pro Sekunde-Quadrat in Richtung Erdmittelpunkt beschleunigt, und das reicht zum Zersplittern am Boden. Aber woher kommt dieser Wert für die irdische Gravitation?

Vor genau einhundert Jahren wurde erstmals die Erdanziehungskraft mit einer solchen Genauigkeit bestimmt, dass man diesen Messwert zu einem weltweit gültigen Referenzwert machen konnte. Im 1892 eingeweihten Potsdamer Geodätischen Institut auf dem Telegrafenberg maßen die Vorgänger des GeoForschungsZentrums (GFZ) mit Pendeln die Erdbeschleunigung mit einer solchen Präzision, dass dieser Potsdamer Absolutwert weltweit Gültigkeit erlangte. "Der damalige Direktor, Professor Robert Helmert, bewies eine großartige wissenschaftliche Weitsicht bei diesen Arbeiten," sagt Professor Reinhard Hüttl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ. "Mit Helmert wurde Potsdam zur Wiege der wissenschaftlichen Geodäsie."

Pendel auf dem Potsdamer Telegrafenberg

Mit der Veröffentlichung seines Berichts über die relativen Messungen der Schwerkraft mit Pendelapparaten in der Zeit von 1908/09 und ihre Darstellung im Potsdamer Schwe-resystem führte Emil Borrass das Potsdamer System als erstes international verwendetes Schwerereferenzsystem ein, das ein absolutes Schwereniveau definiert. Der Bezugswert basierte auf Reversionspendel-Messungen, die Friedrich-Jacob Kühnen und Philipp Furt-wängler in den Jahren 1898 bis 1904 im Pendelsaal des Geodätischen Instituts vorge-nommen hatten. Das basierte auf Erfahrung: Robert D. v. Sterneck war der erste, der im neu eingerichteten Institut Pendelmessungen vornahm. In zeitgemäß würdigem Ton vermerkte er: "Herr Director Helmert hatte die große Güte, den theilweise noch in Ausführung begriffenen Pendelsaal provisorisch soweit herstellen zu lassen, dass ich die Beobachtungen in demselben ausführen konnte. ...Es gereicht mir zur besonderen Ehre und größten Befriedigung, dass es mir vergönnt war, in Gegenwart des geistigen Schöpfers dieses Musterinstituts, Herr Directors Dr. Helmert, diesen, der Schwere auf der Erde ge-weihten Raum als Erster zu benützen." (v. Sterneck, 1893).

Nicht genau genug? Immer noch aktuell!

Das Potsdamer Schweresystem war mehrere Jahrzehnte das Standard-Referenzsystem, auf das alle Schweremessungen weltweit bezogen wurden. In den 1930er Jahren zeigten Messungen eine systematische Abweichung zum Potsdam Bezugswert, die durch Untersuchungen in den Folgejahren bestätigt wurde. Schwerewerte, die im Potsdamer Schwe-resystem definiert sind, liegen um 140 µm/s² zu hoch. Die letztendliche Ursache für diese Diskrepanz konnte bis zum heutigen Tag nicht völlig zweifelsfrei geklärt werden.
Auch heute gerät das Potsdamer Schweresystem nicht in Vergessenheit. Obwohl es im Jahr 1971 durch das International Gravity Standardization Net 1971 (I.G.S.N.1971) offiziell abgelöst wurde, findet es trotzdem noch in einigen Ländern Anwendung. Bei der Zu-sammenfügung von Datensätzen aus verschiedenen Ländern, fallen diese Schweredaten durch den genannten Versatz auf und müssen entsprechend korrigiert werden.

Beulen und Dellen: die Potsdamer Schwerekartoffel

Eine der wichtigsten Bezugsflächen für die Erdanziehung ist der mittlere Meeresspiegel. Wer am Ozean steht, sieht eine große, ebene Fläche, nämlich Normal-Null. Tatsächlich aber weist die Meeresoberfläche Hügel und Täler auf, auch ohne Wind, Wetter und Gezei-ten.
Ursache dafür sind regional unterschiedliche Anziehungskräfte aufgrund ungleichmäßiger Massenverteilungen im Erdinnern. Diese ziehen auch das Wasser an. Der Meeresspiegel stellt sich immer senkrecht zur Gravitationskraft und wenn diese Kraft etwas von der Seite wirkt, dann beult sich das Meer dort ein: südlich von Indien bildet der Meeresspiegel ein rund 110 Meter tiefes Tal, nördlich von Indonesien ein 85 Meter hoher Hügel. Wohl-gemerkt: es fließt dort kein Wasser hin, weil es sich um eine Fläche gleicher Erdanziehung handelt. Die Forscher des Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam haben hierfür ein Modell entwickelt: Das "Potsdamer Geoid" zeigt die Unregelmäßigkeiten im Schwerefeld der Erde in 15.000-facher Überhöhung: eine bunte, unregelmäßige, aber gravitätische Weihnachtsbaumkugel, die Potsdamer Kartoffel.

Quelle: Helmholtz-Zentrum Potsdam - Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

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