Quantenzauber im Molekül: springen statt schwingen
Archivmeldung vom 16.02.2012
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtSo gern ein Kind auf einer Schaukel an den höchsten Punkten der Bahn ist, muss es zwangsläufig auch durch den tiefsten Punkt schaukeln. Auf einer quantenmechanischen Schaukel wäre das anders: Dort könnte es zwischen den beiden Umkehrpunkten hin und her wechseln, ohne jemals in der Mitte vorbei zu kommen. Das wissen Physiker von Atomen, die in Molekülen gegeneinander schwingen und dabei bestimmte Abstände voneinander bevorzugen. Der Arbeitsgruppe von Reinhard Dörner an der Goethe-Universität ist es nun gelungen, dieses theoretisch vorhergesagte Phänomen mithilfe einer neu entwickelten „Quanten-Kamera“ sichtbar zu machen.
„Diese Bilder werden künftig in jedem Chemie-Lehrbuch zu sehen sein“, ist Prof. Reinhard Dörner vom Institut für Kernphysik überzeugt. Zwar hat zuvor niemand an dem Phänomen gezweifelt, aber es ist schon etwas Besonderes, wenn man ergänzend zu den quantenmechanisch berechneten Kurven auch Bilder von den tatsächlich gemessenen Aufenthaltsorten der Atome sehen kann. In diesem Fall handelt es sich um das einfachste schwingende System: zwei Wasserstoff-Kerne (Protonen), welche durch ein einziges Elektron chemisch gebunden sind, also ein ionisiertes Wasserstoffmolekül.
Um herauszufinden, wo sich die Protonen in dem schwingenden Molekül aufhalten, verfeinerte Lothar Schmidt, Wissenschaftler in der Arbeitsgruppe von Dörner, eine bereits bekannte Technik, bei der das Molekül durch Stöße mit einem Heliumatom aufgebrochen wird. Im langsamen Vorbeiflug nimmt das ionisierte Wasserstoffmolekül beim Stoß ein Elektron des Heliums auf. Etwa jedes zehnte neutrale Wasserstoffmolekül gerät dabei in einen angeregten elektronischen Zustand, der dazu führt, dass es auseinander bricht und als zwei einzelne Wasserstoffatome zum Detektor fliegt. Dabei wird der winzige Abstand der Protonen im Molekül zwischen den Bruchstücken wie durch eine Lupe vergrößert: Die Auftreffpunkte im Detektor spiegeln die ursprünglichen Abstandsverhältnisse im Molekül wider.
Das System wird durch diese als „Coulomb Explosion Imaging“ bezeichnete Technik vom Mikrokosmos der Quantenwelt in den Makrokosmos überführt, wo die Gesetze der klassischen Mechanik gelten. „Es steckt eine anspruchsvolle Physik dahinter zu verstehen, warum wir mit einer Ortsauflösung messen können, die nach den Regeln der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation nicht möglich ist“, sagt Dörner.
Und eine Menge Hartnäckigkeit und experimentelles Geschick: Als Lothar Schmidt vor anderthalb Jahren erklärte, er wolle die Auflösung der Apparatur so verfeinern, dass man die verschiedenen Schwingungsmoden der angeregten Moleküle sichtbar machen könne, waren Dörner und die anderen Wissenschaftler der Arbeitsgruppe skeptisch. Dazu muss man wissen, dass auch die Analyse der Heliumatome, die als Stoßpartner dienen, wichtige Informationen über den Anregungszustand der auftreffenden ionisierten Wasserstoffmoleküle liefern. Allerdings nur, wenn es gelingt, die Wärmebewegung der Heliumatome durch spezielle Kühltechniken mehr oder weniger einzufrieren. Denn sonst sind ihre Zitterbewegungen so stark, dass die zu messenden Molekülschwingungen im Rauschen untergehen. Dies war nur eine der Herausforderungen, die Schmidt zu meistern wusste.
Die Bilder zeigen nun, dass Protonen sich tatsächlich an bestimmten Aufenthaltsorten im Molekül häufen und anderswo, zum Beispiel an den dazwischen liegenden Punkten, nie anzutreffen sind. Für die Physiker werden die Vorhersagen der Quantenmechanik damit noch ein Stück greifbar, wenn auch nicht verständlicher.
Quelle: Goethe-Universität Frankfurt am Main (idw)