Spinnennetz der Evolution statt Stammbaum?
Archivmeldung vom 12.08.2008
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Freigeschaltet durch Oliver RandakFür die Bakterien - Einzeller ohne Zellkern - trifft die Baum-Metapher der Darwinschen Evolutionstheorie offenbar nicht zu. Das haben jetzt zwei Biologen in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Science” (PNAS) belegt. Ihr Gegenmodell, ein Netzwerk der Genevolution unter Bakterien, sorgt seitdem für einigen Wirbel.
Das kommende Jahr 2009 wird bei den Naturwissenschaftlern als Darwin- Jahr gefeiert. Es markiert den 200. Geburtstag von Charles Darwin, Begründer der Evolutionstheorie, und das 150. Jubiläum seines wichtigsten Werkes "On the Origin of Species", in dem er die Evolutionstheorie verkündete. Der Evolutionstheorie nach sind alle Lebewesen über eine Abfolge von Verzweigungen, wie die Äste einer Eiche, miteinander verwandt.
Darwins Stammbaum nur für Eukaryoten?
Tal Dagan, Habilitantin im Institut für Botanik III der Heinrich-Heine-
Universität Düsseldorf, hat "das erste Blatt in einem neuen Kapitel der
Evolutionsforschung beschrieben", wie Institutsleiter Professor William
Martin es bezeichnet. Den beiden Biologen ist es nun gelungen, ein
Netzwerk vom Genaustausch unter Prokaryoten - Lebewesen ohne Zellkern -
bildlich darzustellen. Das Ergebnis sieht aus wie ein trichterförmiges
Spinnennetz, nicht wie ein Baum. Steht die Evolutionstheorie vor einer
peinlichen Blamage, und das in ihrem Jubiläumsjahr?
„Keineswegs", erklärt Martin, „wir gewinnen lediglich einen greifbaren
Zugang zum Gesamtbild des Evolutionsgeschehens bei den mikroskopisch
kleinen Einzellern. Darwins Sicht der Evolution trifft nach wie vor für
alle Lebewesen zu, die wir mit dem bloßen Auge erkennen können".
Netzwerk durch horizontalen Gentransfer
Bei den Prokaryoten hat man lange angenommen, dass auch hier die Baum-
Metapher zutreffen würde. Aber seit Jahren merken Genomforscher
weltweit, dass jedes Gen in einem Bakteriengenom einen anderen Baum
abzubilden scheint. Fügt man alle dieser unterschiedlichen Bäume in
einem Gesamtbild zusammen, so entsteht das Netzwerk.
Im Unterschied zur vertikalen Gen-Vererbung von der Elterngeneration zu
Nachkommen im Darwinschen Sinne, ist bei Bakterien ein sogenannter
horizontaler Gentransfer möglich; Gene können bei Bakterien weit über
die Artgrenze hinaus in einem Schritt vererbt werden. Dabei spielt der
Verwandtschaftsgrad von Gen-Donor und Empfänger keine so große Rolle.
Mehr als 500.000 Gene analysiert
Seit langem wissen Genforscher, dass Bakterien viele genetische
"Tricks" auf Lager haben, wie sie fremde Gene aufnehmen und nutzen
können. Wie sich das auf das Gesamtbild der Evolution auswirkte, war
bisher nicht klar umrissen.Doch wie lassen sich horizontaler und
vertikaler Gentransfer in einer Darstellung vereinen?
Hierzu entwickelte Dagan ein Computer- Programm, mit dessen Hilfe sich,
nicht wie bisher üblich, nur Stammbäume, sondern ganze Netzwerke von
Genomen bildlich darstellen lassen. Diese rechnerische und graphische
Leistung spiegelt die Forschungsarbeit von rund zwei Jahren wider. Die
Zeit hatte die junge Biologin fast ausschließlich an einem
Hochleistungsrechner verbracht, der eine schier unendliche Fülle an
Informationen bewältigen musste: Dagan und ihre Kollegen analysierten
539.723 Gene aus den Genomen von 181 Arten von Einzellern. Das
Ergebnis: Ein Bild der Evolution, das zeigt, wie diese 181 Arten in
einem Netzwerk von Genen über vertikale und horizontale
Vererbungsvorgänge miteinander verknüpft sind.
Hilfe bei der Bekämpfung von resistenten Keimen
Bisher dient diese Darstellung der Grundlagenforschung, langfristig ist
jedoch eine Anwendung vor allem in der Medizin denkbar, beispielsweise
bei der Erforschung von Krankheitserregern, die ihre Resistenzgene
gegenüber Antibiotika mittels horizontalem Gentransfer austauschen. Bei
der raschen Ausbreitung solcher Antibiotika- Resistenzen in
Krankenhäusern wurde der horizontale Gentransfer bei Baktierien vor
rund 40 Jahren erst entdeckt.
Vor dem Darwin-Jahr scheint eine mögliche Lücke in der
Evolutionstheorie, was die Genevolution bei Bakterien betrifft, eher
kleiner als größer geworden zu sein. Dazu Martin: "Am Anfang des Lebens
standen die Bakterien, und irgendwie ist es passend, dass das
Wurzelwerk im Stammbaum des Lebens etwas anders aussieht als die
Krone".