WUNDERWELT WISSEN: Bringt uns die Urknall-Maschine alle um?
Archivmeldung vom 30.10.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittUnter größten Erwartungen war am 10. September 2008 der gigantische Teilchenbeschleuniger mit der 27 Kilometer langen Röhre in Betrieb gegangen. Am Europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf soll er die Entstehung des Universums simulieren. Wie die Zeitschrift WUNDERWELT WISSEN in der aktuellen Ausgabe berichtet, herrscht jedoch über Sinn, Unsinn und mögliche Gefahren des teuren Experiments unter Physikern ein erbitterter Streit.
Schon nach neun Tagen legte ein ohrenbetäubender Knall die Anlage lahm. Ein Leck in der Kühlleitung ließ minus 271 Grad Celsius kaltes Helium verdampfen. Eine gewaltige Druckwelle zerfetzte einen Teil der Vakuumröhre und beschädigte 40 der insgesamt 1232 Lkw-großen Magneten.
Am 3. November 2009 war der so genannte Large Hadron Collider (LHC) endlich repariert. Beim Hochfahren leuchteten im Kontrollzentrum erneut die Alarmlichter auf. Auch diesmal spielte das Kühlsystem verrückt. Der Störfall verlief zwar glimpflicher, offenbarte allerdings die Verwundbarkeit der drei Milliarden Euro teuren Anlage: Diesmal war es ein Vogel, der ein Stückchen Baguette auf ungeschützte Stromschienen der Außenanlage fallen ließ.
Inzwischen knallten am LHC-Beschleuniger zwar die ersten Champagnerkorken: Bald nach dem Neustart brach er den Weltrekord und erreichte ein Energieniveau von 1,18 Tera-Elektronenvolt (TeV), 0,2 TeV mehr als der Konkurrent Tevatron bei Chicago. Doch der jüngste Störfall am 28. Juni 2010 - eine Helium-Leckage im Sektor 34 des Beschleunigungstunnels - erzwang eine weitere Stilllegung. Gegenwärtig finden wieder Protonenkollisionen statt, allerdings nur mit verhaltenen 0,4 TeV, das entspricht elf Prozent der angestrebten Energie.
Angesichts all dieser Pannen ist eine Sicherheitsdebatte entbrannt, die Physiker in der ganzen Welt entzweit. Die einen stehen hinter dem aufwändigsten Experiment aller Zeiten, das entschlüsseln soll, was unsere Welt im Innersten zusammenhält. Andere Physiker befürchten, dass der Hadronen-Schuss nach hinten losgeht. Die enorm hohen Energiespitzen gefährdeten den ganzen Kosmos, warnen sie. Im Erdinneren könnte sich ein kleines Schwarzes Loch einnisten, das sich nicht mehr beherrschen ließe. Dafür hat der international bekannte Tübinger Chaosforscher Otto E. Rössler eine 15-prozentige Wahrscheinlichkeit errechnet.
Einen Super-GAU sieht der Wiener Philosoph Markus Goritschnig auf die Menschheit zukommen. Er hat beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einen Eilantrag auf Einstellung des Experiments eingereicht. Der modernen Beschleunigertechnologie fehlten standardisierte Risikoabschätzungen, was "eine Gefährdung der Allgemeinheit darstellt", argumentiert er.
Das bringt die Erbauer des Beschleunigerrings nicht aus der Ruhe. Mikroskopisch kleine Schwarze Löcher stellten keine Gefahr dar, erklärt Cern-Physiker Rolf Landua. "Seit Milliarden Jahren treffen hochenergetische Protonen und andere Teilchen auf die Erdatmosphäre", erläutert er. "Viele dieser Teilchen erzeugen Kollisionen mit Energien weit oberhalb dessen, was im LHC erreicht werden kann." Dieses natürliche Dauerbombardement habe die Erde seit ihrer Entstehung unversehrt überstanden.
Quelle: WUNDERWELT WISSEN