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Studie stürzt Standardtheorie der Kosmologie in die Krise

Archivmeldung vom 06.05.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.05.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Muss Newtons Gravitationstheorie abgeändert werden, weil sie zur Erklärung mancher Beobachtungen nicht taugt? Inzwischen mehren sich die Stimmen, die diese ketzerische These unterstützen.

Zwei neue Studien zu den so genannten Satellitengalaxien in der Peripherie der Milchstraße dürften ihr nun weiteren Auftrieb geben. Durchgeführt wurden sie von Physikern der Universität Bonn zusammen mit Kollegen aus Österreich und Australien. Ihre Ergebnisse könnten das Theorie-Gebäude der Standardphysik ins Wanken bringen. Kosmologen erklären sich heute viele ansonsten unerklärliche Beobachtungen mit Hilfe der ominösen dunklen Materie. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde sehr viel Aufwand in diesem Forschungsgebiet betrieben. Dennoch wurde bislang nicht direkt nachgewiesen, dass es diese rätselhafte Substanz überhaupt gibt. Und selbst wenn es sie gäbe, würde das längst nicht alle Abweichungen oder Widersprüche zwischen den Messungen und den theoretischen Vorhersagen beseitigen. Seit einiger Zeit mehrt sich daher die Zahl derer unter den Physikern, die die Existenz dunkler Materie anzweifeln. Es wurden auch schon konkurrierende Gravitationstheorien entwickelt, die ohne dieses Konstrukt auskommen. Ihr Problem ist lediglich, dass sie in Konflikt mit der Newtonschen Gravitationstheorie stehen. "Möglicherweise lag Newton aber tatsächlich falsch", erklärt Professor Dr. Pavel Kroupa vom Argelander-Institut für Astronomie (AIfA) der Universität Bonn. "Seine Theorie beschreibt zwar die Alltagseffekte der Schwerkraft auf der Erde, die wir sehen und messen können. Die tatsächliche Physik hinter der Gravitation kennen wir aber vielleicht noch gar nicht."

Eine gewagte These, die jedoch inzwischen gerade in Europa mehr und mehr Anhänger findet. Zwei neue Studien dürften ihr nun weiteren Auftrieb geben. Darin untersuchen Kroupa und sein ehemaliger Mitarbeiter Dr. Manuel Metz zusammen mit Professor Dr. Gerhard Hensler und Dr. Christian Theis aus Wien sowie Dr. Helmut Jerjen aus Canberra, Australien, die so genannten Satellitengalaxien der Milchstraße. Darunter versteht man Zwerggalaxien mit teilweise nur ein paar tausend Sternen. Der Standardtheorie zufolge kommen sie vermutlich zu Hunderten in der Umgebung der meisten großen Galaxien vor. Bislang wurden jedoch erst 30 derartiger Satelliten um die Milchstraße beobachtet. Man führt diese Diskrepanz oft darauf zurück, dass der Grossteil der Satellitengalaxien viel zu lichtschwach ist, um gesehen zu werden.

Die Physiker haben diese Sternagglomerate in ihrer Studie nun genauer unter die Lupe genommen. Dabei sind sie auf einige erstaunliche Phänomene gestoßen: "Zunächst einmal stimmt etwas nicht mit ihrer Verteilung", erklärt Professor Kroupa: "Eigentlich sollten die Satelliten gleichmäßig um ihre jeweilige Muttergalaxie angeordnet sein. Das sind sie aber nicht." Genauer gesagt: Die klassischen Satelliten der Milchstraße - das sind die elf hellsten Zwerggalaxien - liegen alle mehr oder weniger in derselben Ebene. Sie bilden also eine Art Scheibe. Zudem konnten die Forscher zeigen, dass die meisten von ihnen in derselben Richtung um die Milchstraße rotieren - ähnlich wie die Planeten um die Sonne.

Dieser Befund lässt sich nach Ansicht der Physiker nur mit der Annahme erklären, dass die Satelliten vor langer Zeit bei der Kollision junger Galaxien entstanden sind. "Aus dem 'Schrott', der bei einem solchen Crash entsteht, können sich rotierende Zwerggalaxien bilden", erläutert Manuel Metz, der inzwischen an das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt gewechselt ist. Doch auch die Crash-Theorie hat einen Haken: Die Satelliten, die dabei entstehen, können laut Theorie keine dunkle Materie enthalten. Das steht jedoch im Widerspruch zu einer weiteren Beobachtung: "Die Sterne in den jetzt untersuchten Satelliten bewegen sich viel schneller, als sie es nach den Berechnungen dürften. Als Ursache kommt aus klassischer Sicht eigentlich nur die Anwesenheit dunkler Materie in Frage", sagt Manuel Metz.

Oder man nimmt an, dass wesentliche Grundlagen der Physik bislang falsch verstanden wurden. "Eine Lösung gibt es nur, wenn wir uns von der klassischen Gravitationstheorie Newtons lösen", sagt Pavel Kroupa. "Wahrscheinlich leben wir in einem nicht-newtonschen Universum. Wenn diese Annahme stimmt, lassen sich unsere Beobachtungen auch ohne dunkle Materie erklären." Solche Ansätze finden auch in einigen anderen Forschungsgruppen in Europa viel Beachtung.

Es hat schon fast Tradition, die newtonsche Gravitationstheorie in Extrembereichen durch andere Theorien abzulösen. In den letzten hundert Jahren wurde das bereits dreimal notwendig: bei hohen Geschwindigkeiten (durch die Theorie der speziellen Relativität), in der Nähe großer Massen (durch die allgemeine Relativitätstheorie) und bei sehr kleinen Raumabständen (durch die Quantenmechanik). Die aktuelle Studie unterstützt die These, dass in den Bereichen von Galaxien, in denen extrem schwache Beschleunigungen herrschen, eine "modifizierte Newtonsche Dynamik" (MOND) gilt. Diese Feststellung hat tiefgreifende Implikationen für die fundamentale Physik im Allgemeinen. "Die Resultate der Studie decken sich komplett mit dem, was man nach einer solchen Modifikation der Newtonschen Theorie erwarten würde", urteilt der bekannte Astrophysiker Bob Sanders von der Universität Groningen. "Gleichzeitig widersprechen sie diametral den Vorhersagen der Dunkle-Materie-Hypothese. Nur selten sind Beobachtungsdaten so definitiv."

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.

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