Galaxienzusammenstöße nicht der wichtigste Fütterungsmechanismus für riesige Schwarze Löcher
Archivmeldung vom 05.01.2011
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtEine neue Studie hat unerwartetes Licht auf die Essgewohnheiten der gigantischen Schwarzen Löcher geworfen. Bislang waren viele Astronomen davon ausgegangen, dass miteinander verschmelzende Galaxien der wichtigste Mechanismus dafür waren, diesen Schwarzen Löchern Materie zuzuführen. Die jetzt veröffentlichte Studie an 1400 Galaxien – eine der größten für diesen Zweck bislang untersuchten Stichproben – gibt klare Anhaltspunkte dafür, dass die Schwarzen Löcher ihre Nahrung zumindest während der letzten 8 Milliarden Jahre auf weniger gewaltsame Weise vorgesetzt bekommen haben.
Der zugehörige Fachartikel ist online zugänglich und erscheint am 10. Januar 2011 im Astrophysical Journal.
Die enorme Energie, die aktive Galaxienkerne (active galactic nuclei, AGN) freisetzen, geht auf Materie zurück, die in das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum der Galaxie fällt. Allerdings ist bislang ungeklärt, wie diese Materie über die letzten wenigen Lichtjahre in die unmittelbare Umgebung des Schwarzen Lochs transportiert wird.
Eine in den späten 1980er Jahren erschienene Studie von David Sanders und Kollegen schien einen geeigneten Mechanismus für den Materietransport zu präsentieren: Verschmilzt eine Galaxie mit einer ähnlich großen anderen Galaxie (»major merger«), würde das Galaxiengas dramatisch gestört, und einiges davon würde in Richtung des zentralen Schwarzen Loches der Galaxie fallen.
Ein plausibles Szenario. Doch nur eine systematische Studie würde zeigen können, ob sich die riesigen Schwarzen Löcher im Zentrum von Galaxien tatsächlich auf diese Weise füttern lassen. Dieses Ziel steckten sich 2008 Mauricio Cisternas und Knud Jahnke vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA). Cisternas erklärt: »Eine so umfassende Studie ist erst kürzlich möglich geworden. Nur die neuesten Durchmusterungen des Weltraumteleskops HUBBLE, liefern die dafür nötigen Daten. Vorher gab es schlicht keine Möglichkeit, eine genügend große Anzahl von weit entfernten aktiven Galaxien hinreichend detailliert zu untersuchen.«
Cisternas und seine Kollegen nutzen die Daten von 140 aktiven Galaxienkernen (AGN), die zuvor im Rahmen der COSMOS-Durchmusterung mit Röntgenbeobachtungen des Weltraumteleskops XMM-Newton als aktiv identifiziert worden waren. Das Licht der entferntesten dieser AGN war rund 8 Milliarden Jahre unterwegs (Rotverschiebung z=1), bevor es uns erreichte: Wir sehen diese AGN, wie sie vor 8 Milliarden Jahren waren; damit umfasst die Stichprobe Daten zum Wachstum Schwarzer Löcher während der gesamten zweiten Hälfte der Geschichte unseres Universums.
An dieser Studie ist besonders, dass die Astronomen dann systematisch eine »Kontrollgruppe« von normalen Galaxien zusammenstellten - Galaxien ohne ein zentrales Schwarzes Loch, das große Mengen an Materie verschluckt. Für jeden der AGN in der Studie wurden aus dem gleichen Satz von HUBBLE-Bildern neun nichtaktive Galaxien in ungefähr der gleichen Entfernung und mit der gleichen Masse ausgewählt, die damit in die gleiche Ära kosmischer Entwicklung gehören. Insgesamt kamen die Forscher so auf eine Stichprobe von 1400 Galaxien. Diese Auswahl erlaubte es, aktive Galaxien und eine dazugehörige Population nicht-aktiver Galaxien direkt miteinander zu vergleichen.
Dass eine Galaxie in den letzten hunderten Millionen Jahren an einem »major merger«, einer großen Verschmelzung teilgenommen hat, zeigt sich daran, dass die Form der Galaxie in charakteristischer Weise verzerrt ist. Für Bilder dieser Art, die weit entfernte Galaxien zeigen, ist die automatische Auswertung durch Computerprogramme nur zweite Wahl. Als deutlich effektiver erweist es sich, die Bilder durch Astronomen direkt begutachten zu lassen. Koautor Knud Jahnke (MPIA) erklärt: »Allerdings hatten wir dabei das Problem, wie wir mit den Erwartungen und mit möglichen Vorurteilen unserer Gutachter umgehen sollten. Alle Beteiligten kannten Galaxienverschmelzungen als plausiblen Mechanismus für die AGN-Aktivität – würden sie die AGN daher unbewusst häufiger verzerrt einstufen?«
Um solche unbewussten Fehleinschätzungen auszuschließen, beschlossen die Forscher, ihr Projekt als Blindstudie auszuführen – ein Standardverfahren etwa in der medizinischen Forschung, aber in der Astronomie recht ungewöhnlich. Cisternas entfernte diejenigen Bildbestandteile, die auf die Aktivität einer Galaxie hinweisen, so dass die Gutachter keine Möglichkeit haben würden, anhand des Bildes zu erkennen, ob sie es mit einer aktiven oder inaktiven Galaxie zu tun hätten. Die beiden Stichproben wurden anschließend gemischt und die Bilder zehn Galaxienexperten aus acht verschiedenen Instituten vorgelegt, die die Aufgabe bekamen, jede Galaxie als »verzerrt« oder »nicht verzerrt« einzuschätzen. Im Einzelnen waren die Einschätzungen der Experten dabei durchaus unterschiedlich – ein Zeichen dafür, dass die Astronomen unterschiedlich strenge Kriterien anlegten. Doch bei dem entscheidenden Aspekt kamen alle zu dem gleichen Ergebnis: Keine der Klassifikationen zeigte einen signifikanten Unterschied zwischen aktiven und inaktiven Galaxien. Es gab keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Aktivität einer Galaxie und ihrer Verzerrung, und damit offenbar keinen Zusammenhang zwischen der Wohlgenährtheit des Schwarzen Lochs einer Galaxie und der Teilnahme der Galaxie an großen Verschmelzungsereignissen.
Galaxienverschmelzungen sind in der kosmischen Geschichte durchaus häufig, und es kann davon ausgegangen werden, dass sie zumindest zur Aktivität einiger AGN beitragen. Die Studie zeigt aber, dass sie weder ein universeller noch der wichtigste Mechanismus zur Fütterung Schwarzer Löcher sind. Der statistischen Auswertung zufolge gibt es für mindestens 75%, und vielleicht sogar für die gesamte AGN-Aktivität der letzten 8 Milliarden Jahre andere Erklärungen. Zu den Möglichkeiten, Materie zu zentralen Schwarzen Löchern zu transportieren, gehören instabile Gebilde wie die »Balken« einiger Spiralgalaxien sowie Zusammenstöße gigantischer Molekülwolken innerhalb einer Galaxie, oder der nahe Vorbeiflug einer anderen Galaxie, bei dem es aber nicht zu einer Verschmelzung kommt (»galaktische Belästigung«).
Könnte es in noch fernerer Vergangenheit – bei noch weiter entfernten aktiven Galaxien – einen Zusammenhang zwischen Verschmelzungen und Aktivität der galaktischen Kerne geben? Dieser Frage will sich das Forscherteam als nächstes zuwenden. Die richtigen Daten dafür versprechen zwei derzeit laufende Beobachtungsprogramme (»Multi-Cycle Treasury Programs«) des Weltraumteleskops HUBBLE, sowie Beobachtungen seines Nachfolgers, des James Webb-Weltraumteleskops, das frühestens 2014 seine Arbeit aufnehmen wird.
Quelle: Max-Planck-Institut für Astronomie