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Den Deutschen fehlt ein klares Lebensbild

Archivmeldung vom 18.07.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 18.07.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Im Ausland haben die Deutschen den Ruf, ein besonders fleißiges Volk zu sein. Das G+J-Magazin EMOTION hat den Psychologen Stephan Grünewald gefragt: Sind wir wirklich so arbeitswütig?

Grünewald sagt: "Ja." Seiner Einschätzung nach steckt dahinter "eine Art gesamtgesellschaftliche Identitätsstörung".

"Unsere Studien belegen, dass den Deutschen etwas ganz Wesentliches fehlt: ein klares Lebensbild." Die Franzosen etwa, die hätten solch ein inneres Bild, das unbewusst Regie in ihrem Leben führt. "Es hat etwas mit Genuss zu tun, mit dem Motto: ,Leben wie Gott in Frankreich'. Dieses Bild gibt ihnen Orientierung und strukturiert den Alltag." Denn aus ihm lasse sich ableiten: Du sollst regelmäßig ausgedehnte Pausen machen, im Kreise von Familie und Freunden genüsslich speisen und es ist wichtig, dass deine Kinder schon in der Schule kochen lernen und die Namen von 150 Käsesorten kennen. "Solch ein strukturierendes Lebensbild haben die Deutschen nicht", konstatiert Grünewald.

Ohne diese Orientierungshilfe seien wir in einem permanenten Zustand der Rastlosigkeit und Sinnsuche. Außer, die innere Unruhe kann produktiv umgesetzt werden - in einem schöpferischen Arbeitsprozess. Grünewald nennt das "Aufgehen im Werkeln". Damit ist eine Tätigkeit gemeint, die nicht unbedingt zweck- und zielgerichtet sein muss. Es handelt sich eher um ein Herumwurschteln wie im Hobbykeller, in der Garage  oder im Garten. "Diese Sehnsucht nach Werkeln, die ist etwas typisch Deutsches", so der Psychologe.

Wenn man kein inneres Lebensbild habe, das einen leitet, dann könne Geld oder Karriere natürlich ein Ersatzziel sein. Grünewald findet es erstaunlich, "dass die Deutschen immer wieder bereit sind, ihre Orientierungslosigkeit zu kompensieren, indem sie sich willig in das Hamsterrad der Arbeitsprozesse stellen und unermüdlich weiterstrampeln". Seiner Ansicht nach kann die Wirtschaftskrise für jeden ein Anstoß sein, sich "endlich aus der besinnungslosen Betriebsamkeit zu lösen - und dann in sich hineinzuhorchen, mit welcher Art von Leben man die gewonnenen Freiräume eigentlich füllen will".

Stephan Grünewald ist Psychologe und Geschäftsführer des Rheingold-Instituts für qualitative Markt- und Medienanalysen in Köln sowie Autor des Bestsellers "Deutschland auf der Couch". Seine Studien beruhen auf tiefenpsychologischen Interviews mit mehreren tausend Probanden.

Quelle: EMOTION

 

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