Methanfresser in der arktischen Tiefsee entdeckt
Archivmeldung vom 20.10.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittStatt Lava fließen Schlamm und Methan aus dem Tiefsee-Schlammvulkan Haakon-Mosby. Das Treibhausgas Methan wirkt rund 25 Mal stärker als Kohlendioxid, wenn es in die Atmosphäre gelangt. Zum Glück gibt es Mikroorganismen, die von Methan leben und so den Ausstoß des Klimagases reduzieren.
Erstmals hat jetzt ein deutsch-französisches Forscherteam nachgewiesen, dass solche Methanzehrer auch in der eiskalten arktischen Tiefsee vorkommen. Die Wissenschaftler entdeckten eine neue Gruppe Methan fressender Archaea und Bakterien und beschreiben in der Zeitschrift Nature, welche Umweltfaktoren die Aktivität dieser Mikroorganismen kontrollieren - mit verblüffendem Ergebnis: Zu schnelle Strömungen aus dem Meeresboden verringern die Wirksamkeit des natürlichen Gasfilters um bis zu 60 Prozent (Nature, 19. Oktober 2006).
Der nach dem norwegischen Ozeanographen Haakon Mosby benannte
gleichnamige Schlammvulkan wurde 1990 von einem internationalen Forscherteam in
der Barentssee in einer Wassertiefe von 1250 Metern entdeckt. Aus dem Zentrum
des etwa einen Quadratkilometer großen Vulkans strömt neben Wasser und Schlamm
auch Gas, das zu 99 Prozent aus Methan besteht und aus rund zwei Kilometer Tiefe
unterhalb des Meeresbodens aufsteigt. Helge Niemann und Tina Lösekann vom
Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen haben in ihren
Doktorarbeiten untersucht, ob an der Oberfläche des Schlammvulkans in der -1
Grad Celsius kalten Tiefsee Mikroorganismen vorkommen, die das gefährliche
Klimagas Methan verbrauchen.
Leben am Schlammvulkan
Haakon
Mosby ist ein sehr flacher Schlammvulkan, der maximal zehn Meter über den
Meeresboden herausragt. Die Wissenschaftler aus Deutschland und Frankreich
unterscheiden drei stark von einander abgegrenzte, konzentrische ringförmige
Zonen: das Zentrum, mittlerer und äußerer Ring. Eine Gemeinsamkeit haben die
drei ansonsten völlig unterschiedlich besiedelten Zonen: Methan ist jeweils die
Hauptnahrungsquelle der dort lebenden Mikroorganismen. An der Oberfläche des
Zentrums entdeckten die Wissenschaftler bisher unbekannte Bakterien, die das
Methan mit Sauerstoff umsetzen. In den etwas tieferen Schichten der mittleren
Zone aber fanden Helge Niemann und Tina Lösekann große Mengen einer neuen Gruppe
von Archaea, die in einer Symbiose mit Bakterien das Methan mit Sulfat veratmen
- ohne dafür Sauerstoff zu benötigen. Der zugrunde liegende Prozess ist unter
dem Begriff anaerobe Oxidation von Methan (AOM) bekannt und wird im
Forschungsprojekt MUMM untersucht.
Zur Verblüffung der Forscher wird der Großteil des Methans nicht
im Zentrum, sondern im äußeren Ring des Vulkans veratmet. Hier steigen die
gashaltigen Fluide deutlich langsamer auf.
Methan-Filter nur zu 40
Prozent effektiv
Bei ihren Messungen fanden die Forscher heraus, dass am
Haakon Mosby nur rund 40 Prozent des austretenden Methans von Mikroorganismen
umgesetzt werden. An manchen Methanquellen im Ozean wird dagegen das gesamte
austretende Gas veratmet. Bisher war man davon ausgegangen, dass in Gebieten mit
hohem Durchfluss an Methan auch deutlich mehr Methan fressende Mikroorganismen
leben.
Bei Haakon Mosby ist offensichtlich das Gegenteil der Fall: Das
meiste Gas wird in der äußersten Vulkanzone verbraucht. Der Bremer Meeresbiologe
Helge Niemann erklärt das so: "Die Mikroorganismen brauchen Sauerstoff oder
Sulfat aus dem Meerwasser, um Methan veratmen zu können. Das aus dem Boden nach
oben strömende Wasser enthält aber weder Sauerstoff noch Sulfat. Weil es so
schnell nach oben strömt, kann nur wenig Sauerstoff oder Sulfat aus dem
Meerwasser in den Boden eindringen. Die Mikroorganismen im Zentrum und der
mittleren Zone erhalten also schlicht kaum Energie zum Leben."
In der
äußeren Zone des Vulkans ist die Situation anders. Röhrenwürmer, die bis zu 60
Zentimeter tief in den Boden wachsen, pumpen aktiv das Meerwasser und damit auch
Sulfat in tiefere Bodenschichten. Die an ihren Wurzeln lebenden Organismen
können dank dieser lebenden Pumpen auch dort Methan umsetzen, wo es
normalerweise kaum möglich wäre. Dort wurde auch der höchste Methanumsatz
gefunden und es entweicht fast kein Gas ins Meer. Das zeigt, dass wirksame
biologische Filter für Treibhausgase erst durch das komplexe Zusammenspiel von
Lebensgemeinschaften im Meeresboden entstehen können.
Unterstützung bekamen Helge Niemann und Tina Lösekann von einem deutsch-französischen Forscherteam, das den Vulkan mit Sonar- und Kamerasystemen genau kartierte und die chemischen Umsatzprozesse bestimmte. Entscheidend war der Einsatz des ferngesteuerten Tauchroboters VICTOR 6000 vom französischen Forschungszentrum IFREMER auf zwei Expeditionen mit dem Forschungsschiff L’ATALANTE (IFREMER) und der FS POLARSTERN des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven.
Aussichten
Erstmals konnten im Rahmen des Projektes
GEOTECHNOLOGIEN Stoffflüsse und mikrobielle Umsatzprozesse an einem aktiven
Tiefsee-Schlammvulkan genau vermessen und modelliert werden. Jetzt muss die
Wirksamkeit biologischer Filter auch bei anderen Methanquellen im Meer geprüft
werden. Bisher ist diese für die weltweite Klimaforschung wichtige Größe nicht
ausreichend berücksichtigt.
Als nächstes untersucht das
deutsch-französische Forscherteam im Oktober und November 2006 mit dem
Tiefseeroboter QUEST des Bremer Forschungsinstituts MARUM die Schlammvulkane des
östlichen Mittelmeeres (METEOR Expedition 70/2). Weitere Expeditionen zum
Haakon-Mosby-Schlammvulkan sind im Rahmen des europäischen Forschungsprojektes
HERMES vorgesehen.
Beteiligte
Institutionen
Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie, 28359
Bremen, Germany
Alfred-Wegener-Institut für Polar und
Meeresforschung,
27515 Bremerhaven, Germany
DFG Forschungszentrum
Ozeanränder, University of Bremen, 28334 Bremen,
Germany
Centre
Ifremer de Brest, BP70, 29280 Plouzane, France
UMR 7156 Université
Louis-Pasteur/CNRS, Département Microorganismes, Génomes, Environnement, 67083
Strasbourg Cedex, France
International University Bremen, 28759 Bremen,
Germany
Quelle: Pressemitteilung Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.