Es muss schon richtig kalt sein
Archivmeldung vom 19.04.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKalte Gase haben es dem Privatdozenten Dr. Thomas Gasenzer vom Institut für Theoretische Physik der Heidelberger Ruprecht-Karls-Universität angetan. Das Wort "kalt" bedeutet in diesem Zusammenhang extrem kalt, nämlich ganz nahe der absoluten Tiefsttemperatur von minus 273,15 Grad Celsius. Unter diesen Bedingungen ist es möglich, Materie in einen besonderen Zustand zu bringen, das so genannte Bose-Einstein-Kondensat.
Hierbei verhalten sich die Atome absolut gleich, wie ein einziges Superatom.
Dieser Materie-Zustand wurde 1925 von Albert Einstein vorhergesagt, inspiriert
durch eine bahnbrechende Arbeit des indischen Physikers Satyendra Nath Bose.
Aber erst 70 Jahre später gelang es, ein reines Bose-Einstein-Kondensat
tatsächlich im Labor zu erzeugen.
"Die Methoden zur Herstellung des
Bose-Einstein-Kondensats haben die Atomphysik revolutioniert", erklärt der
37-jährige Physiker Gasenzer. In der äußerst dünnen Gaswolke, die aus etwa 1000
bis einigen Millionen Atomen besteht, bewegen sich die Teilchen nämlich fast
nicht mehr, und damit wird es möglich, Eigenschaften der Atome wesentlich besser
zu messen und zu verstehen. So kann das Bose-Einstein-Kondensat auch
Auswirkungen auf das alltägliche Leben haben, ist doch heute die Zeit über die
Frequenz der Schwingung des Cäsium-Atoms definiert. Die Länge einer Sekunde kann
nur so genau wie die Frequenz des "Tickens" der Cäsiumuhr bekannt sein. Die
heute erreichte Genauigkeit spielt beispielsweise beim Global Positioning System
(GPS) eine große Rolle. Denn nur dadurch, dass die Uhren in den Satelliten
gleich gehen, ist es möglich, genaue Ortsbestimmungen vorzunehmen.
Das
kürzlich an Thomas Gasenzer verliehene Heisenberg-Stipendium der Deutschen
Forschungsgemeinschaft möchte er nutzen, um in den nächsten fünf Jahren mehr
Wissen über die Dynamik dieser kalten Gase zu gewinnen. Wie bewegen sich
beispielsweise diese Systeme, wenn sie plötzlich aus ihrer Ruhe gerissen werden?
Eine Frage, der Thomas Gasenzer zusammen mit der von ihm geleiteten
Arbeitsgruppe nachgehen will, denn bisher sind die theoretischen Grundlagen zur
Beschreibung derartiger Vorgänge wenig erforscht.
Die Bewegung der Atome
in den Gaswolken kann sehr leicht eine Gestalt wie die von Turbulenzen in einem
reißenden Wildbach annehmen. Ganz anders als im Bach sind jedoch die Atome im
Kondensat 1000 Mal weiter voneinander entfernt, so dass sie zunächst einmal
seltener aneinander stoßen. Trotzdem "spüren" sie sich, und das liegt daran,
dass sie sich als so genannte Quantenteilchen in ihrer Restbewegung gleich
verhalten und so absolut ununterscheidbar sind. Wenn aber das Kondensat in
Unruhe versetzt wird, beginnt es zu schwingen und sich aufzulösen. Die Atome
stoßen dann häufiger aneinander, und es entsteht eine faszinierende
Komplexität.
Zur Beobachtung der Bewegung eines Bose-Einstein-Kondensats
haben die Physiker im Labor ausgefeilte und doch erstaunlich einfach
erscheinende Methoden entwickelt: "Man schickt zum Beispiel den Lichtstrahl
eines Lasers durch das Kondensat und nimmt ihn mit einer Videokamera auf. Aus
der Bewegung des Schattens der Atome schließt man auf deren Dynamik", erläutert
Thomas Gasenzer. Als theoretischer Physiker ist er auch auf die Überprüfung
seiner Überlegungen im Labor angewiesen. "Dabei ist für mich wichtig zu wissen,
was genau bei Experimenten machbar ist", betont er. Deshalb unterhält er enge
Kontakte zu den Heidelberger Professoren Jörg Schmiedmayer vom Physikalischen
Institut und Markus Oberthaler vom Kirchhoff-Institut für Physik, die beide
experimentell an Bose-Einstein-Kondensaten forschen.
Die Berechnungen,
die der theoretische Physiker Gasenzer im mikroskopischen Maßstab des aus einer
Art von Atomen bestehenden Bose-Einstein-Kondensates vornimmt, können aber auch
Konsequenzen für große Vielteilchensysteme haben. Dazu gehört beispielsweise
auch das Universum, das in einem frühen Stadium sehr schnell expandierte, und
die physikalischen Bewegungsgesetze hierfür sind eng mit denen für ultrakalte
Atomgase verwandt.
Stefan Zeeh
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.