Wie Muskelermüdung im Kopf entsteht
Archivmeldung vom 05.12.2011
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtWas Sportler aus Erfahrung kennen, haben Forschende der Universität Zürich jetzt detailliert untersucht: Bei ermüdenden Ausdauerleistungen spielt der Kopf eine wichtige Rolle. Sie haben im Gehirn einen Mechanismus aufdecken können, der bei ermüdenden Aufgaben eine Reduktion der Muskelleistung bewirkt und dafür sorgt, dass die eigenen physiologischen Grenzen nicht überschritten werden. Dass Muskelermüdung und Änderungen der Interaktion zwischen neuronalen Strukturen zusammenhängen, wurde mit dieser Studie erstmals empirisch nachgewiesen.
Wie stark wir unsere Muskeln willkürlich aktivieren können, hängt zum Beispiel ab von der Motivation und Willenskraft oder vom Trainings- und Ermüdungszustand der Muskeln. Gerade letzterer führt zu deutlich spür- und messbaren Leistungseinbussen. Lange Zeit wurde die Erforschung der Muskelermüdung weitgehend auf Veränderungen im Muskel selbst beschränkt. Ein gemeinsames Forschungsprojekt der Universität Zürich und der ETH Zürich hat nun den Fokus auf die Erforschung des Gehirns gelegt. Unter der Leitung des Neuropsychologen Kai Lutz von der Universität Zürich in Kooperation mit Urs Boutellier vom Institut für Bewegungswissenschaften und Sport der ETH Zürich haben die Forschenden dabei erstmals neuronale Prozesse aufgedeckt, die dafür verantwortlich sind, dass sich die Muskelaktivität im Laufe einer ermüdenden Aufgabe reduziert. Der dritte und letzte Teil dieser von Lea Hilty im Rahmen ihrer Doktorarbeit durchgeführten Serie von Experimenten wurde nun im «European Journal of Neuroscience» publiziert.
Nervenimpulse des Muskels hemmen motorisches Areal im Hirn
In der ersten Studie konnten die Forschenden zeigen, dass im Verlauf einer ermüdenden, Kraft verlangenden Aufgabe Nervenimpulse aus dem Muskel – ganz ähnlich wie Schmerzinformationen – das primäre motorische Areal hemmen. Nachweisen konnten sie dies anhand von Messungen, bei denen Probanden ermüdende Oberschenkelkontraktionen solange wiederholt haben, bis sie die verlangte Kraft nicht mehr erreichen konnten. Wurde dieselbe Übung aber unter Narkotisierung des Rückenmarks (Spinalanästhesie) durchgeführt – und damit die Rückmeldung vom Muskel an das primäre motorische Areal unterbrochen –, fielen die entsprechenden, ermüdungsbedingten Hemmprozesse signifikant schwächer aus, als wenn die Muskelinformationen intakt waren.
In einem zweiten Schritt haben die Forschenden mit Hilfe funktioneller Magnetresonanztomographie jene Hirnregionen lokalisieren können, welche kurz vor dem Abbruch einer ermüdenden und Kraft fordernden Aufgabe einen Aktivitätsanstieg verzeichnen und die also in die Signalisation des Abbruchs involviert sind. Es sind dies der Thalamus und der insuläre Kortex – beides Areale, die unter anderem Informationen analysieren, welche dem Organismus eine Bedrohung vermitteln, wie beispielsweise Schmerz oder Hunger.
Neuronales System wirkt regulierend auf Muskelleistung
Dass die hemmenden Einflüsse auf die motorische Aktivität tatsächlich via insulären Kortex vermittelt werden, konnte nun in der dritten Studie gezeigt werden: Die Forschenden haben bei Tests mit dem Fahrradergometer festgestellt, dass die Kommunikation zwischen dem insulären Kortex und dem primären motorischen Areal mit fortschreitender Ermüdung intensiver wurde. «Dies kann als Beleg dafür gelten, dass das gefundene neuronale System nicht nur das Gehirn informiert, sondern auch tatsächlich regulierend auf die motorische Aktivität einwirkt», resümiert Lea Hilty das aktuelle Ergebnis. Und Kai Lutz verweist auf das neue Forschungsfeld, das sich mit diesen Ergebnissen nun eröffnet: «Die Erkenntnisse sind ein wichtiger Schritt bei der Aufdeckung der Rolle, die das Gehirn bei der Muskelermüdung spielt. Auf Basis dieser Arbeiten wird es nicht nur möglich, Strategien zur Optimierung muskulärer Leistung zu entwickeln, sondern auch, gezielt nach Gründen für reduzierte muskuläre Leistungsfähigkeit bei verschiedenen Krankheiten zu forschen.» Anhaltend reduzierte körperliche Leistungsfähigkeit ist im klinischen Alltag eine häufig beobachtete Begleiterscheinung, unter anderem kann sie als Nebenwirkung von gewissen Medikamenten auftreten. Häufig wird aber auch ein sogenanntes Chronisches Erschöpfungssyndrom ohne erkennbare Ursache diagnostiziert.
Quelle: Universität Zürich (idw)