Kostbare Kristallkugeln
Archivmeldung vom 26.05.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 26.05.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAm Institut für Kristallzüchtung in Berlin-Adlershof entstand ein weltweit einmaliger Einkristall aus hochreinem Silizium. Er soll bei der Neudefinition des Kilogramms helfen.
Wissenschaftler des Berliner Instituts für Kristallzüchtung haben am Mittwoch
den entscheidenden Siliziumkristall erzeugt, der zu einer Neudefinition der
Einheit Kilogramm führen könnte. Die Perfektion der Struktur und die hohe
chemische und Isotopen- Reinheit des Kristalls sollen es ermöglichen, die Anzahl
von Atomen in einem Kilogramm Silizium exakt zu bestimmen. Aus dem in Adlershof
gezüchteten Einkristall werden zwei Kugeln herauspräpariert, die je ein Kilo
wiegen. Experten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in
Braunschweig wollen dann die Atome in den Kugeln "zählen" und so zu einer
exakten Definition des Kilogramms kommen.
Bislang bestimmt sich das
Kilogramm immer noch aus dem Vergleich mit dem Ur-Kilo in Paris, einem 39
Milimeter hohen und ebenso dicken Platin-Iridium-Zylinder. Nur: Jedes Handhaben
des Zylinders, vor allem seine Reinigung, führt dazu, dass er zigtausende Atome
verliert. Das gilt auch für die Kopien, die es in vielen Staaten der Erde gibt.
Experten gehen davon aus, dass mittlerweile Abweichungen von 70 Mikrogramm
auftreten (0,000 000 07 kg). Da in der heutigen Chemie und Physik jedoch längst
mit weit geringeren Massen experimentiert und gerechnet wird, ist eine genaue
und international einheitliche Bestimmung von großer Bedeutung. Wichtig ist die
Definition auch für Experimente zur Prüfung von Naturkonstanten.
Bis
jedoch das Kilogramm neu definiert werden kann, sind weitere wichtige Messungen
nötig. Zunächst müssen die Kugeln mit dem Standard-Kilogramm in Braunschweig
verglichen werden, um festzustellen, wie genau ihre tatsächliche Masse mit der
der deutschen Kopie des Ur-Kilos übereinstimmt. Dann geht es darum, die
Kugelgestalt exakt zu vermessen. Und schließlich werden die Mitarbeiter des
internationalen Avogadro-Projekts die Atomabstände ermitteln. All diese
Messungen müssen zusammengenommen bis auf ein Hundertmillionstel ("zehn hoch
minus acht") genau sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann man die Zahl
der Silizium-Atome in der Kugel berechnen und so eine für alle Zeiten gültige
Einheit festlegen.
Das Institut für Kristallzüchtung spielt dabei eine
zentrale Rolle, weil es den Kristall für die Kugeln in der nötigen Perfektion
produzieren kann. Schon das Ausgangsmaterial ist sehr kostbar: Aus Russland
wurden vor einigen Wochen 6 Kilogramm hochreines Silizium 28 (chemisch: 28Si)
nach Berlin geliefert, Warenwert: 1,2 Millionen Euro. Zum Vergleich: 6 Kilogramm
Gold würden knapp 90.000 Euro kosten, also weniger als ein Zehntel. Das Silizium
28 wurde in einem speziellen Verfahren angereichert mit Zentrifugen, die früher
das russische Militär nutzte. Ziel war es, eine einmalig hohe Isotopenreinheit
zu erreichen. Isotopen sind Atome ein und des selben Elements, die sich nur in
der Anzahl der Neutronen unterscheiden und daher unterschiedlich schwer sind.
Das 28Si, das im natürlichen Si zu etwa 91% enthalten ist, wurde in Russland auf
den Rekordwert von 99,994 Prozent angereichert. Anders gesagt: Unter
hunderttausend Siliziumatomen befinden sich maximal sechs Isotopen mit anderem
Gewicht. Die Anreicherung wurde mit Massenspektrometern unabhängig in Russland
und am Institut für Referenzmaterialien und Messungen der Europäischen Union in
Geel bestimmt, die Konzentrationen anderer Elemente wurden mittels
Infrarot-Spektrometrie an der PTB ermittelt.
Aus diesem Ausgangsmaterial züchteten die Experten des IKZ unter der Leitung von Dr. Helge Riemann einen Einkristall, dessen Atome in einem praktisch perfekten Gitter geordnet sind. Dank des Floating-Zone-Verfahrens kam das Silizium dabei auch mit keinem Schmelztiegel in Berührung, so dass die wichtigste Verunreinigungsquelle ausgeschlossen war. Am Ende entstand ein Kristallrohling, dessen Form entfernt an eine Sanduhr erinnert. Jetzt sollen daraus Kugeln gefertigt werden - sie werden zu den kostbarsten Kristallkugeln der Welt zählen.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.