Forscher züchten aus Hautzellen neue Nervenzellen
Archivmeldung vom 01.08.2008
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Freigeschaltet durch Oliver RandakBei der Krankheit ALS gehen Nervenzellen zugrunde, die Muskeln versorgen. Die Folge sind Lähmung und Tod. Wissenschaftlern ist es nun gelungen, aus Hautzellen von ALS-Kranken neue Nervenzellen zu züchten.
Das wäre die Medizin der Zukunft: Einem ALS-Kranken (Amyotrophe Lateralsklerose) entnimmt man eine beliebige Körperzelle, verwandelt sie in eine Stammzelle, korrigiert das defekte Gen, züchtet aus ihr neue Nervenzellen, und pflanzt sie dem Patienten wieder ein. Keine Abstoßungsreaktion, keine Medikamente, kein neuerliches Sterben von Nervenzellen. Der Patient wäre geheilt.Soweit ist die Stammzellforschung noch nicht, aber Kevin Eggan vom Harvard Stem Cell Institute in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts und seinen Kollegen ist ein wichtiger Teilschritt auf dem Weg dorthin gelungen. Sie haben Hautzellen einer 82-jährigen ALS-Patientin entnommen. Diese reprogrammierten sie zu unbegrenzt teilungsfähigen Stammzellen. Anschließend verwandelten sie diese Zellen in genau diejenigen Nervenzellen, die bei den Patienten langsam zerstört werden. Ihre Studie veröffentlichten die Forscher im Fachmagazin "Science" (DOI: 10.1126/science.1158799).
Bei der >Erkrankung gehen die sogenannten Motorneuronen langsam zugrunde, die Nervenimpulse vom Rückenmark zu den Muskeln leiten. Es kommt zu einer schleichenden Lähmung der Muskeln, einschließlich der Atemmuskulatur, und dadurch schließlich zum Tod.
Die Umwandlung von Hautzellen erwachsener Menschen in unspezialisierte Zellen, die embryonalen Stammzellen ähneln, ist bereits in verschiedenen Laboratorien gelungen. Dazu werden die vier Gene Oct4, Sox2, Klf4 und c-Myc mit Hilfe von Viren in das Erbgut eingeschleust.
Die so produzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) lassen sich unendlich vermehren und in jedes spezialisierte Gewebe des Körpers verwandeln. Auf diese Weise haben die Wissenschaftler nun also im Prinzip Ersatzzellen für die erkrankten Zelltypen gewonnen und zwar mit den individuellen genetischen Merkmalen der Patienten. Abstoßungsreaktionen des Immunsystems werden dadurch im Fall einer Transplantation vermieden.
Eine Therapie ist allerdings noch in weiter Ferne, weil iPS-Zellen eine Krebsgefahr in sich bergen. Manche der eingeschleusten Gene sind Krebsgene, zudem schleusen auch die Viren ihr Erbgut in die Zellen ein. Im Tierversuch haben Forscher allerdings bereits gezeigt, dass sich Krankheiten mit Hilfe der iPS-Zellen behandeln lassen. Bei Mäusen hatten sie Symptome der Parkinson-Erkrankung deutlich gelindert. Und auch an der Verbesserung der Reprogrammierung arbeiten Wissenschaftler. So gelang kürzlich einem Team um den deutschen Stammzellforscher Hans Schöler, die Reprogrammierung mit nur zwei Genen.
Der Erfolg der US-Forscher besteht darin, gezeigt zu haben, dass sich auch iPS-Zellen aus den Körperzellen älterer Patienten mit schweren chronischen Krankheiten gewinnen lassen. Das war bislang noch umstritten. Nun wollen sie mit Hilfe der Zellen vor allem die Grundlagen der Erkrankung erforschen und möglicherweise neue Medikamente entwickeln.