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Großer Schritt auf dem Weg zur Neudefinition des Kelvin

Archivmeldung vom 20.09.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 20.09.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Bild: Claudia Hautumm  / pixelio.de
Bild: Claudia Hautumm / pixelio.de

Metrologen sind Messkünstler und nehmen es ganz genau – im Fall der Boltzmann-Konstante bis auf die sechste Stelle hinter dem Komma. Wer sie sehr genau bestimmen kann, wird eine kleine Revolution im Bereich der weltweiten Temperaturmessung auslösen: Dann wird die Temperatureinheit nicht mehr wie bisher auf einer chemisch-physikalischen Stoffeigenschaft beruhen, nämlich dem Tripelpunkt des Wassers, sondern auf einer unveränderlichen Naturkonstante. Wissenschaftlern der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) ist es nun gelungen, die Boltzmann-Konstante neu zu bestimmen.

Zwar reicht die Unsicherheit des Ergebnisses noch nicht ganz für eine Neudefinition des Kelvin aus, doch es beweist, dass sich das von der PTB gewählte Verfahren grundsätzlich eignet. Die Physiker erwarten, die Unsicherheit innerhalb der nächsten zwei Jahre so weit zu senken, dass der Weg zur Neudefinition des Kelvin frei wird. Die Ergebnisse sind jüngst in der Fachzeitschrift Metrologia veröffentlicht worden.

Mithilfe der nach dem Wissenschaftler Ludwig Boltzmann (1844-1906) benannten Boltzmann-Konstante k lässt sich von der kinetischen Energie von Teilchen auf ihre thermische Energie schließen. Vereinfacht gesagt: Je stärker Atome oder Moleküle umher zappeln, desto höher ist die Temperatur eines Stoffes. Kennt man also k und die Bewegungsenergie der Teilchen, kann man die Temperatur errechnen. Zumindest theoretisch, denn bisher waren einige der Nachkommastellen der Boltzmann-Konstante Wackelkandidaten.

Jahrelange Forschung für ein paar Nachkommastellen? Lohnt sich das denn? Dazu muss man sich ansehen, welche Probleme die derzeitige Temperaturdefinition birgt. Bisher nutzt man die Eigenschaften eines Stoffes, den Tripelpunkt des Wassers. Er ist die Basis für die Definition der Temperatureinheit Kelvin. (Die Celsius-Skala, die in Europa im Alltag verwendet wird, entspricht in Ihrer Unterteilung der des Kelvin, nur dass alle Angaben um den Zahlenwert 273,15 kleiner sind. Beispiel: Am absoluten Nullpunkt herrschen 0 Kelvin oder -273,15 Grad Celsius.) Wasser ist jedoch nicht immer gleich Wasser, unterschiedliche Effekte können die Tripelpunktstemperatur beeinflussen. Problematisch ist insbesondere die Abhängigkeit von der Isotopenzusammensetzung und den Verunreinigungskonzentrationen. Diese Werte können leicht schwanken, wenn Stoffe verunreinigt sind oder verschiedene Isotope – also gleiche Atome mit unterschiedlicher Atommasse – enthalten. Deshalb wollen Wissenschaftler die Definition des Kelvin über eine unveränderliche Naturkonstante definieren und sie damit zuverlässiger machen. Das ist die Basis für noch genauere Messungen, die in Zukunft in Wissenschaft und Technik notwendig werden könnten.

Eine solche Naturkonstante ist die Boltzmann-Konstante k. Sie ermöglicht es, von der mechanischen Energie von Teilchen auf ihre thermische Energie zu schließen. An der Aufgabe, das Kelvin über eine Naturkonstante zu definieren, arbeiten zahlreiche Forschergruppen weltweit. Europäische Forschungseinrichtungen kooperieren auf diesem Gebiet in mehreren gemeinsamen EU-Projekten. Erst wenn mehrere Gruppen mit wenigstens zwei unabhängigen Methoden zu dem gleichen Ergebnis kommen, wird eine „wasserfreie“ Definition des Kelvins möglich werden. Langfristig versuchen Wissenschaftler, alle Basiseinheiten des Internationalen Einheitensystems (SI) mithilfe von Naturkonstanten zu definieren. Beim Meter ist dies beispielsweise bereits über die Lichtgeschwindigkeit geschehen.

Bei der Bestimmung der Boltzmann-Konstante, die für die Neudefinition des Kelvin gebraucht wird, setzen viele Forschergruppen die akustische Gasthermometrie ein, die auch die bisher genauesten Werte liefert. Die PTB hat einen alternativen, komplett unabhängigen Weg eingeschlagen, um systematische Fehlerquellen auszuschalten und damit die Neudefinition auf eine solide Basis zu stellen: Hier kommt die Dielektrizitätskonstanten-Gasthermometrie (DCGT) zum Einsatz. Die Methode beruht auf der Dichtebestimmung des Messgases Helium mittels einer Kapazitätsmessung, oder anders gesagt: Die Forscher messen, inwieweit das Gas die Kapazität eines Kondensators ändert. Aus Messungen am Tripelpunkt des Wassers bei unterschiedlichen Drücken im Messkondensator kann mittels fundamentaler Zusammenhänge die Boltzmann-Konstante bestimmt werden.

Diese Aufgabe stellt extreme Anforderungen an die Messtechnik und konnte nur mit der Hilfe von Experten aus der Industrie und mehreren anderen PTB-Arbeitsgruppen realisiert werden. Beispielsweise muss die Druckmessung bei 7 MPa mit Kolbenmanometern bis auf ein Millionstel genau erfolgen, die Kapazitätsmessung gar auf ein Milliardstel. Für die notwendige Temperaturstabilität sorgt ein großer Badthermostat, der in Zusammenarbeit mit dem nationalen Metrologieinstitut Italiens hergestellt und optimiert wurde.

Der entwickelte Aufbau erlaubt nun DCGT-Messungen am Wassertripelpunkt und ergibt einen Wert für k von 1,380655•10-23 J/K. Mit einer Unsicherheit von 8 ppm ist er der Beweis dafür, dass sich die DCGT zu einer Bestimmung der Boltzmann-Konstante auf höchstem Niveau eignet. Bis zur angestrebten Unsicherheit von 2 ppm sind allerdings noch einige Hürden zu nehmen. Die Wissenschaftler der PTB erwarten, dass es innerhalb der kommenden zwei Jahre gelingt und dann der Weg zur Neudefinition des Kelvin geebnet ist.

Quelle: Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB)

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