Menschliches Serum ersetzt umstrittenes fötales Kälberserum
Archivmeldung vom 01.09.2015
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Verwendung des sogenannten Fötalen Kälberserums ist nicht nur aus ethischen Gründen hoch umstritten. Das am häufigsten verwendete Nährmedium zur Aufzucht und Kultivierung von Zellen birgt auch die Gefahr, dass sich artfremde Moleküle in die Zellmembran der kultivierten Zellen einbauen. Neue humanspezifische Zusatzstoffe für Medien sind daher dringend geboten. InVitro+Jobs, das Wissenschaftsportal des Bundesverbandes, stellt deshalb eine wichtige Forschergruppe vor, die ein neues Serum entwickelt hat, das auf menschlichen Thrombozyten (Blutplättchen) basiert.
Das Fötale Kälberserum (FKS)* steht in der Kritik. Für die Herstellung des Zellkulturmediums werden jährlich allein in Deutschland 180.000 Kälberföten ohne Betäubung ausgeblutet.** Der große Bedarf an FKS macht Produktion und Handel zu einem Riesengeschäft – die Tagesschau berichte kürzlich über falsch deklariertes FKS. Darüber hinaus sprechen aber auch wissenschaftliche Risiken gegen den massenhaften Einsatz von FKS. Denn es kann passieren, dass sich in humanen Stammzelllinien, die in FKS kultiviert werden, ein artfremdes Molekül in die Zellmembran einbaut. Das Molekül kommt nur in Tieren vor. Dadurch werden die humanen Zellen zu xenobiologischen Zellen. Die Entwicklung neuer humanspezifischer Zusatzstoffe für Nährmedien ist daher dringend geboten.
Mit ihrem speziellen Verfahren können Prof. Gstraunthaler und seine Arbeitsgruppe „Molekulare Physiologie der Niere“ der Medizinischen Universität Innsbruck humane wachstums- und zellteilungsfördernde Faktoren aus Blutzellen für die Zellkultur isolieren. Ausgangsmaterial sind nicht benötigte menschliche Thrombozyten (Blutplättchen) aus Blutspenden. Diese sind quasi medizinischer Abfall. Die Wissenschaftler haben die neuen humanen Wachstumsfaktoren bereits mit verschiedenen Nierenepithelzellen, aber auch z.B. Knorpelzellen, Augenhornhautzellen oder Leukämiezellen erfolgreich getestet. Auch Stammzellen, gewonnen aus abgesaugtem Fettgewebe, konnten mit den neuen Thrombozytenextrakten als Serumersatz erfolgreich kultiviert werden. Die Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass die Zellen ihre Eigenschaften beibehalten. Sie bleiben nicht nur lange im undifferenzierten Zustand teilungsfähig, sondern können sich auch in die entsprechenden Zelltypen weiterentwickeln.
Im Interview auf InVitro+Jobs begrüßt Prof. Gstraunthaler die Idee einer Forschungsallianz auf dem Gebiet der regenerativen Medizin: "Es wäre ein guter Ansatz, einen Forschungsverbund aller auf dem Gebiet der regenerativen Medizin tätigen Arbeitsgruppen zu initiieren. Damit könnten voll humanisierte Kultursysteme für zukünftige klinische Anwendungen von Stammzellen gemeinsam ausgearbeitet werden", so Gstraunthaler. Ob die neue Nährlösung auf Basis menschlichen Blutes auch für andere Zelllinien geeignet ist, soll in weiteren Studien geklärt werden. Dafür jedoch fehlt es derzeit jedoch an einer Finanzierung.
InVitro+Jobs, das Wissenschaftsportal des Bundesverbandes Menschen für Tierrechte zur Unterstützung der tierversuchsfreien Forschung, informiert in seiner Reihe „Arbeitsgruppe im Portrait“ regelmäßig über Wissenschaftler und ihre innovativen Forschungsprojekte. Im Fokus stehen neu entwickelte Methoden, ihre Evaluation sowie der Ausblick, welche tierexperimentellen Versuchsansätze gemäß dem 3R-Prinzip (reduce, refine, replace) nach Möglichkeit reduziert und bestenfalls abgelöst werden können.
* Fetales oder Fötales Kälberserum (FKS) ist ein Hauptbestandteil vieler Nährmedien, die zur Aufzucht und Kultivierung von Zellen in der Zellkultur benötigt werden. Das FKS ist das am häufigsten verwendete Serum für Zellkulturen in der Medizin und der Chemischen und Pharmaindustrie. Die Bezeichnung FKS wird jedoch kaum verwendet, üblicher sind die englischen Bezeichnungen fetal bovine serum (FBS), fetal calf serum (FCS) oder newborn calf serum (NCS).
** Zur Gewinnung des Fötalen Kälberserums (FKS) werden die Föten von tragenden Kühen verwendet. Dazu wird den Föten in fortgeschrittenem Entwicklungsstadium bis zum geburtsreifen Alter eine dicke Nadel durch die Rippen in das schlagende Herz gestochen (punktiert) und so viel Blut wie möglich abgesaugt. Dazu muss das Herz noch schlagen, d h. der Fötus darf nicht tot sein. Obwohl es möglich wäre, die Föten vor der Herz-Punktur zu betäuben, wird diese ohne Anästhesie durchgeführt. Nach der Prozedur verendet der Fötus qualvoll. Der große Bedarf macht Produktion und Handel von FKS zu einem Riesengeschäft. Jährlich werden bis zu 800.000 Liter FKS herstellt. Nach Schätzungen von Experten werden dafür weltweit etwa zwei Millionen Kälberföten ausgeblutet. In Deutschland werden nach Angaben der Bundestierärztekammer etwa 180.000 tragende Rinder pro Jahr geschlachtet.
Ausführliche wissenschaftliche Informationen, inklusive eines Interviews mit Prof. Gstraunthaler unter: www.invitrojobs.com
Quelle: Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.