Ein Kunststoff ohne Öl
Archivmeldung vom 15.07.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt110 Seemeilen vor Schottland liegt Erdöl für Jahre unter dem Boden der Nordsee. Der Job hier draußen ist nichts für zarte Naturen, und trotzdem glühen nach der Schicht die Telefondrähte nach Hause. Der nächste Handymast steht irgendwo in der Nähe von Aberdeen, und so sorgt das armierte Kabel von der Stärke eines Abwasserrohrs neben Strom auch für die Kommunikation, die das Leben in einer kalten und nassen Umgebung halbwegs behaglich macht.
Wer dem Weg dieses Kabels folgt, landet früher oder später in Wuppertal
Unterbarmen. Hier bei der Firma Sachsenröder entstehen aus dem Material Gesadur
ganz spezielle Tragrollen. Groß wie Traktorreifen tragen sie den fast sechs
Meter großen Jochkranz der Verseilmaschinen, auf denen auch transatlantische
Kabel für ihren Einsatz unter Wasser ausgerüstet werden. Allein wegen seiner
Beständigkeit unter Extrembedingungen - die Rollen müssen dem Druck der weltweit
größten Maschinen viele tausend Kilometer Kabel Stand halten - ist ein ganz
besonderer Kunststoff gefragt.
Besonders ist Gesadur schon aufgrund seiner Rezeptur: Kein Öl, kein Granulat ist in den Werkhallen von Sachsenröder zu sehen. Stattdessen stapeln sich Transportbeutel mit Baumwollfasern rund um die Pressen, in der die Rohlinge für die leisen und formbeständigen Rollen entstehen. Mit erhitzten Phenolharzen und genau bemessenem Pressendruck verbinden sich die Fasern zu dem Produkt, das wegen seiner Abriebfestigkeit und Laufruhe zu einer Marke und einem Marktführer wurde.
Baumwolle ist der Schlüssel zum Erfolg des Unternehmens, dessen Know-How in der Verarbeitung von Kunststoff praktisch mit seiner Erfindung begann. Während Zeitgenossen wie Ebonit und Bakelit heute ein Schattendasein führen, kommt die Vulkanfiber von Sachsenröder seit 1881 in fast jedem Haushalt, jeder Werkstatt, jedem Auto zum Einsatz.
Kilometerlange Papierbahnen auf Baumwollbasis durchlaufen in Unterbarmen Schwefelsäurebecken: Dieses Bad öffnet die Faserstrukturen der zahlreichen Einzelbahnen, die sich im Gautschverfahren zu einer homogenen Struktur verbinden. Die entstehenden Bahnen, Rollen oder Bögen fühlen sich ledrig und pergamentartig an, haben aber eine völlig andere innere Struktur als Papier. Was jeder feststellt, der vergeblich versucht, selbst dünne Schichten zu zerreißen.
Diese enorme Querfestigkeit bringt es dort ein, wo Geschwindigkeit und Zug auf die Vulkanfiber einwirken. Als Träger von Schleifscheiben, die mit 280 Stundenkilometern rotieren. Oder zum Beispiel als Medium in der Tiefziehtechnik, bei der die Vulkanfiber jede Bewegung formgebender Werkzeuge mitmacht. Kaum ein Armaturenbrett der automobilen Oberklasse entsteht ohne Hilfe aus Wuppertal.
Sachsenröders Ingenieure
wissen nicht nur sehr genau, wo ihre Produkte eingesetzt werden, sondern
erkunden aktiv weitere Einsatz-potenziale. Die Idee, Wurzelholz mit
Vulkanfiberschichten nicht nur in Form zu bringen, sondern sie auch als
dauerhaften Träger einzusetzen, stammt aus der eigenen Entwicklung. Die
geschwungenen Holzoberflächen in der neuesten Generation des BMW X5 entstanden
bereits so. „Natürlich kennen wir die Eigenschaften unseres Materials am
besten,“ sagt Dirk Sachsenröder. Der Schlüssel zum Erfolg sei jedoch die
Bereitschaft zur Kommunikation. Wer vom 30. August bis zum 3. September den
Messestand des Unternehmens im Themenpark der „Bergischen Expo“ besucht, darf
deshalb getrost fragen, was Omas alter Lampenschirm und der neue BMW gemeinsam
haben. Neugier ist schließlich der Schlüssel zu Innovationen!
Quelle: Pressemitteilung pressrelation.de