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Ein Stern, den es gar nicht geben dürfte

Archivmeldung vom 01.09.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 01.09.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Ein Stern, den es gar nicht geben dürfte: Ein Team europäischer Astronomen hat den lichtschwachen und extrem metallarmen Stern SDSS J102915+172927 untersucht. Er muss aus der Frühzeit des Universums stammen und ist vermutlich mehr als 13 Milliarden Jahren alt. Bildnachweis: ESO/Digitized Sky Survey 2
Ein Stern, den es gar nicht geben dürfte: Ein Team europäischer Astronomen hat den lichtschwachen und extrem metallarmen Stern SDSS J102915+172927 untersucht. Er muss aus der Frühzeit des Universums stammen und ist vermutlich mehr als 13 Milliarden Jahren alt. Bildnachweis: ESO/Digitized Sky Survey 2

Ein Team europäischer Astronomen unter Leitung einer Wissenschaftlerin der Universität Heidelberg hat einen Stern ausfindig gemacht, der nach herkömmlichem astronomischen Verständnis gar nicht existieren dürfte, da dieser nahezu ausschließlich aus Wasserstoff und Helium besteht und nur winzige Spuren anderer Elemente enthält.

Mit dieser ungewöhnlichen chemischen Zusammensetzung fällt der Stern, der aus der Frühzeit des Universums stammt, in eine Art „verbotene Zone“ der gängigen Theorie der Sternentstehung: „Danach hätte er eigentlich gar nicht erst entstehen können“, betont Dr. Elisabetta Caffau vom Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH). Die Ergebnisse der Forschungen, bei denen das Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) zum Einsatz kam, werden am 1. September 2011 in „Nature“ veröffentlicht.

Der extrem lichtschwache Stern im Sternbild Leo trägt die sperrige Bezeichnung „SDSS J102915+172927“. Er wurde im Rahmen des „Sloan Digital Sky Survey“ (SDSS), einem internationalen Projekt zur Durchmusterung bestimmter Bereiche des Himmels mit Hilfe von Spektrallinien, katalogisiert. Die Ziffern in seiner Bezeichnung entsprechen seinen Koordinaten am Himmel. Der Stern hat eine etwas geringere Masse als die Sonne und ist vermutlich mehr als 13 Milliarden Jahre alt. Nach den Beobachtungen des europäischen Wissenschaftlerteams beinhaltet SDSS J102915+172927 im Vergleich zu allen bislang untersuchten Sternen den geringsten Anteil an chemischen Elementen, die schwerer als Helium sind.

Die Eigenschaften des Sterns wurden mit Hilfe der beiden Spektrografen X-Shooter und UVES am Very Large Telescope (VLT) der ESO in Chile untersucht. Damit kann das Licht von Himmelskörpern in seine Farbbestandteile zerlegt werden. Die Spektralanalyse, die Mitte des 19. Jahrhunderts von Gustav Kirchhoff und Robert Bunsen in Heidelberg entwickelt wurde, macht es möglich, die Häufigkeit verschiedener chemischer Elemente in der Atmosphäre von Sternen zu bestimmen. Auf diese Weise haben die Astronomen herausgefunden, dass der Gehalt von schweren Elementen in SDSS J102915+172927 rund 20.000 Mal geringer ist als in der Sonne. Die Wissenschaftler konnten bei der ersten Messung nur ein einziges chemisches Element schwerer als Helium – nämlich Kalzium – nachweisen. Erst mit zusätzlichen Beobachtungen gelang es den Forschern aus Deutschland, Frankreich und Italien, noch weitere Metalle aufzuspüren.

„Die allgemein akzeptierte Theorie besagt, dass Sterne wie dieser aufgrund ihrer geringen Masse und des extrem geringen Anteils an schweren Elementen gar nicht existieren sollten. Schon die Gas- und Staubwolken, aus denen ein solcher Stern entsteht, hätten sich nach dem gängigen astronomischen Verständnis gar nicht ausreichend verdichten können“, betont Dr. Caffau, die an der Landessternwarte Königstuhl am Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg forscht. „Zum ersten Mal wurde ein Stern in einer ,verbotenen Zone‘ der Sternentstehung entdeckt. Das war für uns eine große Überraschung. Nun werden die Astrophysiker einige ihrer Modelle für die Entstehung von Sternen überdenken müssen“, erläutert die Wissenschaftlerin, die Erstautorin der in „Nature“ veröffentlichten Studie ist.

Kosmologen gehen davon aus, dass die beiden leichtesten chemischen Elemente Wasserstoff und Helium zusammen mit Spuren von Lithium kurz nach dem Urknall entstanden sind. Nahezu alle anderen, schwereren Elemente sind erst viel später gebildet worden, entweder durch Fusionsprozesse im Inneren von Sternen oder bei Supernovaexplosionen am Ende eines Sternlebens. Nach der Explosion wird das metallreiche Material mit dem interstellaren Medium, der Materie im Raum zwischen den Sternen, vermischt. Aus diesem mit schweren Elementen angereicherten Material entsteht dann die nächste Sterngeneration. Diese neu entstandenen Sterne haben einen höheren Metallgehalt als die Generation zuvor. „Der Anteil an Metallen verrät daher auch, wie alt ein Stern ist, oder besser gesagt, wieviele Sterngenerationen das Material, aus dem er besteht, bereits durchlaufen hat“, erläutert Dr. Caffau. „Dass SDSS J102915+172927 so extrem metallarm ist, bedeutet, dass dieser Stern aus der Frühzeit des Universums stammen muss. Möglicherweise handelt es sich um einen der ältesten Sterne, der jemals gefunden wurde.“

Eine weitere Überraschung ist der Mangel an Lithium in SDSS J1072915+172927, denn ein so alter Stern sollte nach den Worten von Dr. Caffau in etwa dieselbe Elementzusammensetzung haben wie das Universum kurz nach dem Urknall. Der Lithiumanteil des Sterns ist jedoch fünfzig Mal geringer, als dies die Berechnungen zur kosmologischen Elemententstehung erwarten lassen würden. Für das europäische Forscherteam ist es bislang ein Rätsel, wie das Lithium, das sich zu Beginn des Universums gebildet haben muss, in diesem Stern zerstört wurde. Die Wissenschaftler sind dennoch überzeugt davon, dass der seltsame Stern nicht alleine ist: „Wir haben noch eine ganze Reihe von Kandidaten, die einen ähnlich geringen Metallgehalt haben könnten wie SDSS J102915+172927, vielleicht sogar einen noch geringeren. Deshalb wollen wir diese Sterne ebenfalls mit dem VLT überprüfen“, betont Dr. Caffau. Damit wollen sich die Astronomen Schritt für Schritt an die allererste Sterngeneration herantasten.

Quelle: Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

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