Stoppuhr im Ärmel
Archivmeldung vom 05.01.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittUnternehmen, die im globalen Wettbewerb bestehen wollen, müssen ihre Prozessabläufe optimieren. Um manuelle Montagevorgänge effizient zu gestalten, erfassen Prüfer die Dauer der Arbeitsschritte bislang meist manuell – ein fehleranfälliger Vorgang. Ein neues System ermittelt die Zeiten automatisiert und senkt die Firmenkosten.
Werkzeuge greifen, Bauteile montieren, bestücken, zusammenfügen und verschrauben, Komponenten lackieren, Maschinen bedienen – unzählige Arbeitsschritte sind erforderlich, bevor ein Produkt verpackt und ausgeliefert werden kann. Doch wie viel Zeit benötigen die Mitarbeiter für die einzelnen Arbeitsschritte? Wie lange dauert der manuelle Montageprozess? Unternehmen in der industriellen Fertigung müssen die Arbeitsabläufe der Angestellten ständig prüfen und optimieren, um konkurrenzfähig zu bleiben. Das Erfassen von Ablaufzeiten ist für sie unerlässlich, um die einzelnen Vorgänge zu analysieren. So können sie beispielsweise weite Greifwege, ungünstig platzierte Bauteile, zu häufige Werkzeugwechsel oder uneinheitliche und überflüssige Bewegungen identifizieren, die zu Zeitverlusten führen und einen effizienten Produktionsprozess verhindern.
Bislang wird diese Aufgabe meist von Personen durchgeführt, die mit der Stoppuhr oder mit digitalen Zeitboards hinter den Mitarbeitern stehen, um die Dauer jeder einzelnen Bewegung zu ermitteln. Allerdings ist diese Vorgehensweise nicht objektiv, fehlerträchtig und für alle Beteiligten mit Nachteilen verbunden: Für die Angestellten ist der Stressfaktor hoch, möglicherweise führen sie die Tätigkeiten nicht in ihrer üblichen Geschwindigkeit durch. Die Unternehmen müssen einen hohen personellen Aufwand betreiben und dementsprechend hohe Kosten tragen. Der Bedarf an exakteren, automatisierten und preiswerten Lösungen ist daher groß. Ein solches System haben jetzt die Forscher des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF im Auftrag des Magdeburger Ingenieurbüros DR. GRUENDLER® entwickelt.
»Drei in einen Ärmel integrierte streichholzschachtelgroße Sensoren nehmen die Bewegungen von Hand und Arm präzise auf und messen Beginn und Ende der einzelnen Arbeitsschritte«, erläutert Martin Woitag, Wissenschaftler am IFF in Magdeburg. Das kann beispielsweise Hinlangen, Greifen, Vorrichten, Fügen, Prüfen oder Loslassen sein. Die miteinander verketteten Sensormodule befinden sich auf Höhe des Ober- und Unterarms sowie an der Hand. Der Mitarbeiter muss sich lediglich die beiden Ärmlinge überstreifen. Wie eine zweite Haut liegen sie eng, aber dennoch bequem an und beeinträchtigen den Beschäftigten nicht. »Mit der bisherigen Stoppuhr-Methode lassen sich von einem Prozessorganisator, je nach Situation, maximal fünf Personen gleichzeitig erfassen. Mit unserer Lösung können Zeitaufnahmen automatisiert ohne zusätzlichen Personalaufwand sogar an mehreren Arbeitsplätzen parallel erfolgen. Entscheidend ist die höhere Genauigkeit und Objektivität des Systems«, sagt Woitag. Bei ihrer Lösung setzen der Forscher und sein Team auf Inertialsensoren, die die Beschleunigungen und Drehraten der Arme und Hände in den drei Achsen X, Y und Z ermitteln. Im Gegensatz zu anderen Bewegungserfassungssystemen wie etwa GPS funktioniert die inertiale Messtechnik ohne weitere Infrastruktur, die Inertialsensoren können Positionen von Objekten im Raum selbstständig erkennen. »Darüber hinaus muss unsere Lösung nicht aufwändig kalibriert werden. Ein Tool zum einmaligen Einlernen der Messpunkte direkt am Montagearbeitsplatz genügt«, so Woitag. Eine PC-Applikation komplettiert das System. Die Software berechnet und rekonstruiert die Bewegungsabläufe auf Basis der Sensordaten. Sie zerlegt die Abläufe in Bewegungsabschnitte und bestimmt die zugehörigen Zeiten.
Derzeit können die Ärmlinge für logistische und fertigungstechnische Montageaufgaben an Sitzarbeitsplätzen verwendet werden. Im nächsten Schritt wollen die Magdeburger Forscher das System so auslegen, dass sich auch Montagevorgänge analysieren lassen, bei denen ein Werker steht oder sich im Raum bewegt. Geplant ist außerdem, mit Hilfe der Inertialsensoren Körperhaltungen zu bestimmen und so zu prüfen, wie ergonomisch ein Arbeitsplatz gestaltet ist.
Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft (idw)