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Verrottbare Biopolymere könnten Plastik künftig ersetzen

Archivmeldung vom 17.02.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.02.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Oliver Randak

Sollte uns das schwarze Gold jemals ausgehen, gibt es immer noch eine Alternative: natürliche Biopolymere. Polymere sind langkettige formbare Verbindungen wie zum Beispiel Cellulose, das schon längst für die Papierherstellung genutzt wird.

Februar 2109, das Erdöl-Zeitalter liegt lange zurück. Trotzdem sind die Wohnungen mollig warm, rollen Autos durch die Straßen und ziehen Flugzeuge ihre Warteschleifen. Dank neuer Technologien lebt es sich fast so komfortabel und mobil wie ein Jahrhundert zuvor - wäre da nicht jeden Morgen diese Holzzahnbürste mit den Wildschweinborsten oder der metallene Föhn, an dem man sich dauernd die Finger verbrennt. Etwas fehlt; es gibt kein Plastik mehr.

Petrochemisch erzeugte Kunststoffe würden wir nicht nur im Haushalt vermissen. Ein Drittel des in Deutschland produzierten Plastiks wird zu Verpackungen verarbeitet, ein Viertel zu Baumaterialien und gut 15 Prozent in Autos oder Elektrogeräten. Ohne Erdöl könnte das alles bald Geschichte werden.

Also zurück zu Leinenbeuteln und Tonkrügen? Nicht unbedingt, denn Polymere, langkettige Verbindungen mit der Eigenschaft, sich plastisch formen zu lassen, bringt auch die Natur hervor. Durch geschickte Manipulation lassen sich daraus auch ganz ohne Erdöl Werkstoffe gewinnen, die in dem Sinne künstlich sind, dass sich ihre Eigenschaften gezielt verändern lassen. So ist etwa die Cellulose ein natürliches Polymer. Die Wände jeder Pflanzenzelle bestehen daraus und machen sie zur häufigsten organischen Verbindung der Erde.

Für Papier wird Cellulose schon lange genutzt, und ihre chemische Abwandlung zu Cellulosehydrat bescherte der Menschheit mit Cellophan einen der ersten Biokunststoffe. Heute genutzte Bioplastiksorten sind dagegen überwiegend Produkte aus Stärke. Diese ist preiswert und überall zu haben, ob in Form von Mais, Kartoffeln oder Getreide. Stärke ist allerdings feuchtigkeitsempfindlich. Erst im Gemisch mit wasserabweisenden Substanzen entstehen wasserfeste Stärke-Kunststoffe für Joghurtbecher, Pflanztöpfe oder Babywindeln.

Doch die Molekülbausteine, die Stärkepolymere aufbauen, lassen sich auch auf andere Art zur Basis von Biokunststoffen machen. Denn bei diesen Bausteinen handelt es sich um Zucker, und den mögen auch Bakterien. Eine Gruppe unter ihnen verwandelt Zucker in Milchsäure - ein Prozess, den Menschen seit Jahrhunderten zur Erzeugung haltbarer Lebensmittel wie Sauerkraut oder Joghurt einsetzen. Die moderne Chemie macht es möglich, aus diesem Baustein Polymilchsäure herzustellen. Das Produkt besitzt ähnliche Eigenschaften wie die petrochemischen Kunststoffe Polyethylenterephthalat (besser bekannt als PET) oder Polypropylen. Es kann daher auf vorhandenen Maschinen zu Folien oder Flaschen verarbeitet werden.

Bakterien lassen sich aber auch direkt zu Kunststoff-Fabriken umfunktionieren. Normalerweise nutzen die Einzeller alle Nährstoffe, die sie ergattern, direkt für Wachstum oder Vermehrung. Klappt das nicht, weil ihnen ein essentielles Element fehlt, nehmen sie trotzdem so viel Nahrung wie möglich auf - als Reserve. Und wie wir Menschen Fett und nicht Zucker ansetzen, speichern die Bakterien den Überschuss in Form kleiner Granula aus Polyhydroxyalkanoaten (PHA).

Deren Gewinnung ist aufwendiger als die anderer Biokunststoffe. Dafür ist es echtes Designer-Plastik: Je nachdem welches Substrat den Bakterien serviert wird, erhält es verschiedene Eigenschaften: steif oder elastisch, luftdicht oder -durchlässig. "Eine richtige Massenproduktion könnte mit PHA in Switchgrass (Panicum virgatum) funktionieren", sagt Oliver Peoples von der Firma Metabolix in Cambridge, Massachusetts. Allerdings bilden Pflanzen, anders als viele Bakterien, von Natur aus kein PHA, weshalb das Switchgrass bei Metabolix gentechnisch verändert wurde. Das manipulierte Gewächs besteht zu drei bis vier Prozent des Trockengewichts aus Plastik. 

Dass Gentechnik Bio-Produkte erzeugt, dürfte manche Zeitgenossen irritieren. Im Kunststoffsegment steht das Präfix mit dem naturnahen Image für zwei verschiedene Eigenschaften: biobasiert und biologisch abbaubar. Biobasiert sind Produkte, die aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wurden. Biologisch abbaubar hingegen ist Plastik, das sich unter definierten Bedingungen zu Kohlendioxid und Wasser zersetzt. Und es gibt durchaus Kunststoffe, die biobasiert, aber nicht biologisch abbaubar sind. Aus Rizinusöl zum Beispiel kann man wie aus Erdöl das biologisch unverrottbare Polyethylen herstellen. Umgekehrt hat der Konzern BASF einen Kunststoff entwickelt, der aus Erdöl gewonnen wird und den Bakterien trotzdem zersetzen können.

Bioabbaubare Kunststoffe erleichtern vor allem Landwirten die Arbeit, wenn sie Mulchfolien nur noch unterpflügen und Pflanztöpfe nicht mehr einsammeln müssen. Ähnlich praktisch sind kompostierbare Lebensmittelverpackungen oder Bio-Mülltüten. Bei dauerhaften Kunststoffen jedoch bringe der Wechsel der Rohstoffquelle alleine noch keine Vorteile, meint Jürgen Keck von BASF. Er gibt zu bedenken, dass weltweit nur fünf Prozent des Erdöls zu Kunststoffen verarbeitet, mehr als 80 Prozent dagegen verbrannt werden. Optimierte, konventionelle Kunststoffe für Fahrzeug-Leichtbau oder Gebäudedämmung einzusetzen könne also energieeffizienter sein, als eine kleine Menge Plastik statt aus Erdöl aus nachwachsenden Rohstoffen herzustellen.

Tatsächlich wird sich nur Bioplastik durchsetzen, das entweder besser ist als petrochemischer Kunststoff - oder preiswerter. In den achtziger Jahren führte die Firma Wella eine der ersten Marktstudien zum Thema durch. Sie stellte eines ihrer Shampoos in einer Flasche aus Polyethylen und parallel dazu in einer Bioplastik-Verpackung aus PHA ins Regal. Der Preisunterschied von rund einer Mark war dem Verbraucher aber zu hoch, und so verschwanden die Bioflaschen wieder. Heute wäre die Differenz geringer, denn Erdöl kostet mehr, und die Herstellung von Bioplastik ist günstiger. Nach Angaben des Verbandes European Bioplastics kostet ein Kilo herkömmlichen Kunststoffs gegenwärtig zwischen 1,10 und 1,50 Euro. Der Preis für Biopolymere liegt je nach Sorte bei 1,40 bis 5 Euro.

Wenn der Preis für Naturpolymere weiter sinkt, stellt sich allerdings verschärft eine Frage, wie sie ähnlich der Biosprit aufwirft: Darf man essbare Rohstoffe zu Tüten und Autositzen verarbeiten? Auf der European Bioplastics-Konferenz im November 2008 erklärte Andreas Pilzecker von der EU-Kommission, sein Haus habe diese Frage schon 2006 im Hinblick auf das Ziel der Europäischen Union untersucht, zehn Prozent des Kraftstoffes für das Transportwesen aus nachwachsenden Rohstoffen herzustellen.

Wie sich zeige, würde eine steigende Nachfrage nach Biosprit in Europa nur mäßigen Einfluss auf Flächenbedarf und Getreidepreise haben - und Bioplastik benötige noch einen deutlich kleineren Anteil der Produktion. Nach Schätzungen von BASF sind für den aktuellen jährlichen Verbrauch an Biokunststoffen weniger als 0,1 Prozent des weltweit angebauten Maises notwendig. Wohin sich diese Zahlen aber bei einem Ausbau der Bioplastiksparte entwickeln werden, darüber dürfte es noch hitzige Diskussionen geben.

Dabei stehen wir bereits mittendrin in der Bioplastik-Realität. Mülltüten auf Stärkebasis gehören schon zum festen Sortiment der Supermärkte, Biofolien für Obst und Gemüse werden getestet. Wer genau hinschaut, kann immer häufiger das Zertifikat von European Bioplastics entdecken: den Keimling. Der Aufdruck "kompostierbar" darunter besagt, dass das Produkt gemäß europäischer Norm abbaubar ist: Nach drei Monaten im Kompost dürfen nur noch Krümel übrig sein. Doch keine Sorge: Im Supermarkt oder im Küchenschrank baut sich so schnell nichts ab, denn dazu muss es wirklich feucht sein, und es müssen die 50 bis 60 Grad herrschen, auf welche die Bakterienaktivität das Innere eines Komposthaufens erhitzt.

Noch liegt der Anteil von Bioplastik am verbrauchten Kunststoff bei weniger als einem Prozent. Aber Harald Käb, Vorsitzender von European Bioplastics, sieht ein enormes Potential, besonders wenn die Herstellung von Polyethylen und Polypropylen aus Bioethanol attraktiver wird. "Das ist rein ökonomisch geregelt", sagt Käb. Subventionen - wie für regenerative Energien - zahle die deutsche Regierung hier keine. Allerdings befreit die seit Januar 2009 geänderte Verpackungsordnung Bioplastik-Produkte von den Auflagen des dualen Systems und nimmt Flaschen aus mehr als 75 Prozent Biomaterial von der Pfandpflicht aus. Das solle zum einen als Anreiz dienen, sagt Käb. Andererseits würde Bioplastik auch das optimierte Recyclingverfahren für PET-Flaschen stören.

Wohin also dann mit der leeren Bioflasche, wenn kein Komposthaufen im Garten steht? Noch entscheidet in Deutschland jede Kommune für sich, ob biologisch abbaubare Kunststoffe in die Biotonne dürfen oder nicht. Immerhin erscheint dieses Entsorgungsproblem mittelfristig lösbar - und abgenutzte Wildschweinborsten-Zahnbürsten müssten ja auch irgendwohin.

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