Verrückte Spektroskopie trickst Quantenphysik aus
Archivmeldung vom 08.07.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWissenschaftler des Max-Born-Instituts für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie haben eine neuartige spektroskopische Methode entwickelt, welche die gleichzeitige Messung mehrerer Moleküleigenschaften erlaubt. Sie tricksen damit die Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik aus, die besagen, dass man ein System nicht beobachten kann, ohne es zu verändern. Sie berichten über ihre Arbeit in der aktuellen Ausgabe (7.7.2011) von Science Express.
Verschiedene Materialeigenschaften gleichzeitig zu betrachten, ist in unserem Alltag selbstverständlich: Bereits ein kleines Kind kann Bauklötze nach Farbe und Form gleichzeitig sortieren. In der Welt der Atome und Moleküle ist das nicht so einfach möglich, denn eine Gesetzmäßigkeit der Quantenphysik besagt, dass man eine Eigenschaft nicht messen kann ohne sie zu verändern.
Um Eigenschaften von Molekülen zu bestimmen, steht Wissenschaftlern
heute eine Vielzahl an spektroskopischen Methoden zu Verfügung. So
lassen sich beispielsweise mit der Rotationsspektroskopie molekulare
Strukturen voneinander unterscheiden, weil Moleküle mit
charakteristischen Frequenzen rotieren. Die Analyse mit einem
Massenspektrometer „wiegt“ Moleküle und ihre Bruchstücke und gibt so
Auskunft über ihre atomare Zusammensetzung. Solche Messungen konnten
Forscher bislang nur einzeln oder nacheinander durchführen, jedoch nicht
gleichzeitig. Die von Forschern des Max-Born-Instituts (MBI)
entwickelte Correlated Rotational Alignment Spectroscopy, kurz CRASY,
erlaubt es nun, verknüpfte („correlated“) Eigenschaften von molekularer
Struktur und atomarer Zusammensetzung über Rotations- und
Massenspektroskopie gleichzeitig zu bestimmen.
Die Forscher bedienen sich dazu eines experimentellen Tricks: Sie regen
die Moleküle zunächst mit einem ultrakurzen Laserimpuls zum Rotieren an.
Zeitversetzt schicken sie einen zweiten Laserpuls hinterher, der aus
dem Molekül ein Elektron herausschießt, das Molekül also ionisiert. Die
Drehung des Moleküls im Raum („rotational alignment“) beeinflusst die
Wahrscheinlichkeit, mit der es ionisiert wird. Dieses Experiment
wiederholen die Forscher vielfach, wobei die Moleküle unterschiedlich
viel Zeit zum Rotieren haben. Auf diese Weise wird die Rotationsbewegung
der Moleküle auf die Anzahl erzeugter Ionen und Elektronen abgebildet.
Das Gewicht der entstehenden Molekülionen wird mit einem
Massenspektrometer bestimmt, die Rotationsfrequenz lässt sich dann aus
der zeitabhängigen Anzahl ionisierter Moleküle berechnen. Die Forscher
überlisten so die Grenzen der einzelnen spektroskopischen Methoden und
erhalten gekoppelte Informationen über Struktur und Masse.
„Mit CRASY bekommen wir viel mehr Informationen als mit herkömmlichen
Methoden, denn wenn man zwei Moleküleigenschaften gleichzeitig misst,
verdoppelt sich der Informationsgehalt nicht nur, sondern er steigt ins
Quadrat“, sagt Dr. Thomas Schultz vom MBI. Dies erlaube die Untersuchung
von komplexeren Systemen. Die Forscher haben mit ihrer Methode zunächst
die Rotationskonstanten für zehn stabile Isotope einer natürlichen
Kohlenstoffdisulfid-Probe (CS2) ermittelt. Mit einem einzigen Experiment
erfassten sie damit alle bekannten und drei bislang unbekannte
Molekülkonstanten. „Im Unterschied zu herkömmlicher
Rotationsspektroskopie brauchen wir dazu nur wenig Material und unsere
Proben können auch verunreinigt sein“, so Schultz weiter. In der Zukunft
wollen die Forscher diese Technik einsetzen, um Reaktionen in komplexen
Biomolekülen, wie etwa DNA-Basen, zu verstehen. Die experimentelle
Technik kann auch mit anderen spektroskopischen Methoden verknüpft
werden.
Quelle: Forschungsverbund Berlin e.V. (idw)