Geometrie beschleunigt klinische Studien: RUB-Mathematiker entwickeln neues Verfahren
Archivmeldung vom 21.10.2010
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtEin neues geometrisches Verfahren für die optimale Versuchsplanung in Medikamentenstudien haben Bochumer Mathematiker entwickelt. Sie überführen das zugrundeliegende und sehr komplexe mathematische Optimierungsproblem in eine geometrische Darstellung, aus der Statistiker dann die beste Versuchsanordnung unmittelbar ablesen können. Forscher der RUB um Prof. Dr. Holger Dette (Stochastik) zeigen damit, dass geometrische Überlegungen helfen können, Belastungen für Patienten und Versuchstiere in der Entwicklung neuer Medikamente und Wirkstoffe zu reduzieren und klinische Studien zu beschleunigen. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im renommierten „Journal of the Royal Statistical Society“.
Dosisfindung und Dauer der Wirkung
Die meisten Menschen kennen Geometrie nur aus der Schule und halten sie für ein sehr abstraktes Teilgebiet der Mathematik mit wenig Praxisbezug. Doch gerade für die Optimierung einer klinischen Versuchsanordnung, die mit analytischen Methoden nicht lösbar ist, liefert die Geometrie einen neuen Ansatzpunkt. Hintergrund ist der langwierige Prozess, neue Arzneimittel zu entwickeln und zu testen. In unserem hochentwickelten Gesundheitswesen müssen neue Präparate in aufwendigen Studien zunächst an Versuchstieren („präklinische“ Studien), dann an gesunden und schließlich an erkrankten Probanden (eigentliche „klinische“ Studien) erprobt werden. Bei diesen Untersuchungen kommt es darauf an, den bei einer bestimmten Dosis erzielten Effekt zu schätzen (die „Dosisfindung“) und weiterhin die Zeit bis zur Wirkung und die Dauer der Wirkung zu bestimmen (die „Pharmakokinetik“ des Präparates). Aufgrund der Risiken jedes neuen Medikamentes versucht man, diese Ziele mit so wenig Patienten und Versuchstieren wie möglich zu erreichen.
Graphische Darstellung des Problems
Der Lehrstuhl für Stochastik (Prof. Dr. Holger Dette) befasst sich schon seit einiger Zeit in einer Kooperation mit den Pharmaunternehmen Novartis und Bayer Schering mit der mathematisch optimalen Planung solcher Studien. „Speziell bei den komplexeren Situationen in der Pharmakokinetik ist die rein rechnerische Lösung solcher Probleme jedoch häufig prinzipiell nicht möglich“, sagt Prof. Holger Dette. Jetzt gelang es ihm zusammen mit Dr. Tim Holland-Letz (Abteilung für medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie) mit Hilfe von Methoden aus der mathematischen Geometrie trotzdem ein allgemeines Lösungsverfahren zu entwickeln. Die Idee dabei ist, das zugrundeliegende Problem in eine graphische Abbildung zu übertragen, aus der sich eine Lösung ableiten lässt.
Patientenmessungen und Information
Nimmt man als Patient eine Tablette ein, so steht der Wirkstoff dem Körper nicht sofort zur Verfügung, sondern muss erst über den Verdauungstrakt aufgenommen werden. Ebenso bleibt er nicht dauerhaft im Körper verfügbar, sondern wird mit der Zeit wieder abgebaut. Wie schnell diese Vorgänge ablaufen, ist für neue Medikamente nicht bekannt und muss erst durch klinische Studien bestimmt werden. Mathematiker beschreiben diesen Zusammenhang zwischen Zeit und Konzentration des Medikamentes durch bestimmte Funktionen, die von unbekannten zufälligen Parametern abhängen – etwa von der Aufnahme- und der Abbaukonstante des Präparates, die für jeden Patienten variieren. Messungen an Patienten liefern Informationen über diese unbekannten Parameter. Je nach Zeitpunkt der Messung ergibt sich jedoch unterschiedlich viel Information.
Geometrie als Lösungsansatz
In der statistischen optimalen Versuchsplanung versuchen Forscher daher, die verfügbaren Messungen und Patienten so festzulegen, dass sie die maximal mögliche Menge an Information gewinnen. Das neue geometrische Verfahren aus Bochum ist eine entscheidende Hilfe dabei. Jeder Punkt in der generierten Graphik steht für die Messung an einem bestimmten Zeitpunkt. Die Position dieser Punkte auf der x- und der y-Achse zeigt, wie viel Information über den ersten bzw. zweiten Parameter eine Messung zu diesem Zeitpunkt liefert. Die Punkte haben zudem unterschiedliche Farben, die angeben, welcher Zeitpunkt dieser Messung zugrundeliegt. „Je nach Bedeutung der Parameter kann so ein optimaler Versuchsplan erstellt werden“, so Prof. Dette.
Quelle: Ruhr-Universität Bochum