Noten sagen kaum noch etwas über die Qualität von Doktorarbeiten aus
Archivmeldung vom 26.06.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDas Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (iFQ) sieht kritische Parallelen zur Benotung von Schul- und Studienabschlüssen.
An den Noten für Promotionsabschlüsse lässt sich die Qualität der Doktorarbeit kaum noch ablesen. Die Benotungen von ‚summa cum laude‘ bis ‚rite‘ stellen die gewünschte Vergleichbarkeit der Promotionsleistungen über Universitäts- und Fächergrenzen nur noch sehr bedingt her und sind daher als Teil der Qualitätssicherung von Doktortiteln kaum geeignet. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (iFQ) mit seinem Informationssystem Promotionsnoten in Deutschland. Das iFQ hatte das Online-Portal vor zwei Jahren ins Leben gerufen, um die herrschende Benotungspraxis an deutschen Universitäten bei der Vergabe von Doktortiteln zu beleuchten. Auf der Grundlage von Daten des Statistischen Bundesamtes hat das iFQ nun sein Informationssystem aktualisiert. Es dokumentiert jetzt die Entwicklungen für die Jahre von 2001 bis 2012.
„Von einem einheitlichen Maßstab bei der Leistungsbewertung von Promovenden sind wir in Deutschland weit entfernt“, fasst Professor Stefan Hornbostel, Leiter des iFQ, den Befund zusammen. „Die immensen Unterschiede in der Notenverteilung deuten darauf hin, dass unterschiedliche Standort- und Fächerkulturen entscheidender für die Notenvergabe sind als die eigentliche Promotionsleistung.“
Das Online-Portal des iFQ offenbart beispielsweise, dass in den Wirtschaftswissenschaften jede dritte Promotion mit der Bestnote bewertet wurde, wohingegen in den medizinischen Fächern weniger als jede zehnte Promotion eine solche Auszeichnung erhält (2010 bis 2012). Solche Unterschiede lassen sich mit faktischen Leistungsunterschieden allein nicht erklären, sondern legen es nahe, dass die Benotungspraxis je nach Fachgebiet sehr unterschiedlich ist. Problematischer erscheint aber, dass auch in den Fachdisziplinen große lokale Unterschiede bei der Benotung existieren. An der Technischen Universität Darmstadt wurden beispielsweise zuletzt 63 Prozent der Promotionen in der Biologie mit der Bestnote prämiert, während es bei den Fachkollegen an der Universität Hamburg nur ein Prozent war (2010 bis 2012). Solche enormen Differenzen lassen sich nach Einschätzung des iFQ nicht mit Leistungsunterschieden erklären, sondern deuten auf unterschiedliche Benotungskulturen an den einzelnen Universitäten hin.
Neben den Defiziten bei der Vergleichbarkeit der Noten weist das iFQ auch auf einen allgemeinen Trend zu einer immer häufigeren Vergabe der Bestnote ‚summa cum laude‘ hin. Wurden im Zeitraum von 2001 bis 2003 noch 16 Prozent der Promotionen (ohne Medizin und Pharmazie) ausgezeichnet, sind es von 2010 bis 2012 bereits 21 Prozent. An einzelnen Universitäten ist der Anteil der ‚summa cum laude‘-Promotionen in diesen Jahren aber noch weit gravierender gestiegen – beispielsweise an der WHU Otto Beisheim School of Management von 13 auf 59 Prozent oder an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht von 14 auf 51 Prozent. Darüber hinaus wird für mehr als die Hälfte aller Promotionen in Deutschland noch das zweitbeste Prädikat ‚magna cum laude‘ vergeben, sodass die Notendifferenzierung insgesamt bereits sehr gering ist.
Hornbostel kommentiert diese Entwicklung wie folgt: „Die Noten verlieren mehr und mehr an Wert – ein Trend, der im Übrigen auch für das Abitur und für Studienabschlüsse erkennbar ist. Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, wenn Arbeitgeber und weiterführende Bildungseinrichtungen verstärkt auf eigene Auswahlverfahren setzen und sich weniger auf die zertifizierenden Einrichtungen verlassen. Schulen und Hochschulen verschenken zunehmend ihre Definitionsmacht über Qualität und Kompetenz.“ Auf die Tendenz zu einer immer häufigeren Vergabe von guten Noten für Studienabschlüsse weist der Wissenschaftsrat hin. Über die inflationäre Entwicklung der Abiturnoten wurde kürzlich mehrfach unter Bezug auf Zahlen der Kultusministerkonferenz berichtet. Hinsichtlich der Promotionsnoten geht das iFQ davon aus, dass sich hinter den Problemen der Benotungspraxis eine Fülle von Fragen nach den Qualitätsstandards und angemessenen Verfahren zu deren Einhaltung verbergen. Erfreulicherweise habe inzwischen eine sehr breite Diskussion über diese Fragen in den Hochschulen, den Wissenschafts- und Förderorganisationen und in der Wissenschaftspolitik eingesetzt. Es bestehe daher Hoffnung, dass sich der Trend nicht zu einer wettbewerbsgetriebenen Inflationsspirale verfestigt, die allen Beteiligten schaden würde.
Quelle: Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung