Vorsicht, Frühförderung! Hirnforscher und Psychologen warnen vor übertriebenem Ehrgeiz
Archivmeldung vom 10.04.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittUnter dem Motto "je früher, desto besser" ist in Deutschland ein unüberschaubarer Markt von Fördermaßnahmen entstanden. Darunter sind Englischkurse für Kleinstkinder, die nicht einmal ihre Muttersprache beherrschen, Säuglings-Massage oder Lern-CDs für Babys.
Experten warnen Eltern jedoch davor, zu viel zu
wollen, berichtet die am 10. April erscheinende neue Ausgabe des
Magazins GEO WISSEN zum Thema "Kindheit und Erziehung".
"Eltern müssen wieder lernen, darauf zu reagieren, was ihr Kind
möchte", sagt die Hirnforscherin Elsbeth Stern vom Berliner
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in GEO WISSEN. Sie sollten
nicht ständig neue Angebote machen, zumal wenn deren Nutzen bislang
in keiner Weise erforscht sei. Schon Kleinstkinder mit
Fremdsprachenkursen zu traktieren, lehnt Stern ab: "Ich bin ziemlich
sicher, dass solche Kinder niemals ordentlich sprechen lernen
würden." Gegen eine natürlich entwickelte Zweisprachigkeit - wenn
etwa der Vater Englisch spricht und die Mutter Deutsch - sei hingegen
nichts einzuwenden.
Durch übertriebene Förderung leide auch die Eltern-Kind-Bindung,
warnt der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther in GEO WISSEN. Mit
Sorge sieht er die "Instrumentalisierung der Kinder zur Erhöhung des
eigenen Selbstwertes". Der Erwartungsdruck führe zur "Angst des
Kindes, es den Eltern nicht recht zu machen". Das sei "eine negative
Lernerfahrung, die das Hirn speichert".
Als "Outsourcing von Erziehung" geißelt der Innsbrucker
Kinderpsychologe Heinz Zangerle die zunehmende Kommerzialisierung und
Pseudo-Verwissenschaftlichung der Kindheit. Eine Baby-Massage beim
Fachmann vermittle den Eltern die Botschaft, dass selbst "das
einfache Berühren eines Kindes ... eine höchst komplexe Fertigkeit
ist, die nur durch Erlernen einer Technik adäquat zu beherrschen
ist". Das schade der intuitiven Erziehung. Gerade diese ist aber
ent-scheidend für die frühkindliche Förderung, hat die englische
Psychologin Elizabeth Meins von der Universität Durham nachgewiesen.
Wenn Mütter die Stimmungen und Bedürfnisse ihrer Babys richtig
deuten, können diese ihren Gefühlen und Gedanken besonders gut
Ausdruck verleihen und sich besser entwickeln.
Quelle: Pressemitteilung GEO WISSEN "Kindheit & Erziehung"