Treibstoff aus der Windschutzscheibe
Archivmeldung vom 30.09.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit einer weltweit einmalig hohen Ausbeute sind Jenaer Chemiker in der Lage, in einem der Natur nachempfundenen Prozess molekularen Wasserstoff zu erzeugen, der zum Beispiel in Brennstoffzellen für Energie sorgen und ein Auto antreiben kann.
Das Besondere an dem Verfahren: Die Reaktion läuft in einem einzigen Molekül ab.
Die Wissenschaftler vom Institut für Anorganische und Analytische Chemie der
Universität Jena nutzen Licht, um Elektronen gezielt von einer Untereinheit
dieses Moleküls zu einer anderen springen zu lassen. Dadurch entsteht am Ende
der Reaktion molekularer Wasserstoff.
Dr. Sven Rau hat für diese Form der
Energiegewinnung aus Licht in jahrelanger Synthesearbeit einen speziellen
Katalysator entwickelt. "Unser Vorbild ist die Natur, die uns in jedem grünen
Blatt vormacht, mit welcher Effizienz man das Sonnenlicht zur Energiegewinnung
nutzen kann", erläutert der Chemiker. "Wir haben nun einen wichtigen Baustein
gefunden, mit dem auch der Mensch diese Quelle in Zukunft mit einer hohen
Ausbeute nutzen kann." So sei es denkbar, dass eines Tages Autos den speziellen
Molekülkomplex der Jenaer Wissenschaftler in ihrer Windschutzscheibe tragen und
das darauf scheinende Sonnenlicht den Wasserstoff als Treibstoff für die
Brennstoffzelle erzeugt.
Die Tatsache, dass die Jenaer den Prozess in
einem einzigen Molekül ablaufen lassen können, ist deshalb so entscheidend, weil
es erst dadurch möglich wird, die Reaktion weiter zu optimieren und so die
höchstmögliche Energieausbeute zu erzielen. Das wird Rau in einem nächsten
Arbeitsschritt in enger Kooperation mit dem Institut für Physikalische Chemie
der Universität Jena (IPC) und dem Institut für Physikalische Hochtechnologie
(IPHT) auf dem Jenaer Beutenberg unter Anwendung Laser-spektroskopischer und
subtiler quantentheoretischer Methoden durchführen.
Wie bei der
Photosynthese hat der Prozess, den die Chemiker im Labor ablaufen lassen, zwei
wesentliche Stationen: Ein spezieller Metallkomplex mit Ruthenium als
ausschlaggebendem Bestandteil dient als Antenne, die das Licht einfängt. Das
Ruthenium gibt daraufhin ein Elektron ab, das auf das Reaktionszentrum springt,
dessen Kern ein Palladiumatom bildet. An diesem Metallzentrum wird schließlich
Wasserstoff gebildet.
In der Natur sind es die Blattfarbstoffe
"Chlorophylle" und "Carotinoide", die als Lichtantennen dienen. Die Aufnahme der
Lichtenergie versetzt sie in einen energiereichen angeregten Zustand. Sie geben
diese Energie weiter, die damit als Triebkraft für eine Reihe von Reaktionen
dient. An deren Ende wird aus Kohlendioxid Zucker gewonnen, aus dem die grünen
Pflanzen ihre Energie beziehen. "Was wir der Natur bisher noch nicht abschauen
konnten, ist die perfekte Zielgerichtetheit dieser Prozesse", erklärt Sven Rau.
"Es laufen nur diejenigen Reaktionen ab, die zur Energiegewinnung führen,
Abweichungen gibt es nicht." In seinem Laboraufbau dagegen springen noch nicht
alle Elektronen vom Ruthenium auf das Palladiumzentrum über, einige wählen
"Abzweigungen" und gehen damit für die Reaktion verloren. "Mit Hilfe der
Spektroskopie werden wir diesen Prozess ganz genau beobachten können",
beschreibt Prof. Dr. Jürgen Popp, Direktor von IPC und IPHT, die Motivation für
die Zusammenarbeit. "So können wir gezielt Barrieren aufbauen, damit die
Elektronen nicht vom ,rechten Weg' abkommen, sondern ausschließlich beim
Palladium landen." Schon heute hält sein Kollege Rau den Weltrekord bei der
Wasserstoffgewinnung mit einem Molekül - er erhält 56 Moleküle Wasserstoff pro
Katalysatormolekül. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes einsame Spitze,
beherrschen weltweit doch nur zwei weitere Forschergruppen diesen Ansatz
überhaupt. Physikochemiker Popp freut sich, dass bei der Optimierung des
Molekülkomplexes die Universität Jena und das IPHT ein weiteres Mal erfolgreich
zusammenarbeiten können.
Noch lassen die Jenaer Chemiker ihre Reaktionen in Laborgefäßen mit Flüssigkeit ablaufen, aus denen sie den Wasserstoff dann abpumpen. Doch sie arbeiten daran, den Katalysator so zu modifizieren, dass diese Reaktion dann zum Beispiel in Fensterscheiben ablaufen kann. Außerdem soll in der Zukunft das heute noch notwenige Triethylamin durch andere Quellen ersetzt werden. "Wenn uns dies gelingt", so Chemiker Rau, "machen wir in der Energiegewinnung dann den entscheidenden Schritt: Weg von fossilen und nuklearen Energieträgern hin zur direkten Nutzung der natürlichen Quellen Sonnenlicht und Wasser."
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.