Verreisen mit psychischen Folgen: Waschzwang, Wandertrieb und Visionen
Archivmeldung vom 26.11.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittReisen kann nicht nur Nebenwirkungen haben wie Jetlag, Sonnenbrand oder Durchfall, sondern auch psychische Folgen. Zum Beispiel in Form des "Jerusalem-Fiebers" - ein religiöser Ausnahmezustand, der unter anderem in der Heiligen Stadt auftreten kann.
Moderne Mediziner sprechen von "Syndrom". Der Fachausdruck bezeichnet komplexe körperlich-seelische Zustände mit unklarer Entstehungsgeschichte. Der israelische Psychiater Yair Bar El beschreibt die Symptome so: Der Betroffene ist erregt, hat zunächst nur das starke Bedürfnis, allein zu sein. Nicht selten verspürt er später eine Art Waschzwang. Er oder sie duscht ausgiebig, will sich durch die körperliche Reinigung auch seelisch reinwaschen. In der zweiten Phase nimmt die Erregung zu, es folgen stundenlange Wanderungen durch die Stadt und zu den heiligen Plätzen. Oft halten die Verwirrten Predigten oder vollführen Rituale. Die Betroffenen fühlen sich in direktem Kontakt mit dem Göttlichen, sie möchten die Welt zur Umkehr bewegen oder das nahende Weltende verkünden.
Die Nervenklinik Kfar Shaul im Westteil von Jerusalem kennt sich inzwischen gut aus mit derartigen Fällen. An die 200 Menschen kommen pro Jahr mit entsprechenden Symptomen. Nur ein relativ kleiner Teil von ihnen bleibt nachhaltig verwirrt und braucht psychiatrische Hilfe. Bei den meisten genügen ein paar Stunden oder Tage der Ruhe. Als hilfreich erweisen sich auch Telefongespräche mit Angehörigen oder Freunden daheim.
Ein Unikat ist das Jerusalem-Syndrom nicht. Seit das Phänomen mehr ins Visier von Psychologen und Medizinern rückt, zeigt sich: Symptome dieser Art kommen weltweit in ähnlichen Formen, aber unterschiedlich starker Ausprägung vor. Religiöse Ausnahmezustände erleben beispielsweise Menschen in Mekka, Santiago de Compostela und Lourdes.
Quelle: WUNDERWELT WISSEN (Ausgabe 05/2009 ab morgen im Handel)