Winzige Nanoröhrchen können riesigen Druck aufbauen
Archivmeldung vom 30.05.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKohlenstoff-Nanoröhrchen können bei Bestrahlung mit Elektronen einen so starken Druck erzeugen, dass sich winzige kristalline Drähte, die im inneren Hohlraum der Röhrchen eingeschlossen sind, massiv verformen. Dies wurde in einer internationalen Zusammenarbeit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit Gruppen in Finnland, Mexiko und den USA gezeigt.
Das Wissenschaftsjournal Science hat die Ergebnisse in seiner jüngsten Ausgabe
publiziert (Science 312, Seite 1199, 26. Mai 2006). "Die Bedeutung dieses
Experiments besteht darin, dass es erstmals möglich ist, die Verformung
einzelner Metallkristalle mit Abmessungen im Nanometerbereich direkt zu
untersuchen", erläutert Prof. Dr. Florian Banhart von Institut für Physikalische
Chemie. Kohlenstoff-Nanoröhrchen seien dazu ideale "Nano-Laboratorien".
Forschungen im Nanobereich erfolgen in einer Größenordnung von einigen
millionstel Millimetern, das ist bis zu 100.000-mal kleiner als ein menschliches
Haar. Bei den Kohlenstoff-Nanoröhrchen handelt es sich um winzige, künstlich
hergestellte Röhrchen, die aus Kohlenstoffatomen bestehen, die in einem Muster
ähnlich dem von Bienenwaben angeordnet sind.
In den letzten Jahren sind
viele ungewöhnlichen Eigenschaften von Kohlenstoff-Nanoröhrchen entdeckt worden.
Ein Beispiel ist ihre extreme mechanische Stabilität, die von der starken
Bindung zwischen Kohlenstoffatomen in einer Graphitlage herrührt und dafür
sorgt, dass Kohlenstoffröhrchen die höchste Reißfestigkeit aller heute bekannten
Materialien haben. Experimente, die seit kurzem an der Universität Mainz
unternommen werden, haben nun gezeigt, dass die hohe Stabilität von Nanoröhrchen
auch dann erhalten bleibt, wenn Kohlenstoffatome in den graphitischen Lagen
fehlen. Die Experimente wurden in einem hochauflösenden Elektronenmikroskop
durchgeführt, wo mit dem hochenergetischen Elektronenstrahl Kohlenstoffatome aus
den zylindrischen Graphitschalen herausgeschlagen werden können. Gleichzeitig
kann die Struktur mit atomarer Auflösung abgebildet werden. Es wurde beobachtet,
dass die hohlen Graphitzylinder unter Elektronenbestrahlung schrumpfen, aber
nicht zerstört werden. Dies war zunächst überraschend, konnte dann aber in
Zusammenarbeit mit einer Theoriegruppe in Helsinki erklärt werden. Leerstellen
im Graphitgitter, also Lücken, die nach dem Herausschießen einzelner
Kohlenstoffatome zurückbleiben, haben eine unerwartet hohe Beweglichkeit bei den
Temperaturen des Experiments (ca. 600°C) und können sich somit zu
Doppelleerstellen vereinigen. Diese Doppelleerstellen sind jedoch instabil und
kollabieren durch Schließen der offenen Bindungen, so dass wieder eine
geschlossene Graphitlage entsteht. Diese besteht nicht mehr nur aus
Sechserringen, wie dies im perfekten Graphit der Fall ist, sondern enthält dann
auch Fünfer- oder Siebenerringe. Die Graphitstruktur heilt sich somit selbst,
wenn Atome fehlen, und behält auch ihre hohe Reißfestigkeit. Allerdings nimmt
ihre Oberfläche ab, so dass die zylindrisch geschlossenen Graphithüllen
kontrahieren.
Sind die Röhrchen nun nicht leer, sondern mit anderen
Materialien gefüllt, sollte man erwarten, dass ein Schrumpfen der Röhrchen nicht
ohne weiteres möglich ist, denn von dem eingeschlossenen Material müsste ja
Gegendruck ausgehen. In den Mainzer Experimenten wurde aber beobachtet, dass die
Kontraktion der Röhrchen so heftig ist, dass die eingeschlossenen
Metallkristalle massiv deformiert und schließlich aus den Röhren in
Längsrichtung herausgequetscht werden. Rechnungen zeigen, dass in den
kollabierenden Nanoröhrchen bei einem solchen Experiment Drücke von bis zu
400.000 Atmosphären in radialer Richtung auftreten können. Dies ist bei weitem
genug, um auch harte Materialien zu verformen.
Die hohe Auflösung des
Elektronenmikroskops, in dem das in-situ-Experiment abläuft, ermöglicht es, die
Verformung mit atomarer Auflösung zu beobachten. Nach Darstellung von Banhart
sind solche Studien vor allem deshalb interessant, weil nanokristalline
Materialien, also Festkörper, die aus extrem kleinen Kristalliten aufgebaut
sind, eine ungewöhnlich hohe Härte besitzen und deshalb bereits seit einigen
Jahren technisch eingesetzt werden. "Die mechanischen Eigenschaften
nanokristalliner Materialien sind jedoch noch wenig verstanden, unter anderem
deshalb, weil das Verformungsverhalten einzelner Kristallite, d.h.
einkristalliner Körner, aus denen das Material aufgebaut ist, noch nicht
untersucht werden konnte", sagte der Physiker. Dazu können Experimente, wie sie
jetzt in Mainz gelungen sind, künftig beitragen.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.