Abstraktion der Ferne
Archivmeldung vom 21.11.2008
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Freigeschaltet durch Oliver RandakÖrtlicher, zeitlicher oder sozialer Abstand wirken im Gehirn gleich
Für das Gehirn sind räumliche und zeitliche Entfernungen das Gleiche: Je größer der Abstand zu einem Ort oder einem Ereignis ist, desto abstrakter ist das geistige Konzept, mit dem das Gehirn arbeitet. Das schließen Psychologen aus einer Auswertung verschiedener Studien zur Wahrnehmung von räumlichen Distanzen, Zeiträumen, Eigen- und Fremdempfindungen sowie wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen Ereignissen. Demnach hängen die Empfindungen für die Entfernung von Orten, Zeitpunkten und Ereignissen eindeutig zusammen, berichten Nira Liberman von der Universität in Tel Aviv und Yaacov Trope von der New York University.
Menschen planen die Zukunft, denken über längst Vergangenes nach, stellen sich weit entfernte Ort vor und versetzen sich in andere Menschen hinein. Vorstellungen von Entfernung können also zeitlicher, örtlicher oder sozialer Natur sein, aber auch Ungewissheit erzeugt ein Gefühl der Ferne. Psychologen fassen dieses Entfernungsgefühl unter dem Begriff der psychologischen Distanz zusammen. Die Fähigkeit des Menschen, abstrakt zu denken, macht diese Gedankenreisen möglich, erklären die Wissenschaftler. Dabei werden zwei Abstraktionsebenen unterschieden, von denen die Interpretation eines Ereignisses abhängt: Das niedrigere Abstraktionsniveau beschreibt ein Geschehnis detaillierter. Dagegen beschränkt sich der höhere Abstraktionslevel nicht auf einen konkreten Vorgang, sondern kann verschiedene Ereignisse mit ähnlichen Emotionen beschreiben, ohne auf Details einzugehen.
Liberman und Trope werteten nun verschiedene Studien aus, in denen das unterschiedliche Empfinden von Entfernung untersucht worden war. Dabei stellten sie fest, dass Versuchspersonen immer abstrakte Begriffe wählten, wenn sie an entfernte Objekte und Ereignisse dachten – unabhängig davon, ob in der Studie die örtliche, zeitliche, soziale oder hypothetische Entfernung untersucht worden war. Psychologisch weiter entfernte Ereignisse werden also stets abstrakter beschrieben, schließen die Forscher. Sie illustrieren das Prinzip mit einem Beispiel: "Von der Ferne betrachtet, sieht man den Wald. Nähert man sich dem Wald dann an, nimmt man auch die Bäume wahr."
Zustande kommt die Empfindung der psychologischen Entfernung, weil in allen Fällen das "Hier und Jetzt" überschritten werden muss, erläutern die Psychologen. Nachdem die direkte Erfahrung an diesem Punkt endet, setzt der Mensch mentale Modelle ein, um sich Gedanken über Zukünftiges oder Unwahrscheinliches machen zu können. Dass die Interpretation und Vorstellung dieser Objekte mit zunehmender psychologischer Entfernung immer abstrakter wird, hat durchaus einen Sinn: Da über weit entfernte Ereignisse weniger Details bekannt sind, erlaubt der höhere Abstraktionslevel Vorstellungen, die auf eine größere Anzahl von Alternativen zutreffen können.