Eine neue Dimension in der Sonnenforschung
Archivmeldung vom 28.10.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAm 25. Oktober 2006 starteten vom amerikanischen Weltraumbahnhof Cape Canaveral die zwei Raumsonden der STEREO-Mission und leiteten damit eine neue Ära in der Sonnenforschung.
An dieser internationalen Mission ist federführend auf deutscher Seite das
Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Katlenburg-Lindau
beteiligt. Dank einer neuartigen dreidimensionalen Beobachtungstechnik soll das
Projekt unser Verständnis von den Prozessen auf der Sonnenoberfläche und ihren
Auswirkungen auf die Erdatmosphäre ("Weltraumwetter") verbessern.
Die Sonne spielt eine zwiespältige Rolle für das Leben auf
unserer Erde. Einerseits erwärmt sie die Erde auf lebensfreundliche
Temperaturen, andererseits sendet sie lebensbedrohliche UV-Strahlung sowie
elektrisch geladene Teilchen aus. Dieser Partikelstrom - Sonnenwind genannt -
weht mit einer Geschwindigkeit von mehreren Millionen Kilometern pro Stunde
durch das Planetensystem und besteht vorwiegend aus Wasserstoff- und
Heliumionen. Vor 20 Jahren entdeckte man abrupte Störungen des Sonnenwinds, die
von Eruptionen auf der Sonnenoberfläche herrühren (Abb. 1); sie treten mit einer
elfjährigen Periode mal häufiger (mehrere pro Tag) mal seltener (einer in zwei
Wochen) auf.
Solche Ausbrüche schleudern enorme Gasmassen von bis zu zehn
Milliarden Tonnen (entsprechend etwa der Masse des Harzer Brockens) in den
interplanetaren Raum hinaus - besonders während der solaren Aktivitätsmaxima
treffen diese gelegentlich die Erde. Während das irdische Magnetfeld den normale
Sonnenwind in einem Abstand von 10 bis 15 Erdradien um unseren Planeten
herumleitet, staucht der ernorme Druck der Gaswolken den Abstand dieser
Grenzfläche (Magnetopause) zur Erde bis auf die Hälfte zusammen. Das verursacht
Polarlichter bis nach Mitteleuropa und setzt Astronauten im All für mehrere
Stunden einer verstärkten Strahlendosis aus. Außerdem kann das
Teilchenbombardement die Elektronik von Telekommunikations- und
Fernsehsatelliten zerstören.
Die STEREO-Mission ("Solar TErrestrial
RElations Observatory") soll die Methode zur Untersuchung von Sonneneruptionen
und Sonnenwind verbessern. Sieben Jahre lang entwickelten weltweit führende
Forschungseinrichtungen unter dem Projektmanagement der amerikanischen
Raumfahrtbehörde NASA und der europäischen ESA die nahezu baugleichen Sonden.
Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung steuert in Zusammenarbeit mit
den Universitäten Kiel und Göttingen wichtige Teile für Teleskope und
Teilchendetektoren an Bord bei. Eine Delta II-Rakete soll die beiden 620
Kilogramm schweren STEREO-Sonden von der Größe eines Kleinbusses (6,4 mal 4,3
mal 2,6 Meter) in den Orbit bringen.
Nach zwei bis drei Monaten und mehreren Umrundungen der Erde lenkt der Mond die Späher auf eine Bahn um die Sonne ab. Dabei erhält die eine Sonde eine etwas schnellere, die andere eine etwas langsamere Bahngeschwindigkeit als die Erde. Von der Sonne aus gesehen entfernen sich die Sonden von der Erde um etwa 20 Grad pro Jahr.
Mit zunehmendem Abstand blicken die Sonden somit aus zwei
Perspektiven - gleichsam in "stereo" - auf die Sonne und den umgebenden
Weltraum. Bislang untersuchte man Sonneneruptionen aus Erdnähe und aus einer
Blickrichtung. Diese einäugige Betrachtungsweise erlaubte nur die Beobachtung
von Gaswolken, die im rechten Winkel zur Erde beschleunigt werden, uns also
nicht direkt betreffen. Und Teilchenschauer, die auf die Erde zurasen, ließen
sich nur schlecht gegen den Sonnenhintergrund abbilden.
Jetzt verfügen die Forscher über zwei "Augen" und können die Sonnenoberfläche und die Sonnenumgebung (Atmosphäre, Korona, Heliosphäre) dreidimensional erfassen. Neben den dafür benötigten Teleskopen und Kameras sind weitere Instrumente auf den STEREO-Sonden installiert, die energiereiche Partikelströme von der Frontseite der Wolken und deren Radioemissionen messen (Abb. 3).
Die Wissenschaftler können nun die Sonneneruptionen und die
erzeugten Schauer kosmischer Strahlung dreidimensional analysieren.
Voraussichtlich werden dadurch bessere Vorhersagen über das Eintreffen der
Gaswolken von solaren Eruptionen auf die Erdatmosphäre ermöglicht. Da ein
solcher Partikelschauer erst nach zwei Tagen die Erde erreicht, werden die
Betreibergesellschaften von Satelliten genügend Zeit haben, die empfindliche
Elektronik ihrer Satelliten zu schützen.
Geplant ist die Mission für
zunächst zwei Jahre. Die Forscher am MPS und an zahlreichen weiteren Instituten
in den USA, Europa und Japan werden aber über mehrere Jahre mit der Auswertung
der Daten beschäftigt sein. Hierbei wenden sie verschiedene spektroskopische
Verfahren an. Daraus wollen die Wissenschaftler lernen, die zuverlässigen
Prognosen über die Eruptionen und die Ausbreitungsrichtung der Gaswolken zu
erstellen. Die Arbeiten des MPS an der STEREO-Mission wurden von den
Bundesministerien für Forschung und Technologie sowie für Wirtschaft im Rahmen
einer DLR Forschungsförderung finanziell unterstützt.
Quelle: Pressemitteilung Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.